Geschichte der Gemeinde Zichydorf, von J. Achtzehner - Zichydorf.h ...
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deutsche Muttersprache wert ist. Solange wir in Ungarn waren, behandelte man uns zuvorkommend, wenn wir<br />
ungarisch sprachen, als wir aber über die Grenze kamen, hörten wir, außer <strong>von</strong> Landsleuten, kein Wort Ungarisch<br />
mehr. Deutsch aber fand ich in allen Teilen, in jedem kleinen Ort, und war es ein jüdisches Geschäft, so konnten<br />
wir uns verständigen. Als ich als Gefangener auf einen russischen Gutshof kam, konnte ich mich mit einem<br />
Finanzbeamten auf deutsch verständigen. So wie ich erfuhren auch viele an<strong>der</strong>e, was welche Sprache wert ist.<br />
Jede Sprache, die man kann, hat ihren Wert, und doch kann eine nützlicher sein, als manche an<strong>der</strong>e.<br />
Die Schulbibliothek war mit ungarischen Büchern ausgestattet. Da konnten wir uns jede Woche Bücher zum<br />
Lesen ausleihen, und je<strong>der</strong> mußte nachher im Unterricht erzählen, was er gelesen hatte. Es lag ein alphabetisches<br />
Verzeichnis <strong>der</strong> Bücher vor, nach dem wir auswählen konnten, wobei <strong>der</strong> Lehrer darüber wachte, daß<br />
wir Bücher aussuchten, die wir unserem Entwicklungsgrad nach verstehen konnten.<br />
Als wir in <strong>der</strong> vierten Klasse Herrn Sellö zum Lehrer bekamen, machten wir mit einer uns vorher unbekannten<br />
Lehrmethode Bekanntschaft. Bei den an<strong>der</strong>en Lehrern war es so gemacht worden, daß ein Schüler den<br />
ersten Satz las, <strong>der</strong> zweite Schüler den zweiten Satz usw. Herr Sellö nun nannte uns den Titel und die Seite<br />
eines Lesestückes und erzählte uns zunächst seinen Inhalt. Dann rief er einen Schüler auf, <strong>der</strong> aufstand und<br />
vorlas, dabei mußten alle übrigen mitlesen. Kam ein Wort in dem Lesestück vor, <strong>von</strong> dem er wußte, daß wir<br />
es nicht verstanden, unterbrach er das Lesen und erklärte uns das Wort, aber auf ungarisch. Er redete nie ein<br />
Wort deutsch, und doch ist es nicht ausgeschlossen, daß er deutsche Ahnen hatte, denn er stammte <strong>von</strong> Györ<br />
(Rab), einer einst deutschen Stadt, und daß er auch <strong>von</strong> <strong>der</strong> Schule her Deutsch konnte. Aber wir lernten so<br />
<strong>von</strong> ihm das meiste Ungarisch. Beim Lesen beobachtete er alle, und paßte einer nicht auf, so rief er diesen sogleich<br />
zum Weiterlesen auf, was dieser dann meist nicht konnte. Wenn er Geschichtsunterricht gab, paßten<br />
alle so auf, daß es mäuschenstill in <strong>der</strong> Klasse war; er knüpfte immer an das an, was er in <strong>der</strong> vorhergehenden<br />
Stunde erzählt hatte, und so kam da auch <strong>der</strong> Schwächste gut mit. Ich erinnere mich auch noch mancher<br />
gleichnishaften <strong>Geschichte</strong>, die er uns zu erzählen wußte, so die <strong>von</strong> dem Bauern mit den zwei Pflügen, die<br />
uns lehren sollte, daß Arbeit nicht schadet, o<strong>der</strong> die <strong>Geschichte</strong> <strong>von</strong> den zwei prozessierenden Nachbarn um<br />
den Vogelgesang o<strong>der</strong> die Bil<strong>der</strong> vom ersten und vom letzten Glas. Und ich erinnere mich auch an seinen Rat:<br />
Verschaffe deinen Kin<strong>der</strong>n zuerst ein solches Vermögen, das sie nicht versaufen, nicht verlieren und nicht verspielen<br />
können und das die Räuber ihnen nicht stehlen können; erst wenn sie solches genügend habe, dann<br />
sorge für an<strong>der</strong>es Vermögen. Lei<strong>der</strong> sollte er nur zu sehr recht behalten, denn die Räuber nahmen uns alles.<br />
Als ich erst einige Wochen in <strong>der</strong> vierten Klasse war, fragte er mich, ob meine Eltern wohlhabend seien, was<br />
