Vollversion (7.43 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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34 Juan Diez Medrano<br />
päischer Institutionen und an der Gemeinsamen<br />
Agrarpolitik (GAP) finden sich als die<br />
alles überlagernden Themen, mit denen sich<br />
jeweils 18%, 19%, 15% und 12% der untersuchten<br />
Leitartikel und Kommentare auseinandergesetzt<br />
hatten (siehe Tabelle 1).<br />
Die Dominanz dieser Themen kann sich jeweils<br />
über einen langen Zeitraum in den Leitartikeln<br />
und Kommentaren behaupten. Das trifft uneingeschränkt<br />
für die beiden positiv besetzten<br />
Themen zu, die bereits die frühen europapolitischen<br />
Auseinandersetzungen bestimmt hatten.<br />
Kritik am Regierungsstil oder an der GAP<br />
ist dagegen erst in den Jahren zwischen 1973<br />
und 1985 laut geworden.<br />
Wir können daraus auf ein relativ stabiles<br />
Image des europäischen Integrationsprozesses<br />
und seiner Institutionen schließen: Die EU als<br />
wirtschaftliche und politische Notwendigkeit,<br />
gleichwohl mit Bedarf nach Reformen ihrer<br />
Agrarpolitik und ihres Regierungsstils. Dieses<br />
vorherrschende Image Europas hat sich in<br />
Großbritannien allerdings nur langsam durchsetzen<br />
können und bleibt bis heute umstrittener<br />
als in Spanien und in Deutschland. Der<br />
weitaus kontroversere Umgang mit dem Thema<br />
dokumentiert sich etwa darin, dass sich<br />
britische Leitartikel und Kommentare nur wenig<br />
geneigt zeigen, die Mitgliedschaft in der<br />
EU als wirtschaftlich vorteilhaft für ihr Land<br />
einzuschätzen. Wenn man statt positiver die<br />
negativen Referenzen zählt, so fällt auf, dass<br />
immerhin 12% der britischen Artikel im Gegensatz<br />
zu lediglich 2% in Spanien und<br />
Deutschland Aussagen über die erwarteten negativen<br />
Folgen der Mitgliedschaft des Landes<br />
in der EU enthalten; wohlgemerkt ein Ergebnis<br />
das für den gesamten Untersuchungszeitraum<br />
konstant bleibt. 5<br />
Neben dieser übereinstimmenden kognitiven<br />
Rahmung des Themas können aber auch spe<br />
zifische Unterschiede zwischen den Ländern<br />
festgestellt werden. So spielen etwa in Deutschland<br />
die Themen Frieden und Rücksichtsnahme<br />
auf die Empfindlichkeiten anderer Ländern<br />
eine signifikant wichtigere Rolle (jeweils 14%<br />
und 7% in den untersuchten Artikeln), verglichen<br />
mit der relativen Bedeutungslosigkeit dieser<br />
Themen in Großbritannien und Spanien<br />
(siehe Tabelle 1). In diesen Ergebnissen bleibt<br />
die tatsächliche Bedeutung, die deutsche Intellektuelle<br />
diesem Anliegen einer besonderen<br />
Verpflichtung Deutschlands gegenüber seinen<br />
Nachbarn zumessen, noch drastisch unterrepräsentiert.<br />
Zählt man statt direkter Äußerungen,<br />
die unmittelbar darauf Bezug nehmen,<br />
wie sich das deutsche Engagement für<br />
die europäische Einigung auf die Ängste anderer<br />
Länder gegenüber Deutschland auswirken<br />
könnte, alle Äußerungen, die sich auf das<br />
Thema Rücksichtnahme auf die Empfindlichkeiten<br />
anderer Länder gegenüber Deutschland<br />
beziehen, so steigt der Prozentsatz für den<br />
gesamten Untersuchungszeitraum von 7,4%<br />
auf 11,4%.<br />
In Spanien ist der Wunsch nach einem Bruch<br />
mit der traditionellen Isolation des Landes und<br />
die Erwartung einer beschleunigten Modernisierung<br />
am häufigsten in den europapolitischen<br />
Debatten aufgegriffen worden (jeweils 9% und<br />
5%). Die Häufigkeit, mit der diese Themen in<br />
spanischen Leitartikeln und Kommentaren wiederkehren,<br />
ist etwas höher als in Großbritannien.<br />
In den Debatten deutscher Leitartikel und<br />
Kommentare zum Integrationsprozess tauchen<br />
diese Themen schließlich gar nicht mehr auf.<br />
Britische Leitartikel und Kommentare unterscheiden<br />
sich von der deutschen und spanischen<br />
Art der Kommentierung durch eine Reihe<br />
weiterer Merkmale: Zunächst einmal finden<br />
in Großbritannien die wirtschaftlichen und<br />
militärischen Leistungen europäischer Institutionen<br />
