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36 Juan Diez Medrano<br />

veränität des Landes, der Wiederaufbau der<br />

Wirtschaft, die Gewährleistung der äußeren<br />

Sicherheit der Bundesrepublik gegenüber der<br />

Bedrohung durch die Sowjetunion und die<br />

Öffnung möglicher Wege für eine Wiedervereinigung."<br />

Zwischen 1957 and 1973 bezog sich die Berichterstattung<br />

in der FAZ und in der Zeit v.a.<br />

auf die Möglichkeit eines Beitritts Großbritanniens.<br />

De Gaulies starke Persönlichkeit und<br />

seine nationalistischen Uberzeugungen, wie sie<br />

sich in seinen Vetos gegen Großbritanniens EU-<br />

Beitritt niederschlugen (1963 und 1967), zwangen<br />

die Bundesrepublik dazu, die Grenzen ihrer<br />

gerade erst hinzugewonnenen Souveränität<br />

im europäischen Arrangement auszutesten. De<br />

Gaulles Widerstand gegenüber einer Erweiterung<br />

der Europäischen Gemeinschaften, seine<br />

Präferenz für eine intergouvernementale Integration<br />

und seine von anti-amerikanischer Rhetorik<br />

begleitete Entschlossenheit, ein eigenes<br />

nukleares Abschreckungspotential aufzubauen<br />

und sich aus der NATO zurückzuziehen, standen<br />

im eindeutigen Widerspruch zu den Grundsätzen,<br />

auf denen die Staatsgründung der Bundesrepublik<br />

Deutschland fußte.<br />

Die Zeit nahm gegenüber De Gaulle eine eindeutig<br />

kritischere Haltung als die FAZ ein.<br />

Statt wie die FAZ das Projekt eines ,Europa<br />

der Vaterländer' gutzuheißen, wurde in den<br />

Beiträgen der Zeit der föderale Charakter ihrer<br />

europapolitischen Präferenzen in Verbindung<br />

mit dem Ruf nach einer gemeinsamen Verteidigungspolitik,<br />

nach umfassenden Mehrheitsbeschlüssen<br />

und nach einer gemeinsamen Sozialpolitik<br />

noch deutlicher herausgearbeitet.<br />

Unter dem Eindruck von de Gaulles Europa-<br />

Politik kam es jedoch in den frühen 70ern zu<br />

einer Annäherung der Europaberichterstattung<br />

der FAZ und der Zeit, wobei beide Zeitungen<br />

an Idealismus für die europäische Sache einbüßten.<br />

Die Jahre von 1973-1985 waren durch die Ölpreiskrise<br />

und die institutionelle Krise der Europäischen<br />

Gemeinschaften gekennzeichnet.<br />

Die Ölkrise und die ihr folgende Währungsinstabilität<br />

offenbarten einen Mangel an Solidarität<br />

zwischen den Mitgliedsländern der Gemeinschaft<br />

und das Fehlen von Mechanismen<br />

der Koordination politischer Maßnahmen. Die<br />

Notwendigkeiten einer Reform der Gemeinsamen<br />

Agrarpolitik (GAP) und des Haushalts<br />

führten in den späten 70er und frühen 80er<br />

Jahren zu einer institutionellen Krise der Gemeinschaft.<br />

Die Artikel in der FAZ und in der<br />

Zeit reflektieren diese Stimmung. Einzig in<br />

ihren außenpolitischen Vorstellungen zur Gestaltung<br />

der Ost-West Beziehungen unterschied<br />

sich die Zeit von ihrem Konkurrenzblatt. Folgt<br />

man den Beiträgen der FAZ, so ergab sich die<br />

Notwendigkeit zur Stärkung Europas primär<br />

aus dem gemeinsamen Schutzbedürfnis vor den<br />

Aggressionen der Sowjetunion. In den Beiträgen<br />

der Zeit wurde dagegen die Notwendigkeit<br />

eines starken Europas zur Verfolgung einer<br />

von den USA unabhängigen Deutschlandund<br />

Ostpolitik herausgestrichen.<br />

In den Jahren zwischen 1985 und 1997<br />

schwang die Stimmung der FAZ und der Zeit<br />

wieder ins Positive, da die institutionelle Reform<br />

und die Süderweiterung der Gemeinschaft<br />

nun endlich vorangetrieben wurden. Beide Zeitungen<br />

begrüßten die Völlendung des gemeinsamen<br />

Binnenmarktes und die Neuerungen des<br />

Maastrichter Vertragswerkes. Daneben bestand<br />

weitgehende Ubereinstimmung darin, dass ein<br />

vereinigtes Europa dazu beitragen würde, das<br />

nach wie vor existente Misstrauen anderer Länder<br />

gegenüber Deutschland abzubauen und eine<br />

verbesserte Konfliktlösungsfähigkeit durchzusetzen.<br />

Unstimmigkeiten gab es in dieser Phase v.a.<br />

in der Frage einer europäischen Wirtschaftsund<br />

Währungsunion (WWU) und etwas we-<br />