ich verneinte. Er fragte mich, ob sie arm seien, was ich abermals verneinte, während ich die Frage, ob wir ein<br />
Haus hätten, bejahte. Dann fragte er auch, wieviel Feld wir hätten, was ich aber nicht wußte. Schließlich<br />
sagte er, ich solle meinen Vater fragen, ob ich weiter in die Schule gehen dürfe. Der Vater sagte.i.Sag nur Deinem<br />
Lehrer, wir brauchen Dich für ,in Acker geh'n' ". Er kam dann auch in mein Elternhaus, um meinen<br />
Vater selbst zu fragen, zu dem er sagte, ich könnte es weit bringen. Doch <strong>der</strong> Vater sagte, <strong>der</strong> soll nur lernen,<br />
was ich gelernt habe. Und das war vielleicht auch gut so, denn viele, die damals das Gymnasium besuchten,<br />
mußten ihr Lernen während des I. Weltkrieges unterbrechen, und nur einer konnte nach dem Kriege sein Studium<br />
fortsetzen, nämlich Johann Faul, Bru<strong>der</strong> <strong>von</strong> Frau Katharina Ihm, <strong>der</strong> Maschineningenieur wurde. Von<br />
Lehrer Sellö lernten wir auch das ungarische Sprichwort "Ein guter Pfarrer lernt bis zum Tode", das natürlich<br />
nicht nur für Pfarrer, son<strong>der</strong>n für jeden gilt.<br />
Um 1/2 8 Uhr war täglich hl. Messe. Wir brachten vorher unsere Schultaschen in die Schule und gingen<br />
dann gemeinsam zur Kirche, Wir standen dort paarweise neben den Bänken, rechts die Buben, links die Mädchen<br />
und sangen auf ungarisch diesselben Meßlie<strong>der</strong> wie sie die Erwachsenen auf deutsch sangen. Die Kirchenlie<strong>der</strong><br />
haben wir bei Lehrer Sellö nach dem Unterricht gelernt.Im Winter gingen wir werktags nicht in die Kirche,<br />
nur sonn- und feiertags war es Pflicht.<br />
Um 1908 - 1909 gründete Lehrer Sellö, als wir noch in die Wie<strong>der</strong>holungsschule gingen, den Jugendverein.<br />
Schon 1905 - 1906 war <strong>von</strong> einem Kaplan (Schmidt? ) ein Jugendverein gegründet worden. Dieser Kaplan<br />
lehrte die Burschen Lie<strong>der</strong>, und <strong>von</strong> meinem Bru<strong>der</strong> weiß ich noch zwei da<strong>von</strong>: "Besenbin<strong>der</strong>s Tochter und<br />
Kachelmachers Sohn" und "Hat einer einen Stall voll Heu, so wird die Kuh nicht mager". Im Zuge <strong>der</strong> Madyarisierung<br />
wurde <strong>der</strong> Kaplan bald versetzt. Wir lernten nun im Jugendverein ungarische Lie<strong>der</strong> vierstimmig singen,<br />
führten Theaterstücke auf und sangen Chorlie<strong>der</strong> dazu. Während eine Stimme übte, konnten die an<strong>der</strong>en<br />
lesen, dazu standen uns die Bücher <strong>der</strong> Schule zur Verfügung, ebenso die vorhandenen Zeitschriften o<strong>der</strong> Zeitungen,<br />
natürlich alles in ungarisch, das uns aber schon so vertraut war wie das Deutsche. Im Jahr 1912 sangen<br />
wir zusammen mit dem Männergesangverein als Ständchen für den zur Firmung in <strong>Zichydorf</strong> weilenden<br />
Bischof Glatfel<strong>der</strong> "Das Nachtlager <strong>von</strong> Granada" <strong>von</strong> Conradin Kreutzer. Bei unseren Zusammenkünften in<br />
<strong>der</strong> Schule wurden uns oft Vorträge gehalten über verschiedene Wissensgebiete, sowohl <strong>von</strong> Herrn Sellö als<br />
auch <strong>von</strong> Herrn Direktor Schell. Ich erinnere mich noch an einen Vortrag <strong>von</strong> Herrn Schell über die Trinkwasserversorgung,<br />
in dem er sagte, daß unsere Nachkommen auf diesem Gebiet mit größeren Problemen zu<br />
kämpfen haben werden, was sich ja inzwischen schon bestätigt hat. Herr Sellö kam bei seinen Vorträgen oft<br />
auf politische Fragen zu sprechen, so erklärte er zum Beispiel die Ursache, warum <strong>der</strong> damalige Dreibund<br />
Deutschland - Österreich-Ungarn - Italien, nämlich seiner Meinung nach, um den Bosporus gegen Rußland<br />
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