Vollversion (7.43 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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108<br />
LITERATUR<br />
Obgleich der Sammelband zum Teil bereits Altbekanntes<br />
zum Thema Arbeit, Frauen und Dritter<br />
Sektor enthält und der gesetzlichen Neuregelungswelle,<br />
gerade im Bereich des Sozialund<br />
Gemeinnützigkeitsrechts, an Aktualität<br />
leicht hinterherhinkt, ist er doch eine gelungene<br />
Zusammenstellung aus der Perspektive der ,Krise<br />
der Arbeitsgesellschaft' kontrovers und unterschiedlich<br />
fokussierter Beiträge. Dabei ist<br />
die Suche nach dem verbindenden Element der<br />
unterschiedlichen theoretischen wie empirischen<br />
Beiträge kein Leichtes: letztlich plädieren<br />
einige Autorinnen und Autoren im Kern für<br />
eine ,Zementierung' der Erwerbsarbeitszentrierung,<br />
während andere gerade die Loslösung<br />
vom tradierten Erwerbsarbeitssystem durch<br />
Aufwertung und Anerkennung anderer Formen<br />
der Arbeit und des Tätigseins zum Inhalt haben.<br />
Der Band kann aber gerade durch diese verschiedenen<br />
theoretischen Schwerpunkte und<br />
empirischen Beispiele die produktive Vielfalt<br />
und das Innovationspotential dessen deutlich<br />
machen, was weder der ,reinen' Marktlogik<br />
entspricht noch der hierarchisch administrativstaatlichen<br />
(Ver-)Regelung folgt und deshalb<br />
für eine zukünftige moderne, solidarische Gesellschaft<br />
unabdingbar erscheint.<br />
Christina Stecker, Münster<br />
Besprochene Literatur<br />
Andruschow, Katrin (Hg.) 2001: Ganze Arbeit.<br />
Feministische Spurensuche in der Non-Profit-<br />
Okonomie. Herausgegeben von der Hans-<br />
Böckler-Stiftung. Berlin: Ed Sigma.<br />
ta<br />
NGOs auf dem<br />
Abstellgleis<br />
Das öffentliche, politische sowie das wissenschaftliche<br />
Interesse an NGOs hat in den vergangenen<br />
Jahren enorm zugenommen. Nach<br />
<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 14, Heft 4, 2001<br />
vielen noch unbelasteten politischen und wissenschaftlichen<br />
Einschätzungen drängt sich<br />
vor dem Hintergrund sich konkretisierter postfordistischer<br />
Vergesellschaftungsformen eine<br />
Neubewertung auf. Politikfelder sowie Formen,<br />
Funktionen und Wirkungsweisen des internationalen<br />
Institutionengefüges, in welchem<br />
sich NGOs bewegen, sind empirisch breit aufgearbeitet.<br />
Das vorliegende Buch, welches im<br />
Zusammenhang mehrerer Arbeitstagungen<br />
entstanden ist, stellt sich der Herausforderung<br />
einer theoretischen Neubewertung aus Sicht<br />
von (kritischer Sozial)Wissenschaft und unmittelbarer<br />
NGO-Praxis.<br />
Die Herausgeber stellen in den Mittelpunkt<br />
der Fragestellung die theoretische Aufarbeitung<br />
des gesellschaftlichen Phänomens<br />
NGO, da sie ein Auseinanderklaffen von empirischen<br />
Fundament und theoretischen<br />
Uberbau konstatieren. Staats- und gesellschaftstheoretische<br />
Defizite, welche sich<br />
nicht nur in einer falschen Einschätzung für<br />
die Praxis niederschlagen, sondern auch in<br />
einer nicht adäquaten Form theoretischer<br />
Reflexion gesellschaftlicher Verhältnisse,<br />
sollen so aufgehoben werden. Ziel des Buchs<br />
ist es, einen „pointierten Beitrag zur Debatte<br />
um die politische Relevanz von NGO" (12)<br />
zu liefern und dabei die breit formulierte<br />
Roilenzuschreibung für Demokratisierungsprozesse<br />
zu untersuchen. Wie der Titel<br />
„Nichtregierungsorganisationen in der<br />
Transformation des Staates" bereits andeutet,<br />
werden NGOs nicht nur in sich verändernden<br />
gesellschaftlichen Verhältnissen<br />
verortet, sondern selbst als gestaltendes<br />
Moment ins Blickfeld genommen.<br />
Stillgestellte Bewegung<br />
Joachim Hirsch verortet NGOs vor dem Hintergrund<br />
der Regulationstheorie im Prozess<br />
der Internationalisierung des Staates und der<br />
Herausbildung einer internationalen Regula-<br />
<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 14, Heft 4, 2001 109<br />
