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Vollversion (7.43 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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110<br />

LITERATUR<br />

Die insgesamt skeptischen bis negativen Einschätzungen<br />

der NGO-Praxen für eine Demokratisierung<br />

schlagen sich bei den meisten<br />

Beiträgen des Sammelbandes in einer politischen<br />

Position nieder, die den Widerstand radikaler<br />

sozialer <strong>Bewegungen</strong> als Dreh- und Angelpunkt<br />

sozialer Prozesse positiv hervorhebt.<br />

Aber auch hier bleiben spannende Fragen offen.<br />

Zum Beispiel die konfliktive Beziehung<br />

von institutioneller Einbindung in herrschende<br />

Strukturen und der Notwendigkeit, sozialen<br />

Widerstand zu institutionalisieren. Nicht nur<br />

um Kontinuität des Widerstands und die Geschichte<br />

der sozialen <strong>Bewegungen</strong> zu bewahren,<br />

sondern auch um eigene Formen der Vergesellschaftung<br />

kollektiv zu entwickeln. Die<br />

damit unmittelbar verbundene Frage nach der<br />

Rolle des Staates kommt ebenfalls zu kurz.<br />

Denn auch wenn eine instrumentalistische<br />

Konzeption des Staates abgelehnt und die Gefahr<br />

der Institutionalisierung von Widerstand<br />

in herrschaftliche Praxen hervorgehoben wird,<br />

wird eine generelle Verweigerung der Kooperation<br />

nicht formuliert und das entstandene<br />

Spannungsfeld nicht theoretisch aufgearbeitet.<br />

Darüber hinaus sticht der männliche Charakter<br />

des Buches hervor. Nicht nur dass es keine<br />

Autorin gibt, auch finden sich in keinem Beitrag<br />

geschlechtsspezifische Überlegungen und<br />

das, obwohl sich eine wissenschaftlich feministische<br />

Staats- wie Gesellschaftstheorie etabliert<br />

hat und politisch NGOs, die zu geschlechtsspezifischen<br />

Feldern arbeiten, eine<br />

breite Rolle einnehmen.<br />

Ingo Stützte, Berlin<br />

Besprochene Literatur<br />

Brand, UlrichlDemirovic, AlexlGörg, Christoph<br />

et al. (Hg.) 2001: Nichtregierungsorganisationen<br />

in der Transformation des Staates,<br />

Münster: Westfälisches Dampfboot.<br />

<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 14, Heft 4, 2001<br />

Wie rechtsextrem ist die<br />

Mitte?<br />

Die Welle fremdenfeindlicher Gewalt ab 1991<br />

und ihre negative in- und ausländische Resonanz<br />

zwangen die etablierten Parteien dazu<br />

Stellung zu beziehen. Aus dem Feld dieser<br />

vielfältigen Stellungnahmen greift Heinz Lynen<br />

von Berg für seine Arbeit, eine von Wolf-<br />

Dieter Narr (FU Berlin) und Helmut Müller<br />

(TU Berlin) betreute Dissertation, die Parlamentsdebatten<br />

der Jahre 1990-94 heraus, da er<br />

diesen nach wie vor eine zentrale Bedeutung<br />

für die politische und normative Orientierung<br />

der Bevölkerung zumisst. Diese Wahl ist vertretbar,<br />

auch wenn heute die mediale Verbreitung<br />

von Politikeräußerungen auf Pressekonferenzen<br />

oder in Interviews eine größere Öffentlichkeit<br />

erreichen dürfte. In jedem Fall ist<br />

es für die Analyse von Rechtsextremismus,<br />

insbesondere für Fragen seiner Eskalation und<br />

Akzeptanz/Ablehnung in der Bevölkerung<br />

wichtig, die politischen Reaktionen einzubeziehen,<br />

da sich hier - wie allein der Extremismusbegriff<br />

zeigt - Etikettierungs- und Stigmatisierungsprozesse<br />

vollziehen, an denen das<br />

politische System zentral mitwirkt. Der Autor<br />

beschränkt sich auf die Analyse des Diskurses<br />

im politischen System, über etwaige Wirkungen<br />

auf die Diskurse in Medien, Bevölkerung<br />

oder gar im rechten Lager wird nichts ausgesagt.<br />

Damit bleibt die These, dass der symbolischen<br />

Verarbeitung des Rechtsextremismus und<br />

der fremdenfeindlichen Gewalt im Parlament<br />

für die Legitimation der Abgrenzung und sozialen<br />

Kontrolle eine herausragende Bedeutung<br />

zukommt, zwar plausibel, kann aber aufgrund<br />

des Untersuchungsansatzes nicht belegt werden.<br />

Die vorliegende Arbeit analysiert Bundestagsreden,<br />

wobei durch die Beschränkung auf die<br />

beiden Volksparteien, die konservative Regie-<br />

