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Heft 3/2008

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ANDRESEN – virtuelle Diskurse<br />

Den Reigen eröffnet der Wiener Ethnologe Konrad Köstlin, der schon<br />

1993 die Affinität zwischen Niederdeutsch und Nationalsozialismus untersucht<br />

hat 5 . Sein Vortrag Die kulturelle Kodierung der Region 6 enthüllt<br />

das Scheinhaft-Virtuelle am Regionalismus. Als Kürzel kodierte Landschaftsbilder<br />

bevölkern unser Bewusstsein, lassen Vorurteile und stolzen<br />

regionalen Eigensinn blühen, der gegen das Umkippen in fremdenfeindliche<br />

Re-Ethnisierung nie gefeit ist. Beispiele solcher Kodierung<br />

sind u.a.: Mentalitäts-Klischees vom “nieder-deutschen Menschen”<br />

(schweigsam, verlässlich, zurückhaltend). Symbole des Nordischen<br />

in der Werbung und auf der Speisekarte (IKEA-Kiefer, Jever-Pils,<br />

Katenschinken). Im Fernsehen Bilder eines volkstümlichen Hamburg<br />

(Ohnsorg, “Großstadtrevier”), das es real so wenig gibt wie die Land-<br />

Idylle von “Deekelsen” oder ”Büttenwarder”. Dies alles sind kulturelle<br />

Kodes, nicht im Realen verortet, sondern in unseren Köpfen verankert,<br />

von Deutungseliten formuliert und politisch gefördert. Neue Bodenmythologien<br />

entstehen. Eine Verkultung des Regionalen verspricht heimeligen<br />

Schutz vor der ortsvergessenen Kälte der Moderne. Beschützend<br />

sind aber nicht die Orte und Landschaften selbst, sondern unser Blick<br />

darauf “macht” sie dazu. Subjektive Wahrnehmung, durch Erinnerung<br />

und Deutung gelenkt, “macht” erst die Region zu dem, was wir in ihr<br />

sehen wollen. Die Region an sich gibt es nicht. Was heute “Regionalkultur”<br />

heißt, ist weithin Produkt gesellschaftlicher Manipulation. Diese<br />

zielt auf Nischenbildungen des Regionalen, um die Auflösung unserer<br />

Sinne und Werte erträglich zu machen. Mit dem Zauberwort Identität<br />

wird all das beschworen, was die globalisierte Welt uns verweigert:<br />

Ordnung, Verlässlichkeit, lokale Bindung, authentisches Leben. Eine<br />

wichtige Rolle als Mittel des Regional-marketing spielt dabei die Mundart,<br />

die zwar aus dem Alltag verschwindet, dafür aber erst recht zur<br />

regionalen Kultsprache erhöht wird. Das entspricht genau der Einschätzung<br />

Lesles und Köstlins eigener Sicht von der Nobilitierung des Plattdeutschen<br />

zum edleren Niederdeutsch schon in den 20er Jahren 7<br />

Aufgabe heutiger Ethnologie, so Köstlin, sei die Dekonstruktion der<br />

Konstrukte, die bisher unsere Wahrnehmung leiten. Er empfiehlt dazu<br />

eine Art Archäologie, ein Hinabsteigen in die Vorgeschichte unserer<br />

Bilder vom Regionalen, mit dem Ziel, den gesellschaftlichen Bedingungen<br />

ihrer Entstehung auf die Spur zu kommen und die Austreibung des<br />

Politischen aus jenen Bildern zu stoppen.<br />

Ein Beispiel solchen Hinabsteigens gibt der Berliner Historiker Uwe<br />

Puschner mit seinem Vortrag Die völkische Bewegung: Geschichte,<br />

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Quickborn308-1.Korr.<br />

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22.09.<strong>2008</strong>, 9:49 Uhr

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