LITERATUR<br />
tionsweise. Ausgehend von den realen Entstehungsbedingungen<br />
entwickelt er einen Begriff<br />
der NGO, um der Kurzsichtigkeit starrer Definitionen<br />
zu entgehen. Mit ihm wird die Rolle<br />
von NGOs für Demokratisierungsprozesse in<br />
Transformationsprozessen seit den siebziger<br />
Jahren ausgelotet. Hirsch stellt eine Re-Artikulation<br />
von Klassenbeziehungen und Staatensystemen<br />
auf internationaler Ebene in einem<br />
neuen institutionellen Gefüge fest.<br />
Roland Roth zieht für die Bewertung der NGOs<br />
als theoretische Kontrastfolie die Ergebnisse<br />
der bereits etablierten Forschung zu sozialen<br />
<strong>Bewegungen</strong> hinzu und hofft dadurch auf eine<br />
Befruchtung der Debatte. Oft in den Neuen<br />
<strong>Soziale</strong>n <strong>Bewegungen</strong> wurzelnd, emanzipieren<br />
sich die meisten NGOs von diesen und<br />
verstärken als etablierte Akteure und Mitgestalter<br />
der Globalisierung Trends gesellschaftlicher<br />
Entwicklung und reorganisieren global<br />
bestehende Macht- und Herrschaftsverhältnisse.<br />
Christoph Görg und Ulrich Brand zeigen in<br />
ihrem Beitrag „Postfordistische Naturverhältnisse"<br />
konkret am Beispiel der Biodiversität,<br />
wie NGOs tragende Akteure bei der<br />
Konstitution der Problemlage und des Konfliktterrains<br />
sind und sich gerade darüber bestehende<br />
Herrschafts- und Machtverhältnisse<br />
reproduzieren können. Thomas Gebauer<br />
thematisiert als .Aktivist' die Kompensationsfähigkeit<br />
des offensichtlichen Legitimationsdefizits<br />
staatlicher Herrschaft durch die<br />
politischen Praxen der neuen Akteure am<br />
Beispiel der humanitären Hilfe. Dem zunehmenden<br />
autoritären Management von Gefahren<br />
und Krisen durch staatliche Politik<br />
setzt die vorherrschende NGO-Praxis keinen<br />
gelebten Widerspruch entgegen. Vielmehr<br />
ist sie, auch aufgrund der strukturellen<br />
Voraussetzungen, dessen Ergänzung. Peter<br />
Wahl stellt das Verhältnis von international<br />
agierenden NGOs und internationalen Re<br />
gierungsorganisationen in den Mittelpunkt<br />
seines Beitrags. Dabei wird offensichtlich,<br />
dass nach und nach alle Organisationen einen<br />
Konfrontationskurs aufgeben und versuchen,<br />
einen herrschaftlichen Konsens zu<br />
installieren. Dies ist nicht nur auf die gewinnbringende<br />
Einbindung von Kompetenzen,<br />
sondern auch auf den starken Druck der<br />
NGOs zurückzuführen. Am Beispiel der Entschuldung<br />
der ärmsten Länder der Welt zeigt<br />
Wahl, wie NGOs, integriert in politische<br />
Strukturen, herrschende Handlungskoordinaten<br />
und Interessen übernehmen. Alex Demiroyic<br />
arbeitet Staats- und demokratietheoretische<br />
Fragen auf. Abgrenzend von einigen<br />
politikwissenschaftlichen Vorstellung<br />
thematisiert er die Funktion von NGOs im<br />
Rahmen einer materialistischen Staatstheorie,<br />
die den bürgerlichen Staat als soziales<br />
Verhältnis und Demokratie als dessen Strukturprinzip<br />
und nicht als Regierungsform thematisiert.<br />
Bei der Beurteilung der „demokratisierenden<br />
Effekte" (164) kommt er zu einem<br />
pessimistischen Schluss, da der Staat<br />
als Zwangsapparat über die NGOs als Moment<br />
der Zivilgesellschaft reproduziert wird.<br />
Sackgasse NGO?<br />
Auffallend ist, dass der Sammelband trotz<br />
des Vorhabens, Staats- und gesellschaftstheoretische<br />
Defizite aufzuarbeiten, diese selbst<br />
kaum problematisiert. So werden NGOs als<br />
Akteure der ,Zivilgesellschaft' und des erweiterten<br />
Staates' (Gramsci) thematisiert,<br />
gleichzeitig wird aber hervorgehoben, dass<br />
es höchst problematisch sei, auf internationaler<br />
Ebene Begriffe wie ,Zivilgesellschaft'<br />
oder ,Staat' zu verwenden. Obwohl alle<br />
staatstheoretischen Fragestellungen vor dem<br />
Hintergrund der Theorie von Nicos Poulantzas<br />
abgehandelt werden, leuchtet allein Demirovic<br />
die Probleme bei der Anwendung<br />
auf gegenwärtige Transformationsprozesse<br />
aus.