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TEIL - Monoskop

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148 PASSAGEN DER SOUVERÄNITÄT<br />

Die Beziehung zwischen Kolonialismus und Krankheit ist eine zweifache.<br />

Zum ersten ist bereits die schlichte Tatsache, dass die einheimische Bevölkerung<br />

von Krankheit gepeinigt ist, eine Rechtfertigung des Kolonialunternehmens.<br />

»Wissen Sie, die Neger, das haben Sie bald heraus, die sind<br />

schon halb krepiert und verwest! (...) Eine widerwärtige Gesellschaft! Ganz<br />

verkommen offenbar!« (Ebd., 191) Krankheit ist ein Zeichen physischer und<br />

moralischer Verdorbenheit, ein Zeichen mangelnder Zivilisation. Das<br />

Zivihsierungsunternehmen des Kolonialismus wird somit durch die<br />

Hygiene, die es mitbringt, gerechtfertigt. Von der anderen Seite aus betrachtet<br />

aber, also aus europaischer Perspektive, ist die primäre Gefahr für<br />

den Kolonialismus die Krankheit ­ oder genauer: die Ansteckung. In Afrika<br />

findet Louis­Ferdinand »alle möglichen Übel«. Physische Verseuchung,<br />

moralische Verdorbenheit, Wahnsinn: Die »Dunkelheit« der kolonialen<br />

Gegenden und Bevölkerungen ist ansteckend und die Europäer sind standig<br />

davon bedroht (zu genau der gleichen Erkenntnis gelangt auch Kurtz in<br />

Joseph Conrads Herz der Finsternis). Sobald die Trennlinie zwischen dem<br />

reinen, zivilisierten Europaer und dem verdorbenen, barbarischen Anderen<br />

gezogen ist, wird nicht nur ein Zivilisationsprozess von der Krankheit zur<br />

Gesundheit möglich, sondern unvermeidlich auch der entgegengesetzte<br />

Prozess, von der Gesundheit zur Krankheit. Die Ansteckungsgefahr, die<br />

dunkle Unterseite der Zivilisierungsmission, ist standig präsent.<br />

Das Interessante in Celines Reise ans Ende der Nacht ist, dass die<br />

Krankheit der Kolonialgebiete nicht eigentlich ein Zeichen des Todes, sondern<br />

des Lebensüberflusses ist. Der Erzähler, Louis­Ferdinand, nimmt<br />

nicht nur die Bevölkerung, sondern auch den Boden Afrikas als<br />

»ungeheuer« (ebd., 188) wahr. Die Krankheit des Urwalds besteht darin,<br />

dass überall neues Leben sprießt, alles wachst, ungezügelt. Welch Horror<br />

für einen Hygieniker! Die Krankheit, welche die Kolonie verbreitet, ist der<br />

Mangel an Lebensbeschrankungen, eine unbegrenzte Ansteckung. Im Ruckblick<br />

erscheint Europa als wohltuend steril (man denke an die Totenblasse<br />

Brüssels in Herz der Finsternis, die Marlow bei seiner Ruckkehr aus Belgisch­Kongo<br />

empfindet, doch im Vergleich zum monströsen, ungezügelten<br />

Lebensuberfluss in der Kolonie erscheint die sterile Umwelt Europas als<br />

angenehm). Der Standpunkt des Hygienikers mag in der Tal ein privilegierter<br />

sein, um die Ängste des kolonialen Bewusstseins zu erkennen. Die<br />

schreckliche Angst, die durch die europäische Eroberung und Kolonialisierung<br />

ausgelost worden ist, ist die Angst vor grenzenloser Berührung, grenzenlosem<br />

Fließen und grenzenlosem Austausch — oder genauer: die

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