Die Qualitätspresse und Europäische Integration 37<br />

niger ausgeprägt in der Frage nach der zukünftigen<br />

Rolle des Europäischen Parlaments.<br />

Die Beiträge der FAZ waren bis 1997 von<br />

einem eher ambivalenten Verhältnis zur WWU<br />

bestimmt: Zwar wurde die WWU nicht grundsätzlich<br />

in Frage gestellt, sehr wohl aber die<br />

Existenz einer Vielzahl von Problemen und<br />

ungelösten Fragen herausgehoben. Die Berichterstattung<br />

in der Zeit unterschied sich in<br />

dieser Frage grundsätzlich. Mit ihrem Speerträger<br />

Helmut Schmidt plädierte sie leidenschaftlich<br />

für eine sofortige und einheitliche<br />

WWU, die v.a. auch aus politischen und nicht<br />

bloß wirtschaftlichen Erwägungen durchzusetzen<br />

sei, selbst wenn dies eine flexible politische'<br />

Auslegung der Konvergenzkriterien<br />

erforderlich mache.<br />

2.2 Großbritannien: Den Niedergang<br />

bewältigen<br />

In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts müssen<br />

die Auseinandersetzungen zum europäischen<br />

Einigungsprozess in den beiden größten<br />

britischen Wochenzeitschriften The Economist<br />

(TE) und The New Statesman (TNS)<br />

vor dem Hintergrund des Abstiegs Großbritanniens<br />

von einer hegemonialen Weltmacht<br />

zu einem Land, das allenfalls noch zweitrangige<br />

Geltung für sich beanspruchen konnte,<br />

gelesen werden. Die systematische Lektüre<br />

der Leitartikel und Kommentare in den beiden<br />

Wochenzeitschriften zeugt von einer konstanten<br />

Präferenz für eher kooperative, nicht<br />

für integrative Integrationsprojekte. Im Angesicht<br />

des Niedergangs des Britischen Empire<br />

blieb beiden Wochenzeitschriften jedoch<br />

kaum eine andere Wahl, als die Mitgliedschaft<br />

Großbritanniens in den Europäischen Gemeinschaften<br />

schließlich gutzuheißen, um dennoch<br />

unbeirrt weiterhin die Souveränität, die idealisierte<br />

Geschichte und die Eigenständigkeit<br />

der Institutionen des Landes herauszustreichen.<br />

In den Jahren zwischen 1946 und 1957 spiegeln<br />

die Diskussionsbeiträge zum Thema der<br />

Europäischen Einigung im TE und im TNS<br />

das anhaltende Drama des britischen Niedergangs<br />

wieder. Die Leitartikel und Kommentare<br />

im TE skizzierten in diesen Jahren die Umrisse<br />

einer atlantischen Gemeinschaft mit militärischen<br />

und wirtschaftlichen Dimensionen.<br />

Diese die Vereinigten Staaten, Großbritannien<br />

mit seinen alten Besitzungen und Westeuropa<br />

umfassende atlantische Gemeinschaft sollte intergouvernemental<br />

gestaltet werden; TE hoffte<br />

wohl insgeheim, dass sich der Commonwealth<br />

als Modell durchsetzen würde.<br />

Bezogen auf die kontinentalen Entwicklungen<br />

hin zu einer EGKS und zur EVG nahm der TE<br />

die Position eines interessierten, jedoch außenstehenden<br />

und skeptischen Beobachters ein,<br />

mit einem Auge blind dafür, dass Großbritannien<br />

eines Tages selber an einem solchen supranationalen<br />

Projekt teilnehmen könnte. Der<br />

TNS hingegen unterschied sich in seiner Bewertung<br />

der institutionellen Entwicklung Europas<br />

grundsätzlich. In Ubereinstimmung mit<br />

der Labour Party brachte der TNS nur wenig<br />

Begeisterung für eine atlantische Allianz oder<br />

für die pro-amerikanischen Verbundenheit des<br />

Economist auf. Deutlicher als im Economist<br />

blieben die im TNS zum Ausdruck gebrachten<br />

politischen Uberzeugungen dem dualen System<br />

des britischen Commonwealth verhaftet<br />

und basierten auf zwei sich ergänzenden Prinzipien:<br />

Sozialismus im Heimatland und Freihandel<br />

mit dem Commonwealth.<br />

Zwischen 1957 und den frühen 80ern begann<br />

man sich in den Leitartikeln und Kommentaren<br />

allmählich mit dem Gedanken einer Mitgliedschaft<br />

in den Europäischen Gemeinschaften<br />

anzufreunden. Die strukturelle Krise der<br />

britischen Wirtschaft warf Großbritanniens Alternative<br />

zu den Europäischen Gemeinschaften,<br />

die europäische Freihandelsassoziation

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