Vollversion (7.42 MB) - Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen
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Pulsschlag 79<br />
Am Freitagabend diskutierten in der Auftaktveranstaltung<br />
in der Französischen Friedrichstadtkirche<br />
am Gendarmenmarkt Karin Junker<br />
(Mitglied des Europäischen Parlaments und<br />
Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer<br />
Frauen) und Bozena Choluj<br />
(Universität Warschau, Europa Universität Viandrina,<br />
z. Zt. Gastprofessorin an der Universität<br />
Oldenburg) über ,Fraueninteressen im Reformprozess'.<br />
Karin Junker beschrieb die im<br />
Vergleich zu vielen Parlamenten der Mitgliedsländern<br />
starke Frauenpräsenz im europäischen<br />
Parlament sowie im Konvent. Selbst wenn nicht<br />
alle Ziele erreicht worden seien, haben die EU-<br />
Institutionen mit steigendem Frauenanteil (Parlament,<br />
Gerichtshof, Rechnungshof) Gendermainstreaming<br />
und damit der Gleichstellung von<br />
Mann und Frau auf die Sprünge geholfen. Nach<br />
dieser optimistischen Bilanz warf Bozena Choluj<br />
die Frage auf, wie es um die Gemeinsamkeiten<br />
zwischen Frauen in den Mitgliedsländern<br />
und den Betrittsländern bestellt sei. In Polen<br />
würde Frauen, die Forderung nach Gleichstellung<br />
stellen, vorgehalten, dass es ihnen besser<br />
ginge, als Frauen in anderen Ländern. Die Implementation<br />
von EU-Regelungen leide an der<br />
- oft mangelnden - Unterstützung der Regierung.<br />
Weiterhin fehle Frauen teilweise die Kompetenz<br />
für die Teilnahme in politischen Institutionen,<br />
sie vertreten nicht immer Fraueninteressen<br />
und die Identifikation mit Frauenthemen<br />
könne der politischen Karriere von Frauen schaden.<br />
Nach dieser ernüchternden Bilanz von Bozena<br />
Choluj betonte Marina Beyer-Grasse<br />
(OWEN), dass die Institutionalisierung von<br />
Gleichstellungspolitik ein Ergebnis sozialer <strong>Bewegungen</strong><br />
sei, die jedoch den steten Dmck der<br />
Bewegung brauche. In diesem Zusammenhang<br />
verwies sie darauf, dass der Berliner Senat nach<br />
10 Jahren erfolgreicher Arbeit die finanzielle<br />
Grundsicherung für OWEN gestrichen hat.<br />
In historischen Rückblicken wurden die Entwicklungen,<br />
verschiedenen Strömungen und<br />
Spannungen europäischer Frauenbewegungen<br />
beschrieben. In den Darstellungen von England<br />
(Barbara Einhorn, University Sussex),<br />
Frankreich (Beatrice Durand, Universität Halle),<br />
Deutschland (Ute Gerhard, Universität<br />
Frankfurt), Türkei (Karin Ronge, Women for<br />
Women's Human Rights) wurde deutlich, dass<br />
sich Frauenbewegungen nicht nur in Mittel-,<br />
Ost- und Westeuropa unterscheiden, sondern<br />
auch innerhalb eines Landes, wobei die verschiedenen<br />
Strömungen trotz Distanzierungen<br />
und Konflikten zu bestimmten Themen zusammenarbeiten.<br />
In ihren Beschreibungen von<br />
Frauenbewegungen in den postsozialistischen<br />
Ländern Russlands (Larissa Lissjutkina, früher<br />
Akademie der Wissenschaften Russland),<br />
Tschechiens (Hana Havelkova, Universität<br />
Prag), Jugoslawiens (Svenca Savi, Universität<br />
Novi Sad), Ungarns (Andrea Petö, z.Zt. Europäische<br />
Universität Florenz) und Polens (Bozena<br />
Choluj, Universität Warschau, Viandrina<br />
Frankfurt/O., z.Zt. Universität Oldenburg) wurde<br />
deutlich, inwiefern die Frauenbewegungen<br />
Mittel- und Osteuropas vom historischen Erbe<br />
der Region, den Erfahrungen im Sozialismus<br />
und der westlichen Unterstützung zum Aufbau<br />
der Zivilgesellschaft geprägt sind. So wurde<br />
einerseits betont, dass die westliche Unterstützung<br />
wichtig für die Aufrechterhaltung der<br />
Frauenbewegungen und -Organisationen Mittel-<br />
und Osteuropas seien, andererseits wurde<br />
daran erinnert, dass die Erwerbs-, Bildungsund<br />
politische Beteiligung von Frauen während<br />
des Sozialismus höher war, dass im Reproduktionsbereich<br />
(Gesundheit, Kinderbetreuung)<br />
eine Infrastruktur bereitstand, die heute<br />
fehle. Während einerseits begrüßt wurde, dass<br />
durch die EU teilweise Dmck auf die männlich<br />
dominierten Regiemngen ausgeübt werden könne,<br />
wurde andererseits auch gewünscht, dass<br />
die Frauenorganisationen und -bewegungen in<br />
den postsozialistischen Ländern einen eigenen<br />
theoretischen und diskursiven Beitrag zum Feminismus<br />
leisten. Solveig Bergman (Abo Uni-