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Vollversion (7.43 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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74 Jochen Roose<br />

Mitgliedschaftslogik geht nicht von einem Desinteresse<br />

der Mitglieder aus, sondern von der<br />

Erwartung einer möglichst radikalen Interessenvertretung.<br />

Das Problem zwischen Mitgliedschaftslogik<br />

einerseits und Einflusslogik<br />

andererseits zeigt sich in einem Fall sehr deutlich.<br />

In einer Organisation wird berichtet, dass<br />

zwar einerseits die internationale Arbeit lautstark<br />

von den Mitgliedern eingefordert wird,<br />

andererseits aber ein Misstrauen vorherrscht<br />

gegenüber den Mitarbeitern der Abteilung Internationales,<br />

die viel Reisemittel verbrauchen,<br />

an vielen Konferenzen teilnehmen und<br />

kaum etwas Sichtbares vorzuweisen haben.<br />

In diesem Fall zeigen sich besonders deutlich<br />

die oben erwarteten Schwierigkeiten, europäische<br />

Lobbyarbeit an die Basis zu vermitteln.<br />

Wie wirkt sich dieses Dilemma auf die organisationsinteme<br />

Entscheidung über EU-Arbeit<br />

aus?<br />

5 Die Entscheidung über EU-Arbeit<br />

Bei der Entscheidung für oder gegen EU-Arbeit<br />

scheint die Meinung der Mitglieder kein<br />

sehr großes Gewicht zu haben. Dies zeigt sich<br />

zunächst an der Reaktion der Befragten. Die<br />

Frage nach der Meinung der Mitglieder zur<br />

EU-Arbeit löst in den meisten Fällen Nachdenken<br />

aus. Offensichtlich ist die Mitgliedermeinung<br />

nicht nennenswert in strategische<br />

Überlegungen eingeflossen, sonst wären die<br />

Ergebnisse dieser Diskussionen und Überlegungen<br />

zumindest den meisten Befragten präsent<br />

gewesen.<br />

Ein stärkerer Hinweis ist die Reaktion auf eine<br />

(vermutete) wenig interessierte Haltung bei<br />

dem Großteil der Mitglieder. Einige Organisationen<br />

reagieren darauf nicht allein, indem sie<br />

EU-Politik verfolgen und gegebenenfalls ihre<br />

Die Basis und das ferne Brüssel 75<br />

Mitglieder darüber informieren, sondern sie<br />

bemühen sich um eine Aufklärung ihrer Mitglieder.<br />

So versuchen einzelne Organisationen,<br />

ihre bisher wenig informierte, aber auch wenig<br />

interessierte Mitgliedschaft in der Mitgliederzeitschrift<br />

für europäische Fragen zu sensibilisieren.<br />

Ausgehend von dem Widerspruch zwischen<br />

Einflusslogik und Mitgliedschaftslogik sind<br />

beide Vorgehensweisen überraschend. Wäre die<br />

Skepsis der Mitglieder gegenüber Lobbying<br />

auf europäischer Ebene ein gewichtiges Argument<br />

für oder gegen EU-Arbeit, so wäre zu<br />

erwarten, dass diese Mitgliedermeinung den<br />

Mitarbeitern präsent ist. Die diffusen und sehr<br />

pauschalen Einschätzungen weisen eher darauf<br />

hin, dass die Mitgliedermeinung nicht als<br />

zentrale Überlegung in die Entscheidung eingeht.<br />

Auch scheinen die Mitarbeiter der Umweltorganisationen<br />

nicht von einem unauflösbaren<br />

Widerspruch zwischen Mitgliedschaftslogik<br />

und Einflusslogik auszugehen. Die Annahme<br />

eines Widerspruches würde nahelegen,<br />

die meist geringe EU-Arbeit eher im Stillen zu<br />

verfolgen, um dem unweigerlichen Konflikt<br />

aus dem Wege zu gehen. Stattdessen wird EU-<br />

Arbeit offensiv den Mitgliedern präsentiert,<br />

selbst wenn sie im Vergleich zu anderen Arbeitsbereichen<br />

der Organisation wenig bedeutend<br />

ist. Nach diesen Beobachtungen scheint<br />

ein Widerspruch zwischen Einflusslogik und<br />

Mitgliedschaftslogik nicht das entscheidende<br />

Hindernis für EU-Arbeit zu sein.<br />

6 Bürgerbeteiligung in der EU via<br />

Umweltorganisationen?<br />

Bei ihrer Studie von 1990 waren Hey und<br />

Brendle (1994) zu dem Ergebnis gekommen,<br />

die deutschen Umweltorganisationen würden<br />

sich nur marginal auf europäischer Ebene engagieren.<br />

Zehn Jahre später hat sich das Bild<br />

zwar gewandelt, doch noch immer arbeiten die<br />

deutschen Umweltorganisationen überwiegend<br />

auf nationaler Ebene, während die meisten<br />

grundlegenden Entscheidungen in Brüssel fallen.<br />

An der generellen Situation hat sich also<br />

nur wenig geändert.<br />

Die genaue Betrachtung der deutschen Umweltorganisationen<br />

zieht allerdings eine zentrale<br />

Erklärung für diese geringe EU-Arbeit in<br />

Zweifel. Das Dilemma von Mitgliedschaftslogik<br />

und Einflusslogik ist zwar für die Umweltorganisationen<br />

nicht unbedeutend, aber das entscheidende<br />

Hindernis auf dem Weg nach Brüssel<br />

scheint es nicht zu sein.<br />

Die Gründe für die geringen Aktivitäten deutscher<br />

Umweltorganisationen auf europäischer<br />

Ebene dürften vor allem in den Organisationen<br />

selbst zu suchen sein. Zu erinnern ist hier<br />

vor allem an die knappen Ressourcen, die eine<br />

strategische Umorientierung erschweren. Hinzu<br />

kommt, dass politische Arbeit auf nationaler<br />

Ebene nach wie vor mit wichtigen Fragen<br />

befasst ist. Die Verlagerung der Kompetenzen<br />

auf die europäische Ebene bedeutet nicht, dass<br />

auf nationaler Ebene keine Entscheidungen<br />

mehr getroffen werden.<br />

Für die Chancen einer Bürgerbeteiligung in<br />

der EU mit Hilfe von nationalen Umweltorganisationen<br />

bleibt das Ergebnis ambivalent.<br />

Einerseits macht das Ergebnis Mut. Das systematische<br />

und damit im Grundsatz unlösbare<br />

Dilemma von Einflusslogik und Mitgliedschaftslogik<br />

scheint nicht verantwortlich zu sein<br />

für die geringe politische EU-Arbeit der Umweltorganisationen.<br />

Andererseits sind die meisten<br />

nationalen Organisationen dennoch überfordert,<br />

intensiv zur europäischen Umweltpolitik<br />

zu arbeiten. Sich auf ein politisches System<br />

einzustellen, dessen formalen und informellen<br />

Regeln wenig bekannt sind und durch<br />

die Massenmedien nicht näher gebracht werden,<br />

ist für die schlecht ausgestatteten Um-

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