Nachruf - Welcker-online.de
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digkeit von Menschen, die in Thüringen o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Alpen wohnen, daß ein an<br />
<strong>de</strong>r Welt erkranktes <strong>de</strong>utsches Wesen, welches im Fortschritt sich selbst verlor,<br />
durch Abtreibung <strong>de</strong>r Exporti<strong>de</strong>ale, durch politische Demütigung, durch<br />
Verarmung zu jener Tiefe zurückfin<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>, von welcher zur »Es ist erreicht«—Höhe<br />
<strong>de</strong>s neu<strong>de</strong>utschen Typus etwa <strong>de</strong>r Weg von Claudius zu jenen<br />
lyrischen Gestaltungen <strong>de</strong>s Wolffbüros war, in <strong>de</strong>nen ein selbstgenügsames<br />
Gemüt sich nach getaner Versenkung o<strong>de</strong>r ausgiebiger Belegung seiner Bravheit<br />
versichert. Welcher wahrhaft Gerechte empfän<strong>de</strong> nach solch täglicher<br />
Scheinheiligsprechung, die Paris und London in Festungen verwan<strong>de</strong>ln mußte,<br />
um die dortigen Säuglinge bei Nacht zu ermor<strong>de</strong>n, nicht das innerste Bedürfnis,<br />
<strong>de</strong>n Frevel <strong>de</strong>r Lüge und <strong>de</strong>r Tat in Armut zu büßen? Welcher wahrhaft<br />
<strong>de</strong>utsche Mann — und stün<strong>de</strong> er, wenn's ihn nicht mehr gibt, aus <strong>de</strong>r<br />
Weimarer Fürstengruft auf — müßte nicht, und litte er darob Hunger und Kälte,<br />
über <strong>de</strong>n Sieg <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn erfreut sein? Und wer, <strong>de</strong>r die Er<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wienerwalds<br />
liebt, wür<strong>de</strong> nicht, und sehnte er sich durch <strong>de</strong>n finstersten Winter<br />
nach einem Frühlingstag in Hainbach, alle Lerchen beim Untergang Österreichs<br />
jubeln hören? Wäre all <strong>de</strong>r Jammer, <strong>de</strong>n wir nun durchhalten müssen,<br />
weil wir so verblen<strong>de</strong>t waren, schon vier Jahre vorher durchzuhalten, nicht so<br />
winzig im Vergleich zu <strong>de</strong>n unvorstellbaren Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Millionen Märtyrer in<br />
<strong>de</strong>n Schützengräben, <strong>de</strong>r Zehntausen<strong>de</strong>, die kein Licht haben, weil sie erblin<strong>de</strong>n<br />
mußten, und die kein Feuer mehr haben, weil sie erfroren sind, so geringfügig<br />
auch im Vergleich zu <strong>de</strong>n nie vorgestellten Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Bevölkerung <strong>de</strong>s<br />
von uns gemarterten Serbien und <strong>de</strong>s von unseren Bun<strong>de</strong>sbrü<strong>de</strong>rn gefolterten<br />
Belgien; wäre das Los, ein paar Wochen in einer kalten und finstern Wohnung<br />
zu sitzen, nicht so gleichgültig im Vergleich zu <strong>de</strong>n sibirischen Wintern unserer<br />
Verwandten und Freun<strong>de</strong>, zu <strong>de</strong>r jahrelangen Haushaltung in Kellern, die<br />
unsere Fein<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Besuch <strong>de</strong>utscher Bomben vorzogen; wäre es selbst keine<br />
Phrase, <strong>de</strong>n Siegern <strong>de</strong>n Plan <strong>de</strong>r »Brandschatzung« durch einen Gewaltfrie<strong>de</strong>n<br />
vorzuwerfen, da sie ja doch nur die zivilrechtliche Sühne für eine reale<br />
Brandschatzung be<strong>de</strong>utet; wäre es selbst nicht Christenpflicht, getrost allen<br />
Mangel an Feuer, Licht und Gas hinzunehmen für die Wirtschaft von vier Jahren,<br />
wo wir wahrlich zu viel hatten an Gas, Feuer und Flammen — selbst<br />
wenn das Nachspiel unverdient hart jene Unschuldigen träfe, die doch schuldig<br />
sind <strong>de</strong>r Duldung <strong>de</strong>r härtern Ungebühr, <strong>de</strong>r größeren Schmach durch die<br />
vaterländischen Gewalten: selbst dann, und wenn die tyrannischen Allüren<br />
<strong>de</strong>s Siegers nicht offensichtlich nur das <strong>de</strong>utsche Vorbild treffen, uns wie <strong>de</strong>r<br />
Alpenkönig <strong>de</strong>m Rappelkopf die Fratze <strong>de</strong>s Menschheitshasses im Spiegel zeigen<br />
wollten, selbst dann müßte <strong>de</strong>r Sucher ursprünglicher Werte, <strong>de</strong>r Freund<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Sprache, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n verlorenen Menschenlaut in diesem Gebrause<br />
von Donnerhall und Betrieb bejaht, bekennen: So soll es sein, damit zwar die<br />
Welt nicht am <strong>de</strong>utschen Wesen, aber dieses endlich selbst genese! Und damit<br />
sein Genius <strong>de</strong>r Welt wie<strong>de</strong>r mehr zu bieten habe als ein Gift, das ihre<br />
Gasmasken illusorisch macht! Die Kunst sich zu freuen,die ein Schmock <strong>de</strong>r<br />
Nibelungentreue zum Durchhalten in großer Zeit empfohlen hatte, jetzt ist sie<br />
brauchbar, wo die große Zeit beginnen könnte, jetzt, wo Not auch <strong>de</strong>n Wucherer<br />
beten lehrt, und <strong>de</strong>n Pfaffen dazu, <strong>de</strong>r keinen Anlaß mehr hat, für das Walten<br />
von Minen und Mörsern <strong>de</strong>n Segen <strong>de</strong>s Himmels herabzuflehen. So elend<br />
können wir durch die Nie<strong>de</strong>rlage gar nicht wer<strong>de</strong>n, daß wir nicht reich entschädigt<br />
wür<strong>de</strong>n durch die Nie<strong>de</strong>rlage! Der Gewinn dieses Umschwungs ist so<br />
über alle Vorstellung ungeheuer, daß er mit <strong>de</strong>n kleinen Maßen <strong>de</strong>s Bewußtseins<br />
gar nicht zu bestätigen ist und eben darum vor <strong>de</strong>m Gefühl <strong>de</strong>r unmittelbaren<br />
Verluste verschwin<strong>de</strong>t. Welches äußern und innern Zuwachses sind wir<br />
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