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Vollversion (7.43 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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48 Christoph O. Meyer<br />

wertung der Berichterstattung wieder. Eine interne<br />

Medienstudie im Auftrag der Kommission<br />

stellt fest, dass die Zahl der veröffentlichten<br />

Artikel mit EU-Bezug von 4.500 pro Monat im<br />

ersten Halbjahr 1995 auf etwa 11.500 im ersten<br />

Halbjahr 1997 gestiegen ist (Euromedia 1995-<br />

1997). Auch die Nachrichtenagenturen haben<br />

ihre Präsenz in Brüssel und ihre Berichterstattung<br />

verstärkt, nicht nur in Bezug auf traditionelle<br />

Wirtschaftsthemen. Die Nachrichtenagentur<br />

Reuters hat etwa zwischen 1995 und 1997<br />

ihre EU-Berichterstattung von 19.000 auf 24.500<br />

Artikel im Jahr erhöht (Rist 1997). Gleichzeitig<br />

schicken immer mehr Redaktionen Mitarbeiter<br />

nach Brüssel oder stocken ihre Büros dort auf.<br />

Zwischen 1987 und 1999 ist die Zahl der akkreditierten<br />

Journalisten in Brüssel von 480 auf<br />

820 gestiegen (Europäische Kommission 1986-<br />

1999). Damit sind mehr Journalisten bei der<br />

EU akkreditiert, als am Weißen Haus oder den<br />

Vereinten Nationen.<br />

4.2 Stärkere Konkurrenz und<br />

Fluktuation<br />

Die personelle Veränderung und stärkere Fluktuation<br />

innerhalb des Brüsseler Presskorps hatte<br />

auch Auswirkungen auf die politischen und<br />

professionellen Einstellungen der akkreditierten<br />

Presse. Journalisten, die seit der BSE-Krise<br />

nach Brüssel gekommen sind, bezeichnen<br />

sich weniger häufig als starke Unterstützer der<br />

EU als diejenigen, die schon mehr als acht<br />

Jahre in Brüssel arbeiten.<br />

Unter einen gewissen Veränderungsdruck sind<br />

jedoch nicht nur die Anhänger der Kommission<br />

gekommen, sondern auch diejenigen, die<br />

Brüssel als Terrain der Außenpolitik sahen, über<br />

das man informieren sollte, das aber nicht hinterfragt<br />

werden musste. Die Aufwertung und<br />

das größere Angebot des Nachrichtenprodukts<br />

Europa haben die Nachfrage nach exklusiven<br />

Berichten und damit den Rechercheaufwand<br />

erhöht. Die zunehmenden Präsenz von Nachrichtenagenturen<br />

in Brüssel und die Verfügbarkeit<br />

von Pressemitteilungen im Internet<br />

macht die Arbeit der Korrespondenten in den<br />

Heimatredaktionen transparenter, und damit<br />

überprüfbarer. Sowohl die Bequemlichkeit des<br />

reinen Informations- und Lobbyjournalismus<br />

als auch die falsche Rücksichtnahme der Pro­<br />

Europäer ist durch die neuen Anforderungen<br />

an EU-Berichterstattung unter Druck gekommen.<br />

Gleichzeitig haben sich die medienökonomischen<br />

Bedingungen für investigativen<br />

Journalismus in Brüssel verbessert. Dies bedeutet<br />

nicht nur eine stärkere Nachfrage nach<br />

Skandalen, sondern auch verstärkte Anreize für<br />

Journalisten, über den eigenen nationalen Zirkel<br />

hinaus zu recherchieren. Nur so werden<br />

Interessensvertretung und Versäumnisse der eigenen<br />

Regierung auf europäischem Parkett<br />

deutlich. Die weiterbestehende Trennung der<br />

nationalen Märkte begünstigt dabei neue Formen<br />

von transnationaler Zusammenarbeit zwischen<br />

Journalisten, die bei ,Medienmarktausländern'<br />

weniger um die Exklusivität ihrer Geschichte<br />

fürchten müssen. Ungefähr ein Drittel<br />

der Korrespondenten gab an, dass sie sich<br />

bei der Mehrzahl ihrer Recherchen mit ausländischen<br />

Kollegen austauschten. Doch nicht nur<br />

der tägliche Austausch zwischen Journalisten<br />

aus unterschiedlichen Ländern, sondern auch<br />

die zunehmende Rezeption ausländischer Medien<br />

tragen dazu bei, dass kritische Berichterstattung<br />

die Grenzen nationaler Öffentlichkeiten<br />

überwinden und politische Wirkung entfalten<br />

kann. So ergab die Stichprobenbefragung,<br />

dass der durchschnittliche Brüsseler Korrespondent<br />

zwischen vier und fünf ausländische<br />

Zeitungen und Magazine regelmäßig liest. Leitmedium<br />

ist dabei ganz klar die Financial Times<br />

(67 Prozent), gefolgt von Le Soir (51 Prozent)<br />

und Le Monde (39 Prozent), International<br />

Herald Tribüne (28 Prozent), Liberation<br />

(17 Prozent), und schließlich der Frankfurter<br />

Allgemeine Zeitung (11 Prozent).<br />

Europäische Öffentlichkeit als Watchdog 49<br />

5 Perspektiven für eine transnationale<br />

Öffentlichkeit der<br />

Massenmedien<br />

Trotz der geschilderten Entwicklungen, die sich<br />

an der Aufwertung der EU-Berichterstattung<br />

und zunehmenden Kooperation zwischen Journalisten<br />

aus unterschiedlichen Ländern festmachen<br />

lassen, ist doch die Kontrolle europäischen<br />

Regierens durch Öffentlichkeit noch unzureichend.<br />

Zwar ist deutlich geworden, dass<br />

die Kommission nicht länger auf eine journalistische<br />

Hausmacht bauen kann, die administrative<br />

oder persönliche Verfehlungen geflissentlich<br />

übersieht. Die journalistische Toleranzschwelle<br />

für politische oder persönliche Normverletzungen<br />

ist nach dem Echo/Cresson-Fall<br />

deutlich gesunken, wenn auch unterschiedlich<br />

stark innerhalb verschiedener nationaler Gruppierungen.<br />

Die Prodi-Kommission hat auf das<br />

Scheitern ihrer Vorgängerin mit zum Teil mu­<br />

tigen Reformen reagiert, die trotz aller Schwierigkeiten<br />

in der Umsetzung zeigen, dass mit<br />

dem Prinzip politischer Verantwortlichkeit und<br />

Transparenz in einer wichtigen Institution der<br />

EU ernst gemacht wird. Trotz dieser Fortschritte<br />

artikuliert sich eine europäische Medienöffentlichkeit<br />

nur entlang einiger weniger Themen<br />

und Ereignisse. Es mangelt ihr an Kontinuität,<br />

Tiefe, und Differenziertheit - nicht nur<br />

im Vergleich zu nationalen Räumen der Meinungsbildung<br />

und Kontrolle, sondern vor allem<br />

gemessen an den Auswirkungen der Europapolitik<br />

auf die Bürger.<br />

Eine Ursache für diese Defizite ist sicher auch in<br />

der Reibungsverlust, der bei der Überwindung<br />

der natürlichen Grenzen von Sprache, Kultur oder<br />

Ethnos auftritt. Allerdings könnten auch die<br />

Hauptakteure der europolitischen Kommunikation<br />

zu größerer Transparenz und transnationaler<br />

Synchronität beitragen. Als symptomatisch er-<br />

/feTR

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