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Vollversion (7.43 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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90<br />

PULSSCHLAG<br />

sehen Beratung zu arbeiten. 5<br />

Besonders jüngere<br />

Vertreter aus innovativ tätigen Beratungsnetzwerken<br />

wurden eingeladen. Denn die<br />

Grundthese der Konferenz war, dass für eine<br />

umfassende Bürgergesellschaft 6<br />

des 21. Jahrhunderts<br />

neben den etablierten Politikberatungsinstitutionen<br />

ein viel breiteres und vitaleres<br />

Spektrum an eher informell agierenden<br />

und netzwerkartig organisierten Think Tanks<br />

nötig ist, die aus dem zivilgesellschaftlichen<br />

Bereich kommen und dadurch unmittelbarer<br />

in die Gesellschaft hineinwirken können.<br />

Für die Konferenz wurde hierzu idealtypisch<br />

zwischen zwei Arten von Think Tanks unterschieden:<br />

Einerseits solche, die sich als Universitäten<br />

ohne Studenten hauptsächlich auf<br />

das akademische Erarbeiten von inhaltlichen<br />

Empfehlungen konzentrieren, sich aber nur<br />

unwesentlich damit beschäftigen, diese Analysen<br />

einer größeren Öffentlichkeit zugänglich<br />

zu machen, sondern vielmehr auf die unmittelbare<br />

Beratung von Regierungsebenen<br />

fokussiert sind. Andererseits wurde durch die<br />

Konferenz versucht, einer erst im Entstehen<br />

begriffenen neuen Generation von Think<br />

Tanks Geltung und Aufmerksamkeit zu verschaffen,<br />

die - insbesondere in Mittel- und<br />

Osteuropa - bisher noch zu unbemerkt die<br />

politisch-gesellschaftliche Bühne betritt. So<br />

sind dort in Fortführung des bereits beschriebenen<br />

spezifisch mittel- und osteuropäischen<br />

Think Tanks eine Reihe junger Policy Thinker<br />

dabei, eher netzwerkartig organisierte und<br />

aus dem zivilgesellschaftlichen Spektrum<br />

stammende Initiativ- und Beratungszirkel aufzubauen,<br />

die weniger darauf bedacht sind,<br />

hohe Regierungsfunktionäre zu beraten, als<br />

vielmehr direkt in das zivilgesellschaftliche<br />

Umfeld hinein zu wirken. Als interaktive und<br />

partizipative Aktionsplattform ist ihnen die<br />

Resonanz wichtiger als die Analyse; die Grenze<br />

zu den aus dem Boden schießenden Beratungsfirmen<br />

ist dabei freilich fließend. Denn<br />

<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 14, Heft 4, 2001<br />

auch wenn die Profitorientierung bei den<br />

Netzwerken nicht als solche im Mittelpunkt<br />

steht, so verstehen sich doch viele Vertreter<br />

dieser neuen Art von Think Tanks als Political<br />

Entrepreneurs, die ihr gesellschaftspolitisches<br />

Engagement beruflich umsetzen.<br />

Um diese beiden Typen von Think Tanks zusammenzuführen,<br />

ist zu einem funktional breiteren<br />

Verständnis dessen, was einen Think<br />

Tank ausmacht, anzuraten. Der von Gellner eingeführte<br />

Begriff der Ideenagentur eignet sich<br />

hierzu in hervorragender Weise, können<br />

darunter doch solche Organisationen verstanden<br />

werden, die zum einen politisch innovative<br />

Ideen entwickeln und zum anderen bestrebt<br />

sind, diesen im politischen Raum Geltung zu<br />

verschaffen. Der Grad an räumlicher, organisatorischer<br />

und personeller Gebundenheit sollte<br />

dabei ebenso wenig relevant sein wie Breite<br />

oder Spezialisierung in Bezug auf bestimmte<br />

Politikfelder, der Einwirkungsadressat (Regierungsebene<br />

oder Zivilgesellschaft) oder die Art<br />

und Weise wie dieser erreicht wird (akademisch<br />

oder aktionistisch). Ansonsten besteht die Gefahr,<br />

eine ganze Reihe neuer Organisationstypen<br />

außen vor zu lassen.<br />

Praktisches Ziel der Konferenz war es dementsprechend,<br />

einen Erfahrungsaustausch zwischen<br />

neuen und etablierten Akteuren des<br />

Think Tank-Bereichs, zwischen Ost und West<br />

zu ermöglichen, um Synergieeffekte zu erzeugen,<br />

die sich in langfristige Kooperationen<br />

niederschlagen. Um in knapper Zeit zu<br />

möglichst konkreten Ergebnissen zu gelangen,<br />

wurde auf langatmige Vorträge weitgehend<br />

verzichtet und stattdessen die in den<br />

USA entwickelte Open Space Method 1<br />

gewählt,<br />

die eine Diskussion von frei gewählten<br />

