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Vollversion (7.43 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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94<br />

PULSSCHLAG<br />

gründet worden. Für Rucht ist das ein reines<br />

Medienprodukt. Er räumt allerdings ein, dass<br />

seit Seattle eine Art Wahrnehmungsrevolution<br />

der Medienöffentlichkeit gegen die negativen<br />

Auswirkungen des Globalisierungsprozesses<br />

stattfindet. Trotzdem: Proteste mit einem<br />

argumentativen Spektrum gegen die<br />

Struktur des Welthandels habe es bereits 1985<br />

auf dem G-7-Gipfel in Bonn und 1988 in Berlin<br />

gegeben, wo 80.000 Menschen gegen IWF<br />

und Weltbank protestiert und Hunderte von<br />

Gegenveranstaltungen stattgefunden hatten.<br />

Globalisierung und Neoliberalismus wurden<br />

nach Seattle zum Thema einer breiten Öffentlichkeit<br />

und die Akteure des Protests zur Anti-<br />

Globalisierungsbewegung stilisiert - für<br />

Rucht ist das ein dritter Mythos. Denn die<br />

Etikettierung als Globalisierungsgegner wird,<br />

meint der Soziologe, dem Anliegen der Kritiker<br />

nicht gerecht. Im Gegenteil, viele Gruppen<br />

und Netzwerke hätten mit ihren Forderungen<br />

nach einer Demokratisierung von<br />

transnationalen und internationalen Regierungsorganisationen,<br />

ihrem Anspruch auf eine<br />

Vernetzung von nationalen und internationalen<br />

Protestgruppen und in ihren Solidaritätsbekundungen<br />

mit <strong>Bewegungen</strong> und Gruppen<br />

in anderen Ländern einen explizit pro-globalen<br />

Charakter. Es müsse sich aber erst noch<br />

herausstellen, inwieweit diese Globalisierungsbestrebungen<br />

von unten, zu denen auch<br />

das transnational agierende Aktionsnetzwerk<br />

,Peoples Global Action' (PGA) zählt, über einen<br />

längeren Zeitraum Bestand haben. Auch<br />

habe sich der Erfolg von Seattle bei den nachfolgenden<br />

Großereignissen nicht fortgesetzt.<br />

Die Sympathie für die Aktivisten sei zwar gerade<br />

nach dem gewaltsamen Vorgehen der Polizei<br />

in der Bevölkerung gestiegen, doch könne<br />

daraus nicht auf eine Kontinuität der Proteste<br />

und ihrer Erfolge geschlossen werden.<br />

Eine nähere Bestimmung des Kampagnenbegriffs<br />

gab der Soziologe Christian Lahusen<br />

<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 14, Heft 4, 2001<br />

von der Universität Bamberg. „Eine Kampagne<br />

ist die geplante und vorbereitete Reihe<br />

von Kommunikationsaktivitäten, die zur Veränderung,<br />

Erzielung oder Erreichung eines<br />

Wandels von Verhaltensweisen, Entscheidungen<br />

und Einstellungen beitragen sollen", so<br />

Lahusen. Kampagnen teilt der Soziologe idealtypisch<br />

in Aufklärungs-, Aktions-, Rekrutierungs-<br />

und Einflusskampagnen ein. Anhand<br />

der Analyse von ausgewählten internationalen<br />

Solidaritätskampagnen - die Life-<br />

Aid-Konzerte der achtziger Jahre - führte<br />

Lahusen die Schwierigkeiten einer langfristigen<br />

Wirkung dieser Proteste aus. Nach Ablauf<br />

der themenzentrierten Maßnahmen hatten<br />

sie offenbar relativ schnell an Bedeutung<br />

verloren, sprunghaft angestiegene Mitgliederzahlen<br />

etwa bei amnesty international<br />

gingen wieder zurück.<br />

Spannend ist sicher die Frage, wie sich das<br />

international agierende Netzwerk Attac, das<br />

Pressesprecher Felix Kolb vorstellte, entwickeln<br />

wird. Seit der Gründung in Frankreich<br />

im Jahr 1998 ist die Mitgliederzahl der Bereinigung<br />

zur Besteuerung von Finanztransaktionen<br />

im Interesse der Bürgerinnen' auf<br />

weltweit mehr als 50.000 gestiegen, davon<br />

in Frankreich 30.000, in Deutschland gut<br />

1.800. Attac operiert mit themenbezogenen<br />

Kampagnen, etwa zur Tobin-Steuer oder zur<br />

Schließung der Steueroasen, versteht sich<br />

aber auch als Teil einer Globalisierungskritischen<br />

Bewegung. Chancen für eine transnationale<br />

Protestkultur liegen bei Attac sicher<br />

