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Nachruf - Welcker-online.de

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<strong>de</strong>r Abstand erlebt sich in Geiz und Grausamkeit und solchen Zügen, die <strong>de</strong>m<br />

leutseligen Klatsch eines dauernd herabgelassenen Hofes greifbar sind. Er<br />

war das verhaßte Hin<strong>de</strong>rnis <strong>de</strong>s Stillstands und mußte sich einer Gesellschaft,<br />

die nur frei war, weil sie nicht mehr wert war, geführt zu wer<strong>de</strong>n, als Unhold<br />

alles Rückschritts offenbaren, <strong>de</strong>m hinterdrein auch die Brandtat mediokrer<br />

Spieler zu Gesichte stand. In Wahrheit hat es <strong>de</strong>r Gemütlichkeit nicht genügt,<br />

erlöst zu sein. Zur Erhaltung <strong>de</strong>r Gemütlichkeit hat's Krieg gegeben. Aber daß<br />

sie auch <strong>de</strong>n lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Völkern nicht ausgehen wollte, war das Wun<strong>de</strong>r. Es<br />

überstieg nicht die Maße aller uns zugemuteten Kriegsgeduld, daß eine dieser<br />

unsere Ehrfurcht herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Individualitäten, die das Subjekt eines<br />

Strafparagraphen waren und nie das Objekt eines solchen sein konnten, daß<br />

<strong>de</strong>r Generalinspektor <strong>de</strong>r Artillerie im Treubund mit einem Champagneragenten<br />

ein Millionen—Liefergeschäft entriert hatte, welches zur Aushungerung<br />

<strong>de</strong>r Front wesentlich beitrug und, solange die Volkshymne keinen an<strong>de</strong>rn Text<br />

bekommt, zu einer Verwechslung von Lorbeerreisern und Dörrgemüse führen<br />

wird. Gott erhalte, Gott beschütze vor <strong>de</strong>r Sippe unser Land! Nein, Eure Lieb<strong>de</strong>n<br />

waren die unsern nicht. Wie, es gibt Menschen, <strong>de</strong>ren Herz nichts Schöneres<br />

zu tun hat, als nach ihrer Wie<strong>de</strong>rkehr zu schlagen? Aber wenngleich<br />

solche die Monarchie für eine praktische Einrichtung halten und die majestätsbeleidigen<strong>de</strong>n<br />

Eigenschaften einer regieren<strong>de</strong>n Familie für nebensächlich<br />

und für ein Erbteil aller Dynastien, so wer<strong>de</strong>n sie doch nicht leugnen, daß<br />

die Evi<strong>de</strong>nz und Aufdringlichkeit dieser Eigenschaften, die Entartung in <strong>de</strong>n<br />

Erlaubnissen einer gelockerten Zeit, die Skandal—, ja Kriminalreife höchster<br />

Vorbil<strong>de</strong>r, und wür<strong>de</strong> dies alles noch nicht die Absetzung empfehlen, doch keineswegs<br />

die Berufung dringlich macht. Man kann ein Preistreiber in Konserven<br />

sein, wie dieser Artillerieinspektor, man kann an Holz dick verdienen wie<br />

jener Marschall Bumsti, aber man muß bei Abwicklung <strong>de</strong>r Geschäfte nicht<br />

gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Wucherparagraphen entzogen und vom Ehrfurchtsparagraphen<br />

unterstützt sein, und wenn solche Privilegien, die zum Neid <strong>de</strong>r Branchen bestan<strong>de</strong>n<br />

hatten, einmal abgeschafft sind, so ist es ganz gewiß nicht nötig, sie<br />

wie<strong>de</strong>rherzustellen. Nein, die Hoffnung auf diese Revenants wollen wir in das<br />

Reich <strong>de</strong>s Aberglaubens verweisen. Eine »Restauration« <strong>de</strong>r Monarchie — die<br />

Vorstellungen, die sich für <strong>de</strong>n Wiener an dieses Fremdwort knüpfen, wür<strong>de</strong><br />

sie keineswegs erfüllen, wiewohl die Monarchie hierzulan<strong>de</strong>, in allen ihren<br />

kulturellen Auslagen und Nie<strong>de</strong>rlagen, nie etwas an<strong>de</strong>res war als das größte<br />

Etablissement <strong>de</strong>r Monarchie und die I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>r Kaiser und Kaffeesie<strong>de</strong>r<br />

bis auf die Manifeste eines Jubiläums, einer Erweiterung und einer Abdankung<br />

zu <strong>de</strong>n Herzen sprach. Aber die offenbar zeitgebotene Verbindung von<br />

Kapuzinergruft und Nachtkaffee, die Melange von spanischem Zeremoniell<br />

und Budapester Orpheum müßte gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n grundsätzlichen Monarchisten<br />

unerwünscht sein, und so wird ihnen nichts übrig bleiben, als einem I<strong>de</strong>al,<br />

<strong>de</strong>n Royalisten <strong>de</strong>r Bars und Salonkapellen jedoch, einem An<strong>de</strong>nken nachzutrauern.<br />

Wer hätte sich nicht ein Ekelgefühl vor <strong>de</strong>r spezifischen Kaisertreue<br />

bewahrt, die unlösbar mit <strong>de</strong>r dunstigen Vorstellung eines Animierlokals verknüpft<br />

bleibt, wo es plötzlich allerhöchst hergeht, zwischen <strong>de</strong>n Gassenhauern<br />

<strong>de</strong>r Liebe das Vaterland in seine Rechte tritt und die nur hier <strong>de</strong>nkbare<br />

Schmach ehrfürchtig gestimmter Defraudanten, Büfettdamen, Lebemänner<br />

und Wurzen aller Gra<strong>de</strong> sich von <strong>de</strong>n Sitzen erhebt unter Assistenz flaschenfertiger<br />

Kellner, <strong>de</strong>s Gar<strong>de</strong>robepersonals und last not least <strong>de</strong>r Toilettefrau.<br />

Diese tiefen Zusammenhänge mögen unausrottbar sein und <strong>de</strong>r nervenstarken<br />

Republik zum Trotz noch über eine Silvesterstimmung hinaus <strong>de</strong>monstriert<br />

wer<strong>de</strong>n. Sie können nur <strong>de</strong>n Rückschluß för<strong>de</strong>rn, daß es im Erzhaus wie<br />

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