Nachruf - Welcker-online.de
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er unserem Umschwung mißtraut, daß er uns nicht für reif hält, ohne Aufsicht<br />
unserer Vampyre fortzuleben. Es scheint ja alles dafür zu sprechen, daß wir<br />
<strong>de</strong>m Gesetz <strong>de</strong>r Trägheit, <strong>de</strong>m einzigen, welches keine österreichische Regierung,<br />
je gebrochen hat, noch über das Grab <strong>de</strong>r Monarchie Treue bewahren<br />
und, weil es sehr schön war und uns sehr gefreut hat, <strong>de</strong>n ganzen Geistesdreck<br />
und Gemütströ<strong>de</strong>l ihres Hausrats übernehmen wollen. Es scheint, daß<br />
die Revolutionierung <strong>de</strong>r Herzen, die hier allzukühn mit einer Entfernung <strong>de</strong>r<br />
Hoflieferantenwappen eingesetzt hat, es bei dieser bewen<strong>de</strong>n lassen will und<br />
daß wir dazu verdammt sind, das österreichische Antlitz, welches so lange das<br />
Gegenteil <strong>de</strong>r Welt war, auch fernerhin und auf <strong>de</strong>r sich selbst überlassenen<br />
Schulter zu tragen. Der Portier <strong>de</strong>s Auswärtigen Amtes, heißt es bereits, sei<br />
mit <strong>de</strong>r Republik nicht einverstan<strong>de</strong>n, und das will, zumal wenn sich die <strong>de</strong>r<br />
an<strong>de</strong>rn Staatsämter anschließen, mehr be<strong>de</strong>uten als es auf <strong>de</strong>n ersten Blick<br />
<strong>de</strong>n Anschein hat. Man kann das nicht genug überschätzen; die Welt hat Krieg<br />
führen müssen, weil sie unsere lokalen Verhältnisse zu wenig gekannt hat.<br />
Aber die Hausmeister allein könnten's nicht richten, wenn sie nicht <strong>de</strong>r Unterstützung<br />
<strong>de</strong>r Parteien gewiß wären und wenn sich nicht diese ganze unausrottbare<br />
Art von Menschen, die einan<strong>de</strong>r alle hinter sich haben, schon verständigt<br />
und in einer passiven Resistenz, die viel mehr als alle Aktivität an<strong>de</strong>rer<br />
Volkstemperamente Entwicklungen beeinflußt, sich zu Gruppenbildungen<br />
und Verkehrshin<strong>de</strong>rnissen gefun<strong>de</strong>n hätte. Die falsche Besorgnis <strong>de</strong>r einen,<br />
daß hier republikanische Zustän<strong>de</strong> platzgreifen, und <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn, daß hier<br />
monarchistische Überraschungen eintreten könnten, beruht auf einer Überschätzung<br />
<strong>de</strong>r Wiener Möglichkeiten, nein, es bleibt alles beim Neuen, nur<br />
daß ein konstanter Wi<strong>de</strong>rstand aus <strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rungen, in <strong>de</strong>nen die Hof— und<br />
Personalnachrichten um ihr Dasein ringen, auf Schritt und Tritt die Anwendung<br />
neuer Normen verhin<strong>de</strong>rn wird. Gewiß, sie schreien nach Habsburg wie<br />
<strong>de</strong>r Hirsch in <strong>de</strong>r Jagdausstellung nach <strong>de</strong>r Quelle, und sie wür<strong>de</strong>n das Wie<strong>de</strong>rauftreten<br />
Karls so begeistert wie nur eines Marischka begrüßen, aber aus<br />
keinem an<strong>de</strong>rn Grund, als weil es ein Wie<strong>de</strong>rauftreten ist. Nicht wer beim<br />
Bühnentürl herauskommt, son<strong>de</strong>rn daß einer herauskommt, erzeugt die Wärme,<br />
und die Beliebtheit kommt hier ebenso von <strong>de</strong>r Popularität wie die Armut<br />
von <strong>de</strong>r Powerteh. Sie <strong>de</strong>nken sich ja nichts dabei, höchstens daß nichts dabei<br />
ist und daß man dabei sein kann, was eben in <strong>de</strong>r Republik, wo je<strong>de</strong>r dabei<br />
sein kann, viel schwieriger ist. Weil dieselben Leute, die eine Zeitlang »p. u.«<br />
waren, es nicht mehr erwarten können, wie<strong>de</strong>r u. a. registriert zu wer<strong>de</strong>n und<br />
weil die Klio hier in <strong>de</strong>r Kärntnerstraße spazieren geht, kann es passieren,<br />
daß zweitausend Republikaner in einem Konzertsaal einer Brettlsängerin zujauchzen,<br />
die durch die Erinnerung an <strong>de</strong>n guaten alten Herrn in Schönbrunn,<br />
<strong>de</strong>ssen Auge auf seinen Wiener E<strong>de</strong>lknaben wohlgefällig ruht, justament <strong>de</strong>r<br />
Weltgeschichte beweisen wollte, daß mir mir san. Dabei übersehe man ja<br />
nicht die tiefe Unechtheit dieser Nostalgie, die, ohne Verbindung mit <strong>de</strong>n Kulturreizen<br />
einer bessern Wiener Zeit, sich bloß von einem Farbendruck <strong>de</strong>r Gemütlichkeit<br />
nicht trennen will. Es ist beiweitem nicht jene Nobelfäulnis, die<br />
bis um 1890 <strong>de</strong>r lokalen Kultur einen gewissen Weltwert verliehen hat und<br />
<strong>de</strong>ren letzte Spuren im blutigen Chaos genau so vertilgt wur<strong>de</strong>n wie die nord<strong>de</strong>utsche<br />
Spezialität <strong>de</strong>r Ordnung. Es ist vielmehr eine Geschmackigkeit, die<br />
durch die Barbarei <strong>de</strong>s Kriegs nur gewonnen hat: das neuwienerisch—jüdische<br />
Element, ein eben angelangter und sofort rabiater Provinzcharakter, jenes<br />
fast naive Wi<strong>de</strong>rspiel von Scham und Schönheit, jene picksüße Lebensfrische,<br />
die nicht überwintern kann ohne die Aussicht auf ein fettes Ischl mit seiner<br />
vollkommenen Pervertierung <strong>de</strong>r Kaiserpracht zu einer Orgie <strong>de</strong>r unwahr-<br />
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