Vollversion (7.43 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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64 Helen Schwenken<br />
desgrenzschutz (BGS) bindet Ortsansässige als<br />
,Grenzpolizeiliche Unterstützungskräfte' oder<br />
im Rahmen von Projekten wie der .Solidargemeinschaft<br />
Schutz vor Kriminalität' in die<br />
Fahndung ein, auch gibt es Telefonnummern,<br />
bei denen auffällige <strong>Bewegungen</strong> und Personen<br />
in Grenznähe gemeldet werden sollen. Ein<br />
Großteil der Kontrollen geht mittlerweile auf<br />
Hinweise ,aus der Bevölkerung' zurück. Zur<br />
Provokation dieser Teile der Bevölkerung wurde<br />
1998 an der deutsch-polnisch-tschechischen<br />
Grenze ein Mahnmal für den ,Unbekannten<br />
Fluchthelfer' aufgestellt. Der Begriff .Fluchthilfe',<br />
der aus dem Vokabular des Kalten Krieges<br />
stammt, soll im Gegensatz zu den verbreiteteren<br />
Begriffen ,Schleuser' oder ,Schlepper'<br />
verdeutlichen, dass die Unterstützung beim irregulären<br />
Grenzübertritt ein humanitärer Akt<br />
ist; einige antirassistische Gruppen begreifen<br />
Fluchthilfe auch als Dienstleistung, da es ohne<br />
eine solche Inanspruchnahme bezahlter Dienstleistung<br />
kaum noch möglich sei, die Grenzen<br />
der EU zu überqueren. Mit dieser Intention<br />
konzipierten eine Reihe von Künstlerinnen und<br />
Migrantinnengruppen Aktivitäten, u.a. die Postwurfsendung<br />
,Neues Grenzblatt', die im April<br />
2001 entlang der gesamten EU-Außengrenze<br />
in der Steiermark (Osterreich) an 12.000 Haushalte<br />
versandt wurde. Durch die populäre Gestaltung<br />
und Uberschriften wie „Fluchthilfe -<br />
Service mit Qualität" sollten Bewohnerinnen<br />
in der Grenzregion neugierig gemacht und mit<br />
antirassistischen Stellungnahmen und Sichtweisen<br />
konfrontiert werden (http://www.t0.or.at/<br />
fluchthilfe). Die antirassistische Praxis dieser<br />
Gruppen begreift somit den Diskurs um illegale<br />
Migration als umkämpftes Feld, in dem<br />
diskursive Kontrapunkte gesetzt werden können.<br />
Gleichzeitig versuchen Menschenrechtsorganisationen<br />
wie Pro Asyl oder der Europäische<br />
Flüchtlingsrat in Brüssel durch Lobbypolitik<br />
eine Regelung zu bewirken, nach<br />
der Fluchthilfe aus humanitären Gründen keine<br />
Bestrafung nach sich zieht, da diese eine<br />
Kriminalisierung humanitärer Organisationen<br />
bedeute.<br />
2.2 Binnenverlagerung von<br />
Außengrenzen<br />
Nicht nur die direkten Außengrenzen sind Anlaufpunkt<br />
für Aktionen antirassistischer Gruppen.<br />
Im August 2001 wurde etwa die nach<br />
innen verlagerte EU-Außengrenze am Frankfurter<br />
Flughafen im Rahmen eines weiteren<br />
.Grenzcamps' thematisiert.<br />
Mit der Änderung des Artikel 16 des Grundgesetzes<br />
1993 trat auch ein neues Asylverfahrensgesetz<br />
in Kraft, zu dem die ,Drittstaatenregelung'<br />
gehört, d.h. bereits an der Grenze<br />
kann Asylbewerberinnen die Einreise verwehrt<br />
werden, so sie aus einem anderen Land der<br />
Europäischen Union oder einem sog. .sicheren<br />
Drittland' kommen. Da laut Definition alle<br />
die BRD umgebenden Länder unter diese Regelung<br />
fallen, können Asylbewerberinnen nur<br />
noch legal über den Luftweg einreisen. Diese<br />
Logik scheint von der „Auslöschung des Politischen"<br />
(Vogl 1998) geprägt zu sein, da der<br />
.richtige' Einreiseweg relevanter als die tatsächliche<br />
politische Verfolgung geworden ist.<br />