<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 14, Heft 4, 2001<br />

rungspartei (CDU/CSU) und die ,linke' Oppositionspartei<br />

(SPD), natürlich vor allem der<br />

meinungsführende Mainstream abdeckt wird,<br />

was zwar die Übersichtlichkeit der Darstellung<br />

erhöht, aber eventuell die Breite der vorgebrachten<br />

Argumente einschränkt. Sieht man<br />

aber auf die Wirkung, dann waren die wenigen<br />

Bündnis90/Die Grünen- und die PDS/Linke<br />

Liste-Abgeordneten im 12. Bundestag wohl zu<br />

vernachlässigen. Die Analyse konzentriert sich<br />

auf die Argumentationsmuster, in denen der<br />

Rechtsextremismus gedeutet und vergangene<br />

wie zukünftige Handlungen ihm gegenüber<br />

legitimiert werden.<br />

Methodisch wählt Lynen von Berg einen qualitativen<br />

Ansatz, indem er zur Analyse der Reden<br />

mehrere Verfahren der interpretativen Sozialforschung<br />

(Deutungsmuster-, Dokumenten-<br />

und Diskursanalyse) kombiniert und durch<br />

eine quantitative Auswertung ergänzt, womit<br />

die Gefahr gebannt werden soll, einige passende'<br />

Textstellen zum ,Diskurs' zu erklären,<br />

ohne ihren quantitativen Anteil zu erfassen,<br />

und abweichende Argumentationen zu ,übersehen'.<br />

Angesichts der umfangreichen Textbasis<br />

hat der Autor ein eigenes Analyseverfahren<br />

entwickelt, das neben den Diskursen im<br />

engeren Sinne auch deren institutionelle Konstruktionsmechanismen<br />

sowie weitere gesellschaftliche<br />

Kontexte erfassen soll. Ergänzt<br />

wurde die Dokumentenanalyse durch ,semistrukturierte'<br />

Interviews mit Abgeordneten,<br />

Referenten u.a. Mit diesem Vorgehen kann<br />

Lynen von Berg den symbolischen Kampf um<br />

die Durchsetzung von Deutungen im Parlament<br />

in seinen Dimensionen gut rekonstruieren.<br />

Was sagt das Parlament?<br />

Der empirische Teil umfasst fünf Kapitel, in<br />

denen zentrale Dimensionen des Themas<br />

jeweils aus der Sicht der Union und der SPD<br />

dargestellt werden: die Beschreibung der Tä­<br />

LITERATUR<br />

terseite, die Beschreibung der Opfergruppen<br />

fremdenfeindlicher Gewalt, der Umgang mit<br />

den Reaktionen aus dem Ausland, die historische<br />

Bezugnahme auf die Weimarer Republik<br />

und die NS-Vergangenheit sowie schließlich<br />

die Ursachenzuschreibungen für Rechtsextremismus<br />

und Gewalt. Die einzelnen interessanten<br />

Einsichten der sorgfältigen Diskursanalysen<br />

zeigen, wie sehr die Argumente stets durch<br />

übergreifende politische Ziele, ideologische<br />

Grundorientierungen, Parteienkonkurrenz und<br />

Wählerrücksichten und weniger durch einen<br />

unmittelbaren Problembezug gesteuert werden.<br />

So wird etwa in der Frage der Ursachen für<br />

fremdenfeindliche Gewalt von der CDU/CSU<br />

das ,ungelöste Asylproblem', also ihr damaliges<br />

politisches Ziel als Regierungspartei favorisiert,<br />

um damit politischen Druck auf die SPD<br />

auszuüben, während Ausländerfeindlichkeit als<br />

Ursache negiert wird, da sie in dieser Argumentation<br />

als Folge des ungelösten Asylproblems<br />

angesehen und so partiell gerechtfertigt<br />

würde. Damit erscheint die SPD durch ihre<br />

(damalige) Weigerung, eine Änderung des<br />

Asylrechts mitzutragen, als der eigentliche<br />

Verursacher der rechtsextremen Gewaltwelle.<br />

Die SPD-Opposition wiederum präferiert als<br />

Erklärung sozio-ökonomische Krisen und gesellschaftliche<br />

Desintegrationserscheinungen,<br />

für die sie die Regierungspolitik verantwortlich<br />

macht.<br />

Das Argumentationsprofil der beiden Parteien<br />

erscheint grundsätzlich von ihrer Stellung als<br />

Regierung bzw. Opposition sowie von ihren<br />

ideologischen Grundpositionen her bestimmt.<br />

Die Union argumentiert machtstrategisch und<br />

staatspolitisch, indem sie Rechtsextremismus<br />

in einem dramatisierenden Diskurs als Gesetzgebungsproblem<br />

(Asylrecht) definiert, ihn<br />

andererseits in seiner Bedeutung relativiert,<br />

indem sie auf die vorgeblich ausländerfreundliche<br />

Haltung der Bevölkerung hinweist, die<br />

Schuld bei den Flüchtlingen sucht (,Asylbe-

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