Vollversion (7.42 MB) - Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen
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22 Peter H. Feindt<br />
nisses ausformuliert, das die industrielle Gesellschaft<br />
in Relation zu den sie tragenden natürlichen<br />
Kreisläufen stellte, die in Anlehnung<br />
an die Terminologie der Ökologie als „Umwelt"<br />
thematisiert wurden. Auf dieser Basis<br />
konnten die in der Regel allenfalls regional<br />
organisierten Umweltaktivisten lokale Ereignisse<br />
als Teil eines globalen Entwicklungsmusters<br />
interpretieren und einen wissenschaftlich<br />
fundierten Umweltdiskurs mit Resonanz in der<br />
breiteren Öffentlichkeit entfalten.<br />
3 „Grenzen des Wachstums": Ausstiegs-<br />
und Entkopplungsdiskurs<br />
Den Durchbruch zu einem eigenständigen Diskurs<br />
erfährt die Thematisierung anthropogener<br />
Umweltveränderungen mit der Veröffentlichung<br />
der ersten Studie des Club ofRome, den<br />
„Grenzen des Wachstums" (Meadows et al.<br />
1972), dessen Wirkung durch die von Regierungsseite<br />
(u.a. durch „autofreie Sonntage")<br />
dramatisch inszenierte Ölpreiskrise von 1973<br />
noch verstärkt wurde. Die sich daran anschließende<br />
Diskussion schien auf die Alternative<br />
„Nullwachstum oder Untergang" zuzulaufen<br />
und brachte viele Umweltbewegte zu der Uberzeugung,<br />
der Ausstieg aus der Industriegesellschaft<br />
sei überlebensnotwendig (Erhard Eppler<br />
1975: „Ende oder Wende"). Auf Seiten der<br />
Industrie wurde vorwiegend mit „Diskursverweigerung"<br />
und der Eröffnung eines „Ersatzdiskurses<br />
,Ökonomie versus Ökologie'" reagiert<br />
(Huber 2001: 281). Dies war Teil einer<br />
„Strategie der Ausgrenzung der Träger der Umweltschutzbewegung<br />
durch Wirtschaft und<br />
Staat" (SRU 1996: 226), die dazu beitrag, dass<br />
die Zeit von 1974-1982 zu einer Phase der<br />
„umweltpolitischen Polarisierung" (SRU 1996:<br />
225) wurde. Sie entzündete sich wesentlich<br />
am Konflikt um die Nutzung der Kernenergie,<br />
wo der Staat, der bei der Emissionsproblematik<br />
eher auf Seiten der Umweltbewegung gegen<br />
die regulierte Industrie stand, nun als<br />
„Atomstaat" erschien. Dadurch gerieten die<br />
EntScheidungsprozesse ins Blickfeld des Umweltdiskurses<br />
und verdichteten sich zum Diskurs<br />
der „Ökologischen Demokratie", der eng<br />
mit Dezentralisierungskonzepten, aber auch mit<br />
utopischen Gesellschaftsentwürfen verbunden<br />
war. Die Idee einer „Freien Republik Wendland"<br />
bringt beispielsweise die Ideen von Demokratie<br />
und ökologischer Alternative zusammen.<br />
Eine weitere Reaktion auf die „Grenzen des<br />
Wachstums" war neben Konzepten des qualitativen<br />
und selektiven Wachstums der Entkopplungsdiskurs,<br />
in dem die Entkopplung des Wirtschaftswachstums<br />
vom Ressourcenverbrauch<br />
angestrebt wurde (vgl. Huber 2001: 283ff). In<br />
diesem Rahmen konnten die quantitativen Aspekte<br />
der Umweltproblematik im Energie- und<br />
Emissionsbereich konstruktiv diskutiert werden.<br />
Allerdings wurde auch die Atomenergie,<br />
deren Bekämpfung wesentlich zur Mobilisierung<br />
der Umweltbewegung beitrug, als Lösung<br />
des Ressourcenproblems im Energiebereich<br />
dargestellt. Für die toxikologische wie<br />
für die bürgerrechtliche Problematik der Atomwirtschaft<br />
bot der Entkopplungsdiskurs keinen<br />
geeigneten Rahmen - ebenso wenig wie für<br />
die Problematisierung des Einsatzes von<br />
Agrarchemikalien oder den Einsatz toxischer<br />
Stoffe (Seveso-Unfall 1978). Dies dürfte dazu<br />
beigetragen haben, dass der Umweltdiskurs seit<br />
Beginn der 1980er Jahre durch den Risikodiskurs<br />
ergänzt und zeitweise dominiert wurde.<br />
4 Umwelt-als Risikodiskurs<br />
Spätestens die Kette großindustrieller Unfälle<br />
Mitte der 1980er Jahre (Bhopal, Tschernobyl,<br />
Rheinalarm) und der um sich greifende Alarmismus<br />
des „Schadstoff der Woche" ließ das<br />
Risikokonzept als angemessene Beschreibung<br />
nicht nur des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft<br />
erscheinen (vgl. Beck 1986). Die