Vollversion (7.42 MB) - Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen
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100 Forschunpsjournal NSB, Jp. 15, Heft 4, 2002<br />
Thematisch bedingt unterschied und unterscheidet<br />
sich die Dritte-Welt-Bewegung von<br />
anderen Protestbewegungen wie der Friedensoder<br />
Anti-AKW-Bewegung, da sie nicht auf<br />
die persönliche Betroffenheit ihrer Aktivisten<br />
setzen kann. Vielmehr muss sie dazu mobilisieren,<br />
sich gegen Verhältnisse einzusetzen,<br />
von denen ihre potentiellen Mitstreiter selbst<br />
profitieren. Der Ausgang aus dieser Paradoxie<br />
ist das Vehikel der Moral, die sich etwa in der<br />
Formel .Gleichheit und Gerechtigkeit weltweit'<br />
ausdrückt. Protest und advokatorische Politik,<br />
d.h. die stellvertretende Übernahme der .Position<br />
der Dritten Welt' im bundesrepublikanischen<br />
Kontext, sind die Kommunikationsformen<br />
dieser sozialen Bewegung. Wenn auch<br />
zwischen den verschiedenen Protagonisten der<br />
Dritte-Welt-Bewegung wie Kirchen, Jugendverbänden<br />
und Aktionsgruppen Unterschiede<br />
in der Fein-Argumentation bestanden haben,<br />
sei ihnen allen, so Proske, der moralische Impetus<br />
eigen gewesen. Mit der Studentenbewegung,<br />
die eine Katalysator-Funktion für die Dritte-<br />
Welt-Bewegung gehabt habe (Algerienkrieg,<br />
Vietnamkrieg), sei zwar der Glaube an eine<br />
Reformierbarkeit der staatlichen Entwicklungspolitik<br />
nachhaltig erschüttert worden, advokatorische<br />
Politik und somit der moralische Impetus<br />
wurden jedoch ebenso beibehalten wie der<br />
Glaube an die Notwendigkeit einer Bewusstseinsveränderung<br />
der Menschen in den .Metropolen',<br />
um das Dritte-Welt-Problem zu lösen.<br />
Von der Protest- zur Bildungsbewegung<br />
Wie kam es nun letztlich zur Selbstpädagogisierung<br />
der Protestbewegung? Eben durch den<br />
Glauben, dass Bewusstseinsänderung die Ziele<br />
der Bewegung erreichen könne. Die Dritte-<br />
Welt-Bewegung versteht sich als Lernbewegung<br />
(132). Sie - so Proske - „codiert die<br />
Bearbeitung des Dritte-Welt-Problems als Lernund<br />
Bildungsprozess und bestimmt die eigene<br />
Aufgabe als Vermittlung." (ebd.) Um diese Vermittlungsaufgabe<br />
leisten zu können, kritisiert<br />
die Dritte-Welt-Bewegung die institutionalisierte<br />
Pädagogik, verbleibt dabei jedoch selbst<br />
im Medium der Pädagogik und perpetuiert somit<br />
die Wahrnehmung des Problems als pädagogisches<br />
- nicht als soziales. Vielmehr kommt<br />
es in den Vorstellungen der Aktivisten zu einer<br />
„Verschränkung von gesellschaftlicher Veränderung,<br />
persönlicher Verbesserung und pädagogischen<br />
Formen von Bildung und Lernen"<br />
(134). Interessanterweise wird ähnlich wie in<br />
den staatlichen Agenturen der Entwicklungspolitik<br />
bzw. der Pädagogik das Individuum als<br />
„Medium der Problemsteuerung" (ebd.) ausgemacht.<br />
Dem sozialen Problem soll mithin<br />
mittels Wertevermittlung, quasi eines ,Um-Erziehungsprogramms'<br />
der Bevölkerung der Industrienationen<br />
zu Leibe gerückt werden. Aktion<br />
und Lernen verschmelzen kontinuierlich,<br />
die Altemativpädagogik institutionalisiert sich.<br />
Letztlich definierte sich die Dritte-Welt-Bewegung<br />
nur noch sekundär als politische Protestbewegung<br />
und primär als pädagogische<br />
Lern- bzw. Bildungsbewegung (136). Zu Recht<br />
weist Proske darauf hin, dass dies auch aufgrund<br />
von Enttäuschungen und Misserfolgen<br />
der Formen Protest und advokatorische Politik<br />
zurückzuführen ist, wurde erstere doch kriminalisiert<br />
und letztere von den Dritte-Welt-Ländern<br />
kaum goutiert, da diesen die offiziellen<br />
Regierungskontakte wichtiger weil politisch<br />
und ökonomisch gewichtiger waren.<br />
In ihrer (neuen) Eigenschaft als Lernbewegung<br />
suchte die Dritte-Welt-Bewegung nach generativen<br />
Themen', die persönliche Betroffenheit<br />
mittels eines ,globalen Bezugs' vermitteln sollten<br />
(139). Um dem speziellen pädagogischen<br />
Ziel gerecht zu werden, grenzte sich die Dritte-<br />
Welt-Pädagogik explizit von traditionellen Bildungsinstitutionen<br />
(Schule) und deren Erziehungskonzepten<br />
(Belehrung, starres Lehrer-<br />
Schüler-Verhältnis, Lernzwang) ab und propagierte<br />
ein Alternativmodell, das von sozialem<br />
Lernen in der politischen Aktion bis zur Produktion<br />
von entwicklungspolitischen Unterrichts-