Nachruf - Welcker-online.de
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<strong>de</strong>m Grafen Lützow zum Glück ein, »Tout est perdu hors l'honneur«, nämlich.<br />
was ich aber nicht etwa übersetzen wür<strong>de</strong>: »Das Einzige, was wir besitzen, ist<br />
die Ehre«, son<strong>de</strong>rn schlicht: »Wir haben alles verloren«. Dagegen haben wir<br />
zweifellos die Eigenschaft <strong>de</strong>r Gerechtigkeit uns erhalten können, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r<br />
Graf Lützow stellt die Frage: »Können <strong>de</strong>nn im heutigen England die eigenen<br />
und die frem<strong>de</strong>n Handlungen niemals mit <strong>de</strong>m gleichen Maße gemessen wer<strong>de</strong>n?«<br />
Das ist aber gar keine Frage, son<strong>de</strong>rn einfach eine Antwort, die unter<br />
<strong>de</strong>r Aufschrift gedruckt wer<strong>de</strong>n müßte: »Ungerechtigkeit in England«, was<br />
noch heute so erfreulich wäre wie »Hungersnot in Frankreich«. Denn: »Wir«<br />
— <strong>de</strong>r Graf Lützow setzt das Wort in Sperrdruck — »stehen auf <strong>de</strong>m Standpunkte,<br />
daß <strong>de</strong>r wehrlose Feind aufhört ein Feind zu sein«. Wir ja, die an<strong>de</strong>rn<br />
natürlich nicht; noch heute stehn wir auf dm Standpunkt, wo wir keinen wehrlosen<br />
Feind mehr haben, wohl aber die Möglichkeit, von <strong>de</strong>m Millionengeschenk<br />
<strong>de</strong>r italienischen Gefangenen an uns weiter kein Aufhebens zu machen.<br />
»Den Schimpf einer unmenschlichen Haltung während <strong>de</strong>s Krieges weisen<br />
wir mit Verachtung zurück«, ruft Lützow und ahnt gar nicht, wie recht er<br />
hat, und umsomehr, als ja die Verprügelung italienischer Soldaten auf <strong>de</strong>n<br />
Bahnhöfen von Wörgl und Linz erst nach Abschluß <strong>de</strong>s Waffenstillstan<strong>de</strong>s erfolgt<br />
ist.<br />
— — 1 — —<br />
Aber er hofft, daß die 'Times' — er hat, wiewohl er ein Botschafter a. D.<br />
ist, »kein Mittel, um mit <strong>de</strong>r Redaktion direkt zu korrespondieren« — seine<br />
Richtigstellung veröffentlichen wer<strong>de</strong>n, sobald sie davon Kenntnis erhalten.<br />
»Skeptiker«, setzt er hinzu, »wer<strong>de</strong>n über meine Naivität lächeln.« Aber er<br />
kennt sein England und hat die Überzeugung, »daß die alte englische Tradition<br />
<strong>de</strong>s Fair play auch jetzt nicht ausgestorben ist«. Ob er das als Jockeyklubpräsi<strong>de</strong>nt<br />
o<strong>de</strong>r nur als Diplomat hofft, läßt er unerwähnt. Ich nun bin so sehr<br />
Skeptiker, daß ich die Erwartung <strong>de</strong>s Grafen Lützow nicht einmal für seine<br />
stärkste Naivität halte. Der Gesinnung, die sich in <strong>de</strong>m vornehmen Bekenntnis<br />
<strong>de</strong>s Chefs <strong>de</strong>r englischen Militärmission in Wien ausgesprochen hat, »daß wir<br />
jetzt alle wünschen, die Greuel <strong>de</strong>s Krieges zu vergessen und nicht an sie erinnert<br />
zu wer<strong>de</strong>n«, wäre auch zuzutrauen, daß sie, <strong>de</strong>m humanen Zweck zuliebe<br />
noch die Wahrheit berichtigt. Und selbst dies ist wünschenswert, da <strong>de</strong>r<br />
Menschheit augenblicklich nicht an<strong>de</strong>rs zu hellen ist als daß die Völker so<br />
schnell als möglich vergessen, was sie einan<strong>de</strong>r angetan haben. Aber sie wür<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>n Fortschritt, <strong>de</strong>n sie durch die Gna<strong>de</strong> erzielt, reichlich wettmachen,<br />
wenn sie es an Reue fehlen ließe, in<strong>de</strong>m die Völker so schnell als möglich vergessen,<br />
was sie <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn, und ganz beson<strong>de</strong>rs, was sie sich selbst angetan<br />
haben. Wehe uns, wenn wir Gna<strong>de</strong> üben wollten an uns selbst! Der Feind mag<br />
gegenüber einer Wiener Lügenzeitung, die ihm eine Anklage <strong>de</strong>utscher Grausamkeiten<br />
in <strong>de</strong>n Mund gelegt hat, sich zum Wunsch bekennen, sie aus <strong>de</strong>m<br />
Gedächtnis zu tilgen. Aber wir dürfen es von ihm nicht verlangen, selbst wenn<br />
wir so naiv wären, sie zu bestreiten. Denn auf keiner Seite dürfte sich die<br />
Überschreitung <strong>de</strong>r legitimen Ungebühr <strong>de</strong>s Kriegslebens die Verletzung völkerrechtlicher<br />
Normen, die selbst <strong>de</strong>m menschheitswidrigen Han<strong>de</strong>l gesetzt<br />
sind, leichter nachweisen lassen, als auf <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen, weil hier ein ganzes<br />
Heer von journalistischen, literarischen und aka<strong>de</strong>mischen Tröpfen und Spitzbuben<br />
aufgeboten war, Söldner frem<strong>de</strong>n Blutes, die mit <strong>de</strong>rselben Fe<strong>de</strong>r, mit<br />
<strong>de</strong>r sie <strong>de</strong>n Vorwurf unmenschlicher Kriegführung auf die Fein<strong>de</strong> abzuwälzen<br />
hatten, ja auf <strong>de</strong>mselben Papier, die Bombardierung von Krankenhäusern, Kir-<br />
1 an dieser Stelle erfolgte später eine Einfügung, <strong>de</strong>ren Text in Heft 508 auf S. 34 dieser<br />
Ausgabe zu fin<strong>de</strong>n ist.<br />
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