Als PDF-Datei herunterladen - Ärztblatt Sachsen-Anhalt
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Ignaz Semmelweis hatte es noch<br />
vergleichsweise leicht: Gründliche<br />
Handdesinfektion genügte, um aus<br />
dem Assistenzarzt an einer Klinik mit<br />
katastrophalen Sterberaten den „Retter<br />
der Mütter“ werden zu lassen - ungewaschene<br />
Studentenhände nach der<br />
Leichensektion hatten junge Mütter<br />
gleich reihenweise mit Kindbettfieber<br />
infiziert. Im Jahr 2011 ist mit Semmelweis’<br />
Chlorkalk nichts mehr auszurichten.<br />
Defizite sind reichlich auszumachen:<br />
„Vernachlässigung oftmals grundlegender<br />
Hygienemaßnahmen (wie z. B.<br />
Händewaschen) des Personals in<br />
Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen,<br />
aber auch der Bevölkerung insgesamt“<br />
gehört dazu. Semmelweis lässt grüßen!<br />
Dabei müssten zumindest alle<br />
Ärztinnen und Ärzte wissen, wie es<br />
besser geht. Denn in Sachen Hygiene<br />
ist schon lange kein Arzt mehr ohne<br />
Aufsicht und Reglement: Seit Urzeiten<br />
gibt es Hygieneverordnungen, in den<br />
Krankenhäusern sind Hygienebeauftragte<br />
benannt, auch die Praxen<br />
niedergelassener Kollegen sind ins<br />
Netz der Hygienekontrollen einbezogen.<br />
Fundierte Vorschriften zur Hygiene<br />
sind wichtig, nutzen jedoch nichts,<br />
wenn sie nicht penibel umgesetzt<br />
werden. Hygiene muss „gelebt<br />
werden“ – nur formale Anforderungen<br />
des Gesetzgebers abzuhaken, reicht<br />
nicht aus. Doch lässt sich das Hygiene-<br />
Editorial<br />
Gegen Resistenzen in<br />
Kliniken und Köpfen<br />
programm im hochverdichteten<br />
Arbeitsalltag eines Krankenhauses<br />
tatsächlich umsetzen - oder ist alles nur<br />
lästige Pflicht, die in der täglichen<br />
Hetze nur Zeit kostet? Auch die Reinigung<br />
und Pflege von Instrumenten und<br />
Endoskopen lässt sich nicht en passant<br />
erledigen; hier braucht es gut ausgebildete<br />
und entsprechend bezahlte Fachkräfte.<br />
Schnell wird deutlich, dass es<br />
für mehr Hygiene mit einem Appell,<br />
einem Plakat im Flur und einer Fortbildungsstunde<br />
nicht getan ist.<br />
Am Ende werden die Akteure des<br />
Gesundheitswesens, allen voran<br />
Kliniken und auch niedergelassene<br />
Ärzte, weitaus mehr Geld in die Hand<br />
nehmen müssen. Denn was wir brauchen,<br />
ist nicht nur Ausbildung und<br />
bessere Zusammenarbeit aller Beteiligten,<br />
sondern vor allem Platz und Zeit<br />
für Hygiene im Alltag - nicht aber noch<br />
mehr Hygiene-Bürokratie.<br />
Für Ignaz Semmelweis reichte es noch<br />
aus, eine überschaubare Menge<br />
Studenten zum Händewaschen zu<br />
motivieren, um Krankheitserreger<br />
einzudämmen. Der nun anstehende<br />
Kampf gegen resistente Keime ist<br />
ungleich schwieriger. Ärztinnen und<br />
Ärzten pauschal leichtfertigen Umgang<br />
mit Antibiotika vorzuwerfen, greift zu<br />
kurz. Denn angesichts immer mehr<br />
immer älterer Kranker müssen sich<br />
z.B. Kliniken auch auf immer mehr<br />
resistenzgeminderte Patienten<br />
einstellen, die resistente Erreger ins<br />
Krankenhaus tragen können.<br />
Viele Patientinnen und Patienten<br />
haben zudem mittlerweile eine<br />
verhängnisvolle Erwartungshaltung<br />
entwickelt, die oft schon bei einem<br />
banalen Infekt vehement nach dem<br />
Antibiotikum verlangt.<br />
Spätestens bei den riesigen Mengen<br />
Antibiotika, die in der Fleischproduktion<br />
regelhaft verwendet werden, wird<br />
die Lage vollends unübersichtlich.<br />
Viele Zeitgenossen wollten lange nicht<br />
wahrhaben, was ihnen Ignaz Semmelweis<br />
vor über 150 Jahren zur Hygiene<br />
ins Stammbuch schrieb. Auf Resistenzen<br />
traf Semmelweis vor allem in<br />
den Köpfen seiner Kollegen. Diesmal<br />
ist niemand mehr auf Mutmaßungen<br />
zum Sinn hygienischer Maßnahmen<br />
angewiesen, die Fakten liegen schon<br />
klar geordnet auf dem Tisch. Es gibt<br />
also keinen Grund, die Verbesserung<br />
der Hygiene in unserem Gesundheitswesen<br />
nicht anzugehen - weitere Resistenzen<br />
können wir uns nicht leisten.<br />
Dr. Theodor Windhorst<br />
Präsident der Ärztekammer<br />
Westfalen Lippe<br />
Leicht geänderter Nachdruck a. d. Westfälischen<br />
Ärzteblatt (2011)3 mit frdl. Gen. d.<br />
Red.<br />
Ärzteblatt <strong>Sachsen</strong>-<strong>Anhalt</strong> 22 (2011) 4 5