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Nachruf - Welcker-online.de

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<strong>de</strong>n beispiellosen Gewinn ermessen, <strong>de</strong>n sein Verlust be<strong>de</strong>utet, nebst <strong>de</strong>r Frivolität<br />

jener, die ihn betrauern. Denn wenn zum endlichen Beweise <strong>de</strong>r<br />

Menschheit allüberall die Stun<strong>de</strong> anbricht, wo Vaterland als Zeitverlust und<br />

als eine Einbuße an Lebensgütern empfun<strong>de</strong>n wird, so grenzt es an Affenschan<strong>de</strong>,<br />

<strong>de</strong>n abgelebten Fabel— und Fibelwert einem Verein reservieren zu<br />

wollen, <strong>de</strong>ssen Statuten gera<strong>de</strong>zu darauf abgezielt waren, ihn zum Scha<strong>de</strong>n<br />

seiner Mitglie<strong>de</strong>r auszuwirken. Es kann angesichts <strong>de</strong>s Hingangs dieses Toten,<br />

<strong>de</strong>r es lange genug war und uns von <strong>de</strong>r Pietät zu leben zwang, keine<br />

würdigere Empfindung geben als die <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong>, gemin<strong>de</strong>rt durch das<br />

schmerzliche Bedauern, daß kein Teilchen von ihm übrig geblieben ist, um sie<br />

zur Scha<strong>de</strong>nfreu<strong>de</strong> zu vere<strong>de</strong>ln. Wenn Deutsch—Österreich sich vom Gemüt<br />

seiner Inwohner verführen lassen wollte, sich als ein Stück von ihm zu bekennen,<br />

so gäb's eine Mordshetz. Es sollte aber nicht. Nur <strong>de</strong>n einen Zusammenhang<br />

darf es geben: die dumpfe Erinnerung an einen überstan<strong>de</strong>nen Angsttraum.<br />

Wir hatten einmal eine Sage gehört von einem bösen Mißstaat, <strong>de</strong>n ein<br />

Dämon träumte, nun schliefen wir ein und träumten's auch. Erwachend aber<br />

greift Zettel <strong>de</strong>r Weber, <strong>de</strong>r nicht in die Arme einer Feenkönigin, son<strong>de</strong>rn einer<br />

Hexe eingerückt war, die ihn immer zu salutieren zwang, sich noch einmal<br />

an die Stirn und spricht:<br />

»Ich habe ein äußerst rares Gesicht gehabt.« Er hat das österreichische<br />

Antlitz gesehn. »Ich hatte 'nen Traum — 's geht über Menschenwitz,<br />

zu sagen, was es für ein Traum war. Der Mensch ist<br />

nur ein Esel, wenn er sich einfallen läßt, diesen Traum auszulegen.<br />

Mir war, als wär' ich — kein Menschenkind kann sagen, was.<br />

Mir war, als wär' ich, und mir war, als hätt' ich — aber <strong>de</strong>r<br />

Mensch ist nur ein lumpiger Hanswurst, wenn er sich unterfängt,<br />

zu sagen, was mir war, als hätt' ich's; <strong>de</strong>s Menschen Auge hat's<br />

nicht gehört, <strong>de</strong>s Menschen Ohr hat's nicht gesehen, <strong>de</strong>s Menschen<br />

Hand kann's nicht schmecken, seine Zunge kann's nicht begreifen,<br />

und sein Herz nicht wie<strong>de</strong>r sagen, was mein Traum war.<br />

Ich will <strong>de</strong>n Peter Squenz dazu kriegen, mir von diesem Traum<br />

eine Balla<strong>de</strong> zu schreiben; sie soll Zettels Traum heißen, weil sie<br />

so seltsam angezettelt ist, und ich will sie gegen das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Stücks vor <strong>de</strong>m Herzoge singen.«<br />

Es geht über Menschenwitz zu sagen, was es für ein Traum war. Er hatte<br />

geträumt, daß er die Montur eines Esels trug! Was für ein Esel war er, diese,<br />

Montur zu tragen! Und wie er sich schämt! Er war einrückend gemacht;<br />

nun rückt er von sich ab. Und die hier? Die bekennen sich zum Alpdruck dieser<br />

feldgrauen Nacht und träumen von ihrem Traum. Zeit—und Landsgenossen<br />

dieser Unsäglichkeiten gewesen zu sein, es erniedrigt sie nicht. Sie fühlen<br />

keinen Schau<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>m guten Gewissen, das ihnen fernern Schlaf, Verdauung<br />

und Begattung erlaubt; nein, sie fühlen einen Zuwachs an Ehre: <strong>de</strong>n Anstiftern,<br />

Organisatoren und Helfern einer Tat, die eine Zukunftsbibel als das<br />

größte Erbrechen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> in das Antlitz <strong>de</strong>r Schöpfung zeichnen wird, auf<br />

<strong>de</strong>r Straße zu begegnen und die blutige Hand zu drücken, <strong>de</strong>n Scharlatanen<br />

am Weltgericht, Diurnistenseelen, die <strong>de</strong>n jüngsten Tag dazunahmen, und die,<br />

wenn sie sonst nichts über uns verhängt hätten als die Posaunen ihrer blechernen<br />

Phraseologie, und wenn wir ihres Waltens keinen Hauch verspürt<br />

hätten als die Verwandlung eines österreichischen Eisenbahnklosetts, <strong>de</strong>s Inferno<br />

<strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nszeiten, in einen Protektionsplatz — ihr ganzes emeritiertes<br />

Leben dortselbst zu verbringen Anspruch hätten! Diese Eisenfresser, die nicht<br />

einmal ahnten, daß sie vom Wucher geschoben wur<strong>de</strong>n wie ein Waggon<br />

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