Manuskript (pdf) - WDR 5

DOK 5 – Das Feature: 10./11.03.2013
Arme Irre – Zurück zur Nachkriegspsychiatrie?
Gleichzeitig hat sich die Zahl der Patienten zwischen 1991 und 2004 fast verdoppelt.
Seitdem hat das Bundesgesundheitsministerium keine Zahlen mehr vorgelegt.
O-Ton - Sabine (Stimme verfremdet):
... daß wir diese zwei Klassen haben: daß wir auf der einen Seite diese
psychosomatischen Kliniken haben, wo man wer weiß was schreiben muß,
beantragen muß, warten muß, und auf der anderen Seite die Psychiatrie, wo man
nur einmal falsch pupsen muß und dann ist man drin und dann vielleicht auch
länger als einem lieb ist, ...
O-Ton - Christa Wirtz-Stützer:
Was ich so beobachte, ist ja immer, daß so geguckt wird, möglichst am Profit
orientiert und möglichst wenig Geld auszugeben auch in den Bereichen, wo
Institutionen wirtschaftlich geführt werden müssen. Und das öffnet Tür und Tor in
die Richtung, wie wir sie früher hatten. Weil das kann nicht funktionieren. Man
muß schon mit etwas mehr Personal, auch gut ausgebildetem Personal, muß man
in solchen Einrichtungen, die muß man einfach zur Verfügung stellen. In dem
Moment, wo man's nicht macht, ist es wieder Verwahrpsychiatrie. Und das bleibt's
dann auch. Und es entsteht wieder die Drehtürpsychiatrie wie früher.
O-Ton - Sabine (Stimme verfremdet):
Mich würd's nicht mehr geben, wenn ich da nicht irgendwo rausgegangen wäre!
Wenn ich nicht den "Chemischen Knebel" gelesen hätte und daraus nicht erfahren
hätte, daß mir keine Psychopharmaka, vor allem keine Neuroleptika jemals helfen
können, wenn ich die dauerhaft nehme, und mir ging's ja Scheiße, mir ging's ja
deswegen Scheiße, weil ich Neuroleptika immer genommen hab - ich würd' heute
nicht hier sitzen! Mir haben sie auch mal irgendwann gesagt: "Nee, also Studium,
lassen Se stecken, werden Sie nie schaffen! Was wollen Sie - arbeiten gehen?
Sie? Wir überlegen uns doch gerade, wo wir für Sie die Langzeitstation haben!"
[...] Ja klar, mir ging's auch Scheiße, aber warum ging's mir Scheiße? Weil ich 'ne
Depotspritze im Arsch hatte! Alle zwei Wochen. Um 's mal platt zu sagen.
O-Ton - Friedrich Leidinger:
Was wir dann sehen, ist, daß in der Praxis eigentlich die Psychopharmaka
weniger nach wissenschaftlichen Erkenntnissen verordnet werden als so, wie man
es dann in der Not des Alltages für richtig hält. [...] Und dann haben wir gesehen,
daß das in sehr unterschiedlicher Art und Weise erfolgt, und daß insbesondere,
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2012
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