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wer<strong>de</strong>n! — wenn ein Teil <strong>de</strong>r Wiener Bevölkerung, vom ersten Schrecken erholt,<br />

selbst zur Bahn drängte, um <strong>de</strong>n Demobilisierten ihre Konservenbüchsen<br />

abzuschwin<strong>de</strong>ln. Und gar in <strong>de</strong>r Entscheidungsschlacht einer Fahrt auf <strong>de</strong>r<br />

Elektrischen, wo doppelt so viel Menschen je<strong>de</strong>r einer doppelten Raum beanspruchen,<br />

weil doch alle Berechnungen <strong>de</strong>r unterernähren<strong>de</strong>n Obrigkeit<br />

durch eine Vertiefung <strong>de</strong>r Körper im Krieg zunichte wur<strong>de</strong>n. Ich hatte einmal<br />

gera<strong>de</strong> die Ansprache <strong>de</strong>s Erzherzogs Friedrich an <strong>de</strong>n Kaiser memoriert,<br />

worin <strong>de</strong>r gewiß selbstverfaßte Satz stand, daß <strong>de</strong>r Marschallstab »<strong>de</strong>r oberste<br />

Traum eines je<strong>de</strong>n Soldaten« sei, und war zu neugierig, ob er in einem dieser<br />

Erdäpfeltornister Platz hätte, an die angebun<strong>de</strong>n solch ein armes, verschmutztes,<br />

verquältes Stück Mensch die große Zeit durchkeucht. Und war es<br />

nicht Österreichs Antlitz mit <strong>de</strong>m offenen Mund und <strong>de</strong>n ins Leere starren<strong>de</strong>n<br />

Pupillen, in <strong>de</strong>r rühren<strong>de</strong>n Ausdauer, wie diese Jammergestalt von Staat, dieser<br />

Lebensmittelkartenabmel<strong>de</strong>schein von einem Nichts, <strong>de</strong>n lachen<strong>de</strong>n Nachbarn<br />

und <strong>de</strong>n dumpf verzweifelten Angehörigen von <strong>de</strong>r Erfüllung seiner Blütenträume<br />

sprach, von <strong>de</strong>r bereits erfolgten o<strong>de</strong>r im Zuge befindlichen »Erneuerung<br />

Österreichs«, darin bestärkt von einer alten Wahrsagerin, einer gewissen<br />

Hermann Bahr, die ihm gesagt hatte: Sie wer<strong>de</strong>n ein großes Glück<br />

machen und ein karolingisches Zeitalter ist im Anzug. Nämlich mit beson<strong>de</strong>rer<br />

Berücksichtigung <strong>de</strong>s Umstands, daß <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong> Kaiser also Karl<br />

hieß, was auf viele Durchhalter ungemein suggestiv wirkte. Jene Wahrsagerin,<br />

die in Salzburg ihr Unwesen trieb und die katholischen Bauern durch<br />

einen »Kriegssegen« fing, die Wiener Ju<strong>de</strong>n aber durch ein freimütiges Tagebuch,<br />

mußte sich jetzt, vom Lauf <strong>de</strong>r Ereignisse um ihren Kredit geprellt, angesichts<br />

<strong>de</strong>r nicht mehr abzuleugnen<strong>de</strong>n Tatsache, daß das karolingische<br />

Zeitalter infolge Auflassung <strong>de</strong>s Geschäfts nicht durchführbar ist und selbst<br />

eine Erneuerung Österreichs nicht mehr stattfin<strong>de</strong>n könnte, zu <strong>de</strong>m Geständnisse<br />

bequemen, es sei eigentlich das Österreich Masaryks gemeint gewesen;<br />

dann aber wur<strong>de</strong> sie frech: » ... Und ich glaube noch heute an mein Österreich,<br />

ja heute mehr als je ... Mein Irrtum war nur, daß ich mir dieses Österreich<br />

von unseren Deutschen versprach ... Aber im Grun<strong>de</strong> kommt es, weltgeschichtlich<br />

betrachtet, auch gar nicht so sehr darauf an, durch wen und wie<br />

mein Österreich geschieht, wenn es nur geschieht.« Angesichts <strong>de</strong>r Verwandlung<br />

eines Lebensmittelkartenabmel<strong>de</strong>scheins in einen Totenschein scheint<br />

hier etwas wie ein Glaube an Seelenwan<strong>de</strong>rung die Konjunktur benützen zu<br />

wollen und die Erneuerung Österreichs in Prag anzustreben sowie die Errichtung<br />

eines karolingischen Zeitalters durch Masaryk, zu <strong>de</strong>m bereits tatsächlich<br />

eine Verbindung <strong>de</strong>s Cola di Rienzo mit Karl IV. besteht. Aber schließlich,<br />

wenn wir schon im Umgruppieren sind, wird es sich herausstellen, daß wir<br />

auch nicht das Österreich Masaryks wünschen, son<strong>de</strong>rn daß uns mehr das Österreich<br />

Marischkas am Herzen liegt. Nun, auch die Fähigkeit, am eigenen<br />

Grab noch eine Hoffnung aufzupflanzen, diese Zudringlichkeit <strong>de</strong>m Schicksal<br />

gegenüber, wenn hienie<strong>de</strong>n noch ein Geschäft zu machen ist, diese ewige<br />

Wie<strong>de</strong>rkehr <strong>de</strong>s Hausierers, <strong>de</strong>r eigentlich Böhmen gemeint, wenn er Österreich<br />

angeboten hat, diese Beharrlichkeit eines Phönix—Agenten, <strong>de</strong>r die Auferstehung<br />

in je<strong>de</strong>r Form garantiert — auch dies ist einer <strong>de</strong>r letzten Züge <strong>de</strong>s<br />

österreichischen Antlitzes. Aber es weiß, wozu es auf <strong>de</strong>r Welt ist. Es gehört<br />

ja <strong>de</strong>m Wiener, und darum zweifelt es nicht an seinem Davonkommen. Es bewährt<br />

sich todsicher in dieser Fähigkeit, sich, in guten und schlimmen Zeiten,<br />

als Protektionskind <strong>de</strong>r Schöpfung zu erleben und <strong>de</strong>n Wiener als <strong>de</strong>n Wiener<br />

zu reklamieren, worunter eben ein Wesen zu verstehen ist, das sich mit Recht<br />

um seine Eigenart benei<strong>de</strong>t, in<strong>de</strong>m es nämlich ein beson<strong>de</strong>res Blut hat, das<br />

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