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Nachruf - Welcker-online.de

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Nie<strong>de</strong>rlagen zu beschleunigen, hatten wir die Dummheit, es durch Siege aufzuhalten.<br />

Das En<strong>de</strong> davon ist ein solches En<strong>de</strong>, daß wir nicht nur bis zum<br />

En<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn noch darüber hinaus durchhalten müssen. Die Schieber hatten<br />

es uns so lange als möglich hinausgeschoben, und die Führer hatten <strong>de</strong>n<br />

Kopf, <strong>de</strong>n man ohnedies nicht bemerkt hätte, in <strong>de</strong>n Sand gesteckt, in <strong>de</strong>r<br />

Hoffnung, ihn so eher behalten zu dürfen. Aber <strong>de</strong>ren Herz für die gefolterte<br />

Menschheit schlug und <strong>de</strong>ren Patriotismus nicht die Hyänenhoffnung war,<br />

daß durch <strong>de</strong>n Martertod von noch hun<strong>de</strong>rttausend Mitbürgern sich vielleicht<br />

doch einmal die Kriegsanleihe rentieren wer<strong>de</strong> — die bangten vor je<strong>de</strong>m Sieg<br />

<strong>de</strong>r Zentralmächte; erbebten und erbleichten, wenn jene verhungerte Proletenstimme<br />

die trostlosen Triumphe »beida Berichtee« ausrief; grämten sich<br />

durch vier Kriegsjahre, daß Österreich nicht im Herbst 1914 die Konsequenz<br />

seiner natürlichen Untreue gezogen hatte, wenn es schon nicht <strong>de</strong>r eben unzulänglich<br />

mobilisierten russischen Armee damals gelungen war, uns weiter<br />

entgegenzukommen, um uns und <strong>de</strong>r Menschheit unendliches Weh zu ersparen;<br />

erschraken bei <strong>de</strong>m umgekehrten, <strong>de</strong>m verkehrten Gelingen von Gorlice<br />

und bei all <strong>de</strong>m kriegsverlängern<strong>de</strong>n Zeitvertreib einer zum Nie<strong>de</strong>rbruch verurteilten<br />

und <strong>de</strong>nnoch die Welt fortschröpfen<strong>de</strong>n Glorie; frohlockten über das<br />

erste Heil an <strong>de</strong>r Marne, das, was immer folgen mochte, die Entscheidung zu<br />

Gunsten einer schnö<strong>de</strong> überfallenen Zivilisation gesetzt hatte, eine Entscheidung,<br />

<strong>de</strong>ren Gültigkeit durch diese fluchwürdigen Scheinsiege mit ihrer blutigen<br />

Realität und ihrer historischen Nichtigkeit aufgehalten, aber nicht aufgehoben<br />

wer<strong>de</strong>n konnte. Ich weiß nicht, ob es viele in Österreich und Deutschland<br />

gegeben hat, die so empfun<strong>de</strong>n haben. Ich habe so empfun<strong>de</strong>n, nie solche<br />

Empfindung verhehlt und soweit es ging, ihr öffentlich, schriftlich und<br />

mündlich, Ausdruck gegeben. Daß ich am Leben bin, ist nicht <strong>de</strong>r Ruhm protegieren<strong>de</strong>r<br />

Henker, son<strong>de</strong>rn das Verdienst <strong>de</strong>s Schicksals, das jene entfesselte<br />

Mechanik <strong>de</strong>s Zufalls, die uns vier Jahre durch diesen Höllenspuk gejagt<br />

hat, einmal gewen<strong>de</strong>t haben muß. Ich habe so empfun<strong>de</strong>n, und weit entfernt,<br />

die Vaterlandsliebe als eine pathetische Gewinstchance aufzufassen, weit entfernt<br />

von <strong>de</strong>m schuftigen Drang, <strong>de</strong>n Kronenkurs, diesen und jenen, durch<br />

Hel<strong>de</strong>nto<strong>de</strong> befestigt zu wissen, mein Gut durch das Blut <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn, durch<br />

das weitere Lei<strong>de</strong>n auch nur eines einzigen Soldaten, durch die Beschmutzung<br />

auch nur eines einzigen Landsmanns, durch die Vergeudung von Glück<br />

und Zeit <strong>de</strong>s Nebenmenschen vermehrt o<strong>de</strong>r vor Entwertung bewahrt zu sehen,<br />

hätte ich im Gegenteil alles geopfert, Gold für Eisen gegeben, durchgehalten,<br />

Wehrmänner benagelt, schwarzgelbe Kreuzeln gekauft, Kriegsanleihe<br />

gezeichnet und je<strong>de</strong>s nur <strong>de</strong>nkbare Scherflein zur Endnie<strong>de</strong>rlage beigetragen,<br />

wenn ich auf diese Art auch nur einer einzigen Mutter ihren Sohn hätte erhalten<br />

können, einem einzigen Mädchen ihren Geliebten, einem einzigen Freund<br />

<strong>de</strong>n Freund, und doch war alles, was ich dafür tun konnte, daß ich inbrünstige<br />

Gebete während <strong>de</strong>r Schlacht für die schleunige Waffenstreckung dieses absur<strong>de</strong>n<br />

Vaterlands verrichtet habe, damit das sichere, durch keinen Sieg abzuwen<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

En<strong>de</strong> nicht durch <strong>de</strong>n Blutverlust je<strong>de</strong>r fernern, schrecklich vorgestellten<br />

Stun<strong>de</strong> aufgehalten, erschwert, verschärft wer<strong>de</strong>, damit unser Grab<br />

nicht durch weitere Luftbomben und, wenn's <strong>de</strong>nn ein Geschäft sein soll,<br />

durch täglich, endlos, versenkte Bruttoregistertonnen belastet sei. Und damit<br />

<strong>de</strong>r Tag näherkomme, wo diesen nichtswürdigen Generalen, Montur<strong>de</strong>poträubern,<br />

uniformierten Schleichhändlern und befehlen<strong>de</strong>n Hurentreibern endlich<br />

die Rechnung präsentiert und <strong>de</strong>r vaterländische Vorwand in seiner wahren<br />

Beschaffenheit gezeigt wird, unter <strong>de</strong>m sie die besseren Menschen zum<br />

Sterben und gar zum Töten zwangen. Aber ganz abgesehen davon, daß sich<br />

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