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Nachruf - Welcker-online.de

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keit seine innere Schan<strong>de</strong> keineswegs aufdrängen durfte; ein Staat, <strong>de</strong>ssen<br />

Regierungsmaxime »Mir san ja eh die reinen Lamperln« wirksam nur durch<br />

<strong>de</strong>n Vorsatz »Schön stad sein!« zu stützen war; dieser Schalanter als Oberhaupt<br />

einer Völkerfamilie; dieser alte Staatsfallot, <strong>de</strong>m zwar nie etwas erspart<br />

blieb, <strong>de</strong>r aber doch stets mehr Kaiserwetter als Verstand gehabt hat; ein<br />

Hundsgemeinwesen, <strong>de</strong>ssen Anspruch, die Welt mit seiner nationalen Mordshetz<br />

zu belästigen, ausgerechnet in <strong>de</strong>r Gottgewolltheit <strong>de</strong>s Pallawatsch unter<br />

Habsburgs Zepter begrün<strong>de</strong>t war, unter einem Zepter, <strong>de</strong>ssen Mission es<br />

schien, als Damoklesschwert über <strong>de</strong>m Weltfrie<strong>de</strong>n zu hängen; ein budgetprovisorisches<br />

Gebil<strong>de</strong>, <strong>de</strong>ssen ewiges Völkerproblem nur durch die innere<br />

Amtssprache <strong>de</strong>s Rotwelsch tunlichst zu lösen war und <strong>de</strong>ssen Verständigung<br />

durch ein Kau<strong>de</strong>rwelsch versucht wer<strong>de</strong>n mußte, wie es die hohnlachen<strong>de</strong><br />

Epoche noch nicht gehört hatte; <strong>de</strong>ssen ethnisches Kunterbunt die Einheit einer<br />

un<strong>de</strong>finierbaren Kultur ergab, die <strong>de</strong>m europäischen Geschmack als die<br />

Spezialität einer gräulichen Melange mit Doppelschlag aufgenötigt und im<br />

Abort <strong>de</strong>r Welt zur Anlockung <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong>n ausgelegt war; dieser Wiener Gemein<strong>de</strong>schlauchtrommelwagenspritzenbegleiter,<br />

wenn's eh geregnet hat, und<br />

Staubaufwirbler, wenn's trocken ist; dieses hochlöbliche Chaos und wienerische<br />

Telephongespräch zwischen <strong>de</strong>n Nationen; dieser gestutzte Doppeladler<br />

als Wahrzeichen von einer Mo<strong>de</strong>, wenn halt die Völker Sekzession machen,<br />

weil man halt sonst nix machen kann; ein Unwesen, in allem Geistigen und<br />

Körperlichen windschief und <strong>de</strong>formiert, auf <strong>de</strong>n Glanz hergerichtet und rettungslos<br />

verhatscht, <strong>de</strong>ssen rebellische Lebensform, aus Manieren, Plakaten<br />

und Walzern brüllend, wie <strong>de</strong>r Protest gefangener Rassen war, die so ihre<br />

Werte reklamierten, ihre Unwerte zu einem Monstrum aller Dialekte veruneinigt<br />

fühlten; dieses Unikum von viribus unitis aus siebzig Jahren, da ein Dämon<br />

<strong>de</strong>r Mittelmäßigkeit wie eine Trud auf <strong>de</strong>n Herzen <strong>de</strong>r Völker lag, ihnen<br />

allen dafür das gol<strong>de</strong>ne Wienerherz einschupfend, da <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Geschichte<br />

<strong>de</strong>r Schöpfung beispiellose Fall sich begab, daß eine Nichtpersönlichkeit ihren<br />

Stempel allen Dingen und Formen lieh, so daß wir in allem was uns <strong>de</strong>n<br />

Weg verstellte, in allen Miseren, Verkehrshin<strong>de</strong>rnissen, im Querschnitt je<strong>de</strong>s<br />

Pechs diesen Kaiserbart agnoszierten; diese angestammte Schlamperei, die<br />

das Justament zum fundamentum regnorum erkoren hatte; dieses graue Verhängnis,<br />

das sich durch die Zeiten frettet wie ein chronischer Katarrh und unsere<br />

Entwicklung glücklich von Schwind bis Schönpflug, von Lanner bis Lehar<br />

geleitet — Titel für die Geschichte eines Weltuntergangs, die eine Klio mit<br />

Friedjungbart dazu schreibt —: dieses ganze blutgemütliche Etwas, <strong>de</strong>m<br />

nichts erspart blieb und das eben darum <strong>de</strong>r Welt nichts ersparen wollte, justament,<br />

sollen s' sich giften — beschließt eines Tages <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>r Welt. Mit<br />

einem Satz, <strong>de</strong>r wahrhaftig die volle Bür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Altersweisheit trägt und die<br />

ganze Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Schwergeprüften — kürzer als je<strong>de</strong>r Satz, <strong>de</strong>r zur Brandmarkung<br />

<strong>de</strong>s Ungeheuers dient —, mit einem Satz, <strong>de</strong>ssen angemaßte Tiefe<br />

nur darum echt war, weil <strong>de</strong>r Verfasser ein an<strong>de</strong>rer war, ein Stilkünstler aus<br />

<strong>de</strong>m Ministerium, <strong>de</strong>r glaubte und darum erlebte (<strong>de</strong>r an die Fackel und <strong>de</strong>nnoch<br />

an Österreich glaubte), mit einem Satz, <strong>de</strong>ssen ausgesparte Fülle <strong>de</strong>n<br />

Schwall aller Kriegslyrik aufwog: mit einem »Ich habe alles reiflich erwogen«,<br />

springt die Vergangenheit, die sich nicht zu helfen weiß, <strong>de</strong>r Welt an die Gurgel.<br />

Und doch war nie etwas weniger reiflich erwogen, und Shakespeares altersberatener<br />

Monarch, <strong>de</strong>r aus Hitze und nicht aus Kälte ins Ver<strong>de</strong>rben raste,<br />

ist daneben ein Gipfel staatsmännischer Erkenntnis. Ein Serbien, das keineswegs<br />

schuldig einer Tat war, auf <strong>de</strong>r sich eben dieses greise Österreich<br />

bei kaum gehemmten Jubelgefühlen frisch ertappen ließ — eine ganze Welt,<br />

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