Vollversion (7.42 MB) - Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen
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102 <strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 15, Heft 4, 2002<br />
stattung abträglich auf eine seriöse Erforschung<br />
von Rocker- und Bikergemeinschaften aus.<br />
Öffentliche Erwähnung und Verbreitung erfahren<br />
diese Gruppen fast ausschließlich im<br />
Kontext von spektakulären, illegalen Aktivitäten<br />
sowie ihrer Verdächtigung und Uberführung<br />
krimineller Handlungen (Rauschgift- und<br />
Waffenhandel, Förderung der Prostitution) oder<br />
sogenannten ,Bandenkriegen', wie beispielsweise<br />
den Auseinandersetzungen zwischen den<br />
Hell's Angels und Bandidos in Skandinavien<br />
1996. Das öffentlich verbreitete Negativimage<br />
der Bikergemeinschaften verstärkt die ohnehin<br />
vorhandene Ablehnung, Informationen über das<br />
Leben in den Motorradclubs nach außen preiszugeben.<br />
Biker übernehmen nicht selten die<br />
ihnen zugewiesenen Etikettierungen im Sinne<br />
einer,social redefinition''. Sie stellen sich selbstbewusst<br />
als outlaws dar und verweigern sich<br />
jeglicher Beobachtung seitens der Medien und<br />
der Wissenschaft. Damit ist auch der dritte Grund<br />
genannt, der die Erforschung dieser Gemeinschaften<br />
zu einem Problem macht: Der genaue<br />
soziologische Blick auf die internen Strukturen<br />
und gemeinschaftsspezifischen Handlungen ist<br />
kaum möglich, da der externe Beobachter nicht<br />
nah genug an sein Forschungsobjekt herankommt.<br />
Teilnehmende Beobachtungen und narrative<br />
Interviews, die hier als angemessene Verfahren<br />
angesehen werden können, sind nur in<br />
sehr eingeschränktem Maße möglich.<br />
Für ein besseres sozialwissenschaftliches Verständnis<br />
der Rocker- und Bikergemeinschaften<br />
ist daher neben der Analyse der spärlichen<br />
wissenschaftlichen Literatur zum Thema hauptsächlich<br />
die Auswertung von ,Dokumenten'<br />
(im Sinne der Ethnomethodologie) aus der<br />
Bikerszene (also z. B. Bikerzeitschriften, Ankündigungen<br />
von Veranstaltungen, Anzeigen,<br />
Clubdarstellungen, (Leser-)Briefe, Filme etc.)<br />
unabdingbar. Ein solches ,document' ist auch<br />
das Buch mit dem Titel ,Hell's Angel. Mein<br />
Leben' anzusehen. Es handelt sich dabei um<br />
die Autobiographie des mittlerweile legendä<br />
ren Präsidenten des Hell's Angels Motorcycle<br />
Club von Oakland, Kalifornien, Ralph ,Sonny'<br />
Barger, die unter Mitarbeit von Keith und Kent<br />
Zimmerman, zweier professioneller Biographen,<br />
entstanden ist. Eine besondere Bedeutung<br />
kommt dieser Veröffentlichung zu, weil<br />
die Hell's Angels auch mehr als fünfzig Jahre<br />
nach ihrer Gründung zu den größten und einflussreichsten<br />
Clubs - mit Chartern in Europa,<br />
Australien und Südafrika - gehören und weil<br />
sie nach wie vor stilbildend auf große Teile der<br />
internationalen Bikerszene einwirken. Bargers<br />
Autobiographie ist auf Deutsch mittlerweile in<br />
der sechsten Auflage erschienen. 2<br />
Das Buch<br />
dürfte sich somit längst in den Händen der<br />
meisten aktiven Biker in Deutschland befinden<br />
- und vermutlich nur einiger weniger Sozialwissenschaftler.<br />
Die sollten es aber auch<br />
zur Kenntnis nehmen, vor allem dann, wenn<br />
sie sich wissenschaftlich mit ,Randkulturen'<br />
(R. Girtler) beschäftigen.<br />
Geständnis eines Insiders<br />
Wie nicht anders zu erwarten, handelt es sich<br />
bei Bargers Darstellung um eine höchst subjektive<br />
Rückschau auf den zentralen Inhalt<br />
seines nunmehr 63-jährigen Lebens: Den Motorradclub<br />
Hell's Angels. Der Leser erfährt,<br />
wie und warum Ralph Barger, den seine Mutter<br />
vier Monate nach der Geburt bei seinem saufenden<br />
Vater zurücklässt, zum Chef der berühmtesten<br />
und berüchtigsten ,Rockergruppe'<br />
der Welt aufsteigt. Man sollte diese Lebensgeschichte<br />
nicht vorschnell als eine der<br />
üblichen sentimentalen Erfolgsstories eines<br />
underdogs im prosperierenden US-Amerika<br />
der fünfziger Jahre beiseite legen. Gerade für<br />
Soziologen und Ethnologen, die den Blick auf<br />
die ungewöhnlichen (sub-)kulturellen Phänomene<br />
ihrer eigenen Gesellschaft schätzen, enthält<br />
sie die Informationen, die nicht in den<br />
Fahndungsbüchem der Polizei, den Gerichtsakten<br />
und FBI-Dossiers protokolliert sind. Es<br />
sind die Aussagen aus der Perspektive des Insi-