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Nachruf - Welcker-online.de

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ken o<strong>de</strong>r vom Arbeitstisch <strong>de</strong>s Hofsalonwagens ins blutige Leere schauend,<br />

bei<strong>de</strong>rseits ohne es gewollt zu haben. Nie mehr sehen wir jenen Königsdrachen,<br />

<strong>de</strong>n Leibesklumpen emporgereckt zu <strong>de</strong>r ersehnten Höhe, zu <strong>de</strong>r erträumten<br />

Geste <strong>de</strong>s Schwertstreichs, die wahrhaftig <strong>de</strong>n Krieg erklärt, unter<br />

Volksvertretern, die nicht mehr als Parteien, nur noch als Idioten gekannt<br />

sein wollen. Nie mehr die wi<strong>de</strong>rliche Szene, wie <strong>de</strong>m Basiliskenblick, gesenkten<br />

Hauptes, Tränen enttropfen; nie mehr die peinigen<strong>de</strong> Berufung <strong>de</strong>s Freiheitskriegers,<br />

<strong>de</strong>m es, noch im vierten Jahr, kein Kampf um die Güter <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>de</strong> ist; nie mehr das Schmählichste von allem, wie ein Haufe dieses ärmsten<br />

Menschenviehs, ganz mit <strong>de</strong>n verzerrten Mäulern und irren Augen, ganz wie's<br />

zwischen Gitterstäben eines Transports zur Schlachtbank sichtbar ist, vor<br />

<strong>de</strong>m Sturmangriff »Wir treten zu beten vor Gott <strong>de</strong>n Gerechten« anstimmt.<br />

Nie mehr wer<strong>de</strong>n wir's schauen, nie mehr wird es sein. Von <strong>de</strong>r Glorie entlaust,<br />

mit <strong>de</strong>m Menschenrecht, daß wie<strong>de</strong>r Geist wachse, wo Zierrat und Untat<br />

war, gehn wir in die Welt ein, und das verdanken wir <strong>de</strong>m nüchternen<br />

Prinzip jener Anstalt, die unsere Romantik nicht gescheut hat, um uns <strong>de</strong>n<br />

Kopf zurechtzusetzen. Denn es geschah das Wun<strong>de</strong>r, daß <strong>de</strong>r barste Lebenssinn<br />

an uns zur Ekstase entbrannte, um uns vom Mischmasch zu erlösen, und<br />

daß er sich freiwillig unter <strong>de</strong>n letzten Fluch eines falschen Lebens begab, unter<br />

<strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>nzwang, fanatisch entschlossen, uns von ihm zu befreien. Wilson<br />

hat <strong>de</strong>n Völkern Europas geholfen, ihre heiligsten Güter zu wahren! Der Gedanke<br />

<strong>de</strong>s Völkerbunds ist so stark, daß es seiner Durchführung nicht<br />

braucht, um die Welt mores zu lehren, son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>r Bereitschaft eines<br />

Staates, lieber erobert als gerüstet zu sein. Die schlechte Einteilung, daß<br />

Menschen, die mit Lunge, Leber, Milz und an<strong>de</strong>rn Organen ausgestattet sind<br />

wie wir, nur <strong>de</strong>shalb weil sie kein Gehirn haben, dafür durch Ansehen vor uns<br />

entschädigt sein sollen, ist beseitigt. Daß solchen Individuen gar die Entscheidung<br />

über unser Leben anzuvertrauen wäre und daß es gut so sei, wird kein<br />

Fibelstück künftig mehr <strong>de</strong>n Kleinen erzählen, die schon dadurch, daß sie<br />

nicht mehr gelehrt wer<strong>de</strong>n sollen, Speere zu werfen, wie<strong>de</strong>r anfangen wer<strong>de</strong>n<br />

die Götter zu ehren. Eine Untersuchung darüber, ob irgendje an einer Feldherrntat<br />

<strong>de</strong>r Genius beteiligt war, wird für eine künftige Geistesbildung unerheblich<br />

sein, da die Schändung <strong>de</strong>s Handwerks durch die Inspirationen jener,<br />

die eine Metzgerarbeit um ihrer eigenen Existenz willen befehligt haben, die<br />

angeekelte Menschheit zu an<strong>de</strong>ren Interessen bekehren und an <strong>de</strong>r Erfindung<br />

<strong>de</strong>s Schießpulvers für alle Zukunft nichts weiter bemerkenswert sein wird als<br />

ihre Gleichzeitigkeit mit <strong>de</strong>r Erfindung <strong>de</strong>r Druckerschwärze. Überhaupt wird<br />

<strong>de</strong>r geschichtlichen Wissenschaft das Opfer nicht erspart bleiben, auf einen<br />

guten Teil ihrer positiven Ergebnisse für <strong>de</strong>n verneinen<strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>r Kulturgeschichte<br />

zu verzichten. Nicht jene, diese wird die Jahreszahlen <strong>de</strong>r Offensiven<br />

verzeichnen; diese wird, nebst Konterfei, <strong>de</strong>n Lebenslauf <strong>de</strong>r Generale<br />

aufbewahren, die, von <strong>de</strong>r technischen Durchbildung ihres Berufes abgesehen,<br />

auch alle Disziplinen <strong>de</strong>s Geistes <strong>de</strong>m Zwecke <strong>de</strong>r Menschenschlachtung<br />

unterzuordnen vermocht haben: die Theologie zur »Aufpulverung« einer<br />

Mannschaft, die durch Schlamm und Schnee stürmen und nicht vor <strong>de</strong>m Hel<strong>de</strong>ntod<br />

Hungers sterben soll, die Medizin zur Zusammenflickung ihrer Leiber,<br />

die Juristerei zu ihrer Hinrichtung, und die Philosophie zur Verleihung <strong>de</strong>s Ehrendoktorats<br />

auf Grund dieser Verdienste an die Generalität. Die Kulturgeschichte<br />

wird, wenn sie allen strategischen Sinn als die Aufgabe erfaßt, <strong>de</strong>n<br />

Völkern unter <strong>de</strong>m Vorwand <strong>de</strong>r Kriegführung das Vaterland zum Feind zu<br />

machen, <strong>de</strong>n eigentlichen Kriegsplan nicht übersehen dürfen: eine gerechte<br />

Einteilung <strong>de</strong>r Welt in Front und Hinterland, die eben <strong>de</strong>r Gelegenheit zum<br />

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