Themen in selbstorganisierten Gruppen<br />

ermöglicht. Die Ergebnisse dieser Gruppenarbeiten<br />

waren dementsprechend vielschichtig:<br />

So wurden Themen wie Fundraising für<br />

Forschungsjoumal NSB, Jg. 14, Heft 4, 2001 91<br />

Think Tanks, Wissensmanagement, die Rolle<br />

von Think Tanks im Prozess der EU-Integration,<br />

Aufbau von Beziehungen zur Regierungsebene,<br />

Kommunikationsstrategien und<br />

die Koordination von Netzwerken behandelt.<br />

Die Intention eines auf der Konferenz initiierten<br />

Pan-European Think Tank Empowerment<br />

Network ist es, in Zukunft weiteren gegenseitigen<br />

Austausch zu ermöglichen und<br />

durch gemeinsame Schulungen zur Stärkung<br />

und Weiterentwicklung der methodischen<br />

Tools und Skills beizutragen.<br />

3 Transnationale Netzwerke<br />

von Think Tanks<br />

Das auf der Konferenz anvisierte Netzwerk<br />

einer neuen Generation von Think Tanks lässt<br />

sich in einen größeren Zusammenhang gegenwärtiger<br />

Entwicklungen stellen, den Dr.<br />

Wolfgang H. Reinicke, langjähriger Mitarbeiter<br />

der Brookings Institution sowie der Weltbank<br />

und Initiator des Global Public Policy<br />

Network, in seinem Eröffnungsvortrag beschrieb.<br />

8<br />

So sei das heutige politische und<br />

wirtschaftliche Umfeld im Zuge der Globalisierung<br />

durch eine Beschleunigung von Veränderungen,<br />

das Anwachsen von Komplexität<br />

und Interdependenz fast aller für Entscheidungen<br />

relevanter Sachgebiete, ein Auseinanderfallen<br />

politischer und funktionaler Zusammenhänge<br />

und schließlich die immer größer<br />

werdende Bedeutung zivilgesellschaftlicher<br />

und wirtschaftlicher Akteure gekennzeichnet.<br />

Die traditionell hierarchisch organisierten<br />

staatlichen Bürokratien könnten mit<br />

diesen transnationalen Veränderungen nicht<br />

mehr mithalten und verlagerten als Reaktion<br />

Kompetenzen zunehmend auf höheren Ebenen.<br />

Dadurch entstünden sowohl funktionale<br />

bzw. organisatorische Schwächen (Regulierungsdefizite)<br />

als auch eine durch die Ausweitung<br />

der Exekutive gegenüber der Legislative<br />

bedingte Verminderung von Partizipations-<br />

und Demokratiestandards, was insge­<br />

PULSSCHLAG<br />

samt zu einem tiefgreifenden Legitimationsverlust<br />

führe.<br />

Reinicke setzt zur Lösung dieses Dilemmas<br />

auf ,Multi-Sektorale Netzwerke' von Regierungen,<br />

Wirtschaft und Zivilgesellschaft, um<br />

auf diese Weise geographische und sektorale<br />

Grenzen zu überwinden und Komplementarität<br />

der von den Akteuren jeweils eingebrachten<br />

Ressourcen zu erzielen (Legitimität, Wissen,<br />

Durchsetzungskompetenz). 9<br />

Think Tanks<br />

schlägt Reinicke in diesem Rahmen die Rolle<br />

von .Netzwerk Inkubatoren' vor, die helfen,<br />

bestehende Netzwerke zu stärken, langfristige<br />

Kooperationsbündnisse zu initiieren und<br />

sie mit (staatlichen) Entscheidungsstellen zu<br />

verknüpfen. Auf diese Weise würden Think<br />

Tanks eher den Prozess zur Lösung von Problemen<br />

begleiten als Vorschläge für weitere<br />

Regulierung unterbreiten. Das Stichwort lautet:<br />

Prozeduralisierung.<br />

Ein wesentliches Hemmnis dieser Entwicklung<br />

sind neben einer gewissen Scheuklappenmentalität<br />

jedoch leider oft mangelnde<br />

Kenntnisse darüber, welche Methoden es gibt<br />

und wie und wo sie eingesetzt werden können.<br />

Es ist immer wieder erstaunlich, wie wenigen<br />

von denen, die im Bereich der politischen<br />

Beratung und NGOs tätig sind, prozedurale<br />

Verfahren wie Zukunftskonferenzen<br />

und -Werkstätten, Planungszellen, Open<br />

Space-Konferenzen, um nur einige von ca. 80<br />

weiteren zu nennen, bekannt sind.<br />

4 Think Tanks im Internetzeitalter<br />

Als Follow-up zur Konferenz in Breslau und<br />

Kreisau ist für das Frühjahr 2002 eine transatlantische<br />

Best Practice-Conference in Washington<br />

DC über Think Tanks im Internetzeitalter<br />

geplant, auf der die Chancen und Herausforderungen<br />

dargestellt werden sollen,<br />

die sich für Think Tanks aus der Digitalisierung<br />

von Informationsverarbeitung und -ver-

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