in der Attraktivität für viele unterschiedliche<br />

Gruppen und Menschen, in der<br />

Forderung nach gewaltlosen Protesten und<br />

dem ausgegebenen ideologischen Pluralismus.<br />

Auch die gleichzeitige Basis- und Bewegungsorientierung,<br />

die Mischung aus<br />

Netzwerk und Organisation, die angestrebte<br />

thematische Vielfalt, die Kooperations- und<br />

Bündnisorientierung und die Pluralität von<br />

<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 14, Heft 4, 2001 95<br />

Instrumenten und Aktionsformen des Protests<br />

üben auf Viele eine Anziehungskraft<br />

aus, so Kolb. Und doch ist noch nicht entschieden,<br />

ob sich das Netzwerk mit diesem<br />

Anspruch halten kann.<br />

Auf einige Schwierigkeiten wies Dieter Rucht<br />

hin, so auf die Gefahr, Attac könne zum Dachverband<br />

miteinander konkurrierender Einzelgruppen<br />

werden, das schnelle Wachstum nicht<br />

verkraften oder von der hegemonialen Politik<br />

kooptiert werden - Gerhard Schröders<br />

,Umarmungsrede' vom 4. September 2001<br />

über sein Verständnis für die friedlichen Globalisierungskritiker<br />

ist ein deutlicher Versuch,<br />

den Kritikern die Basis für ihre Kritik zu entziehen.<br />

Trotzdem: Attac besitzt eine Attraktivität,<br />

die Peter Wahl mit der Akzeptanzkrise<br />

des neoliberalen Globalisierungsprozesses<br />

erklärt - eine Krise, die sich für eine Bewegung<br />

wie ein ,window of opportunity' auswirken<br />

kann. Chancen für neue Protestkulturen,<br />

darin waren sich Forscher und Vertreter<br />

von medico international, Transparency International,<br />

PGA, WEED, Erlassjahr 2000 und<br />

Attac einig, liegen in den veränderten Kommunikationsmöglichkeiten<br />

gerade durch das<br />

Internet. Die neuen Medien bieten lokalem,<br />

nationalem und internationalem zivilgesellschaftlichen<br />

Engagement ein Potential zur<br />

besseren Vernetzung.<br />

Die Kritiker der neoliberalen Globalisierung<br />

sind in .Politiklücken' gestoßen, so Frieder<br />

Otto Wolf vom Berliner Institut für europäische<br />

Kommunikation (inEcom), wie volkswirtschaftlich<br />

hochriskante Börsenspekulationen,<br />

Abbau der <strong>Soziale</strong>n Sicherungssysteme und<br />

Arbeitslosigkeit, die zumindest auf absehbare<br />

Zeit von staatlichen Seiten nicht gefüllt<br />

werden und das Bestehen dieser Protestform<br />

wahrscheinlich machen. Der internationale<br />

Charakter von Attac bei einer gleichzeitigen<br />

Dominanz gerade der Franzosen könne aber<br />

PULSSCHLAG<br />

dazu führen, andere Kulturen als black box<br />

zu behandeln und einen neuen Protektionismus<br />

zu zeitigen, gab der Philosoph und Politikwissenschaftler<br />

zu bedenken.<br />

Das Netzwerk wird sich einer ganzen Reihe von<br />

Herausforderungen stellen müssen. Und zwar<br />

auch den Schwierigkeiten, erörterte Ronald Köpke<br />

von der Hamburger Hochschule für Wirtschaft<br />

und Politik, die zwischen Nord-Süd-,<br />

Nord-Nord- und Süd-Süd-Netzwerken, bestehen.<br />

Der Inhalt der Globalisierungskritik kann<br />

nämlich auf der südlichen Erdkugel, das zeigte<br />

Köpke an verschiedenen NGOs in Lateinamerika,<br />

an den Verhältnissen vor Ort orientiert sein,<br />

während die Bewegung in der nördlichen Hemisphäre<br />

auf internationale Solidarität setzt.<br />

Gabriele Rohmann, Berlin<br />

CALL FOR PAPE RS I<br />

Kongress:<br />

Demokratie und<br />

Sozialkapital -<br />

die Rolle zivilgesellschaftlicher<br />

Akteure<br />

OrtundTermin:<br />

Wissenschaftszentrum für Sozialforschung<br />

Berlin (WZB), Freitag, 28. Juni und Samstag,<br />

29. Juni 2002<br />

Veranstalter:<br />

Arbeitskreis „<strong>Soziale</strong> <strong>Bewegungen</strong>" der<br />

DVPW/<strong>Forschungsjournal</strong>NSB/WZB/ Arbeitskreis<br />

„Verbände" der DVPW<br />

Träger (angefr.):<br />

Heinrich-Böll-Stiftung, Hans-Böckler-Stiftung,<br />

Otto-Brenner-Stiftung

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