als Gewähr für den funktionierenden<br />
Die Qualitätspresse und Europäische Integration 35<br />
Wettbewerb und die Sicherheit Europas kaum<br />
Erwähnung. Dieses Thema wird in lediglich<br />
10% der Artikel aufgegriffen, gegenüber<br />
immerhin 21% bzw. 27% in Spanien und<br />
Deutschland. Des weiteren unterscheiden sich<br />
britische Artikel in der relativen Häufigkeit,<br />
mit der die negativen Folgen des Integrationsprozesses<br />
und der EU-Mitgliedschaft für die<br />
nationale Souveränität und Identität des Landes<br />
diskutiert werden. Auch deutsche Leitartikel<br />
und Kommentare beschäftigen sich häufig<br />
mit dem Thema der Souveränität und Identität,<br />
betonen dabei aber lediglich, dass die Ubertragung<br />
von Souveränitätsrechten an sich eine<br />
gute Sache sei. So bewerten bemerkenswerte<br />
22% aller deutschen Artikel die Übertragung<br />
von Souveränitätsrechten zustimmend (gegenüber<br />
12% in Großbritannien und 4% in Spanien),<br />
aber nur 2% ablehnend (gegenüber 9% in<br />
Großbritannien und 0% in Spanien). 6<br />
Souveränität ist damit ein unter britischen und<br />
deutschen Intellektuellen heiß umkämpftes<br />
Thema, das in Spanien nahezu irrelevant bleibt.<br />
Allerdings stößt die Übertragung von Souveränitätsrechten<br />
in Großbritannien auf heftigen<br />
Widerspruch, wohingegen sie in Deutschland<br />
überschwängliche Unterstützung findet. Im<br />
Zeitvergleich ist in der Phase von der Gründung<br />
der EWG und EURATOM (1957) bis<br />
zum britischen Beitritt (1973) der Widerstand<br />
gegen die Abgabe von Souveränitätsrechten in<br />
Großbritannien am nachdrücklichsten zum<br />
Ausdruck gebracht worden. In den Jahren zwischen<br />
dem britischen Beitritt und der Unterzeichnung<br />
der Einheitlichen Europäischen Akte<br />
(EEA) (1986) ist diese Debatte zwar fortgeführt<br />
worden, dabei zeichnete sich allerdings<br />
immer deutlicher eine wachsende Zustimmung<br />
für einen Transfer von Souveränitätsrechten ab.<br />
Im letzten Jahrzehnt hat sich dann die Intensität<br />
dieser Debatte deutlich abgeschwächt. Die<br />
Zahl der Kommentare, die einer Übertragung<br />
von Souveränitätsrechten zustimmen, hat sich<br />
nun gegenüber den ablehnenden Stimmen verdreifacht.<br />
7<br />
Um der Komplexität dieser Information besser<br />
gerecht werden zu können, soll nun den Motiven<br />
nachgegangen werden, die Intellektuelle<br />
dazu veranlasst haben, die hier vorgestellten<br />
Themen in ihre Diskussion über den europäischen<br />
Einigungsprozess einzubringen. Das<br />
kann nur durch den Einstieg in die qualitative<br />
Analyse des zugrundegelegten Datenmaterials<br />
geleistet werden.<br />
2.1 Deutschland: Das ungelöste<br />
Souveränitätsproblem<br />
In der FAZ und der Zeit ist in den vergangenen<br />
50 Jahren immer unmissverständlich eine<br />
zustimmende Haltung gegenüber dem europäischen<br />
Einigungsprozess zum Ausdruck gebracht<br />
worden. Diese unerschütterliche integrationsfreundliche<br />
Einstellung entspringt<br />
allerdings weniger einem idealistischen Europäismus<br />
als einem pragmatischen Umgang mit<br />
der ungelösten Souveränitätsfrage. Sie bezieht<br />
sich auch auf zwei durch kleinere Nuancen zu<br />
unterscheidende Integrationsprojekte: Von der<br />
FAZ wird ein eher intergouvernementales Projekt,<br />
von der Zeit ein eher integrationistisches<br />
Projekt propagiert. Inhaltlich lässt sich die Debatte<br />
zum europäischen Integrationsprozess in<br />
vier Phasen unterteilen: die Phase vor Unterzeichnung<br />
der Römischen Verträge (1946-<br />
1957), die Phase bis zum Beitritt Großbritanniens<br />
zur EWG (1957-1972), die Phase vor<br />
Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen<br />
Akte (EEA) und dem Beitritt Spaniens und<br />
Portugals (1973-1986) und die Phase nach Unterzeichnung<br />
der EEA (1986-1997).<br />
Zwischen 1946 und 1957 konzentrierten sich<br />
fast alle Auseinandersetzungen auf die Bewältigung<br />
der Folgeprobleme des Zweiten Weltkriegs:<br />
die Wiedererlangung der vollen Sou-