INFORMATIONSBRIEF Nr. 40 / 2-2004 April - Mai - Juni - BAGSO
INFORMATIONSBRIEF Nr. 40 / 2-2004 April - Mai - Juni - BAGSO
INFORMATIONSBRIEF Nr. 40 / 2-2004 April - Mai - Juni - BAGSO
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Aus Kirche, Politik und Gesellschaft<br />
Fragment Erfahrungen<br />
„Fragmentierung" ist ein Stichwort, mit dem Soziologen unsere<br />
postmoderne Pluralität beschreiben. Kennzeichnungen moderner<br />
Biographien wie Drahtseil - Biographie, Bastel - Biographie, Patchwork<br />
- Biographie, Risiko - Biographie, Bruch - Biographie deuten den<br />
Stückwerk - Charakter und die Zerbrechlichkeit unseres gegenwärtigen<br />
Lebens an. Dietrich Bonhoeffer hat als einer der ersten den Begriff des<br />
Fragmentes bezogen auf seine eigene Biographie. Er schreibt in<br />
"Widerstand und Ergebung", seinem Gefängnistagebuch: "Wir sind<br />
aufgewachsen in der Erfahrung unserer Eltern und Großeltern, der<br />
Mensch könne und müsse sein Leben selbst planen, aufbauen und<br />
gestalten, es gebe ein Lebensziel, zu dem der Mensch sich zu<br />
entschließen und das er dann mit ganzer Kraft auszuführen habe und<br />
auch vermöge. Es ist aber unsere Erfahrung geworden, dass wir nicht<br />
einmal für den kommenden Tag zu planen vermögen, dass das<br />
Aufgebaute über Nacht zerstört wird und unser Leben im Unterschied<br />
zu dem unserer Eltern gestaltlos oder doch fragmentisch geworden ist."<br />
Der früh verstorbene Theologe Henning Luther hat diesen Begriff für<br />
unsere Zeit bewußt aus dem ästhetischen Vorstellungsrahmen in die<br />
Theologie- und Bildungsdiskussion überführt. Er spricht von zwei<br />
Bedeutungen des Fragmentes.<br />
1. Es gibt Fragmente aus der Vergangenheit, Überreste eines zerstörten,<br />
aber ehemals Ganzen, das zum Torso oder zur Ruine geworden ist. In<br />
Museen finden wir viele solcher Fragmente. Sie lassen die vergangene<br />
Schönheit erahnen und sind trotz hohem Alter und Zerbrochenheit<br />
schön. Sie regen unser Nachdenken an. Rilkes Gedicht über den<br />
berühmten Torso des Apoll endet: "Denn da ist keine Stelle, die dich<br />
nicht sieht: Du mußt dein Leben ändern.“<br