Aufgrund dieser Regelung wurde in §18a des<br />
Asylverfahrensgesetzes das sog. Flughafenverfahren<br />
geschaffen, d.h. Asylbewerberinnen und<br />
Personen ohne gültige Papiere werden unter<br />
oft schlechten hygienischen und sozialen Bedingungen<br />
in der Transitzone von Flughäfen<br />
fest gehalten. 1997 wurden insgesamt 2.262<br />
Asylanträge im .Flughafenverfahren' gestellt,<br />
davon gut 75 Prozent am Frankfurter Flughafen.<br />
Eintreffende Flüchtlinge „lernen den<br />
Frankfurter Flughafen somit nicht nur als<br />
Schnittstelle zwischen transnationaler Migration<br />
und territorialer Staatlichkeit, sondern<br />
insbesondere als Ort der Konfrontation mit der<br />
bundesdeutschen .frontier', mit einer aggressiven<br />
Variante eines ausschließenden national-<br />
„No border, no nation, stop deportation!" 65<br />
staatlichen Grenzregimes, kennen" (Sack 2000:<br />
21).<br />
In der Nähe zu diesem symbolischen Ort, an<br />
dem sich die politische Regulierung von Einwanderung<br />
materialisiert, fand im August 2001<br />
die zehntägige Gegenveranstaltung mit<br />
insgesamt mehr als'2.000 ,Grenzcampenden'<br />
statt. Am Flughafen wurde u.a. die kritische<br />
Auseinandersetzung mit und Aufklärung von<br />
Fluggästen sowie Beschäftigten gesucht. In der<br />
Frankfurter Innenstadt sollten symbolische<br />
Grenzziehungen (.Hier verläuft die Postleitzahlengrenze')<br />
und Simulationsspiele mit Passantinnen<br />
(.Haben Sie das Deutschen-Gen?')<br />
verdeutlichen, mit welchen Praktiken Flüchtlinge<br />
konfrontiert sind. Die Frankfurter Flughafengesellschaft<br />
Fraport zeigte sich nicht diskussionsbereit<br />
und schloss die Flughafengebäude<br />
für Nicht-Fluggäste und kündigte einen<br />
Mietvertrag mit Menschenrechtsgruppen, die<br />
ein internationales Hearing zum Flughafenverfahren<br />
in einem Konferenzsaal durchführen<br />
wollten.<br />
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2.3 Europa ohne Grenzkontrollen -<br />
eingeschränkte Freizügigkeit<br />
Zusätzlich zur 30-Kilometer Grenzzone gehen<br />
die Bundesländer in der BRD zunehmend dazu<br />
über, zentrale Wege des Verkehrsnetzes (Bundesautobahnen,<br />
Europastraßen) und öffentliche<br />
Einrichtungen des internationalen Verkehrs<br />
(Bahnhöfe, Flughäfen, Tank-/Raststätten, Häfen)<br />
als .grenzrelevante' Räume zu definieren,<br />
in denen Verdachts- und ereignisunabhängige<br />
Kontrollen durchgeführt werden. 1999 wurden<br />
nach Angaben des BGS 760.000 Kontrollen<br />
nach der erweiterten Befugnisnorm durchgeführt<br />
(Bundesgrenzschutz 1999). Lokal haben<br />
sich eine Reihe von Gruppen wie Bürgerinnen<br />
beobachten den BGS' in Dortmund oder<br />
Köln, gegründet, um rassistisch motivierte Kontrollen<br />
zu beobachten und öffentlich zu thematisieren.<br />
Von Betroffenen gibt es aus nahe liegenden<br />
Gründen - der Konfrontation mit den<br />
mit Rechtsmitteln ausgestatteten staatlichen<br />
Autoritäten - keine Selbstorganisierung.<br />
Im letzen Jahr fanden<br />
ausgehend von den<br />
.Sans Papiers' in<br />
Frankreich und der<br />
von Migrantinnen<br />
und Flüchtlingen organisierten.Karawane<br />
für die Rechte der<br />
Flüchtlinge' in<br />
Deutschland Grenzdemonstrationen<br />
zwischen Frankreich<br />
und Deutschland<br />
statt, um auf die begrenzte<br />
Gültigkeit<br />
der europäischen<br />
Freizügigkeit für<br />
Nicht-Unionsbürgerinnen<br />
aufmerksam<br />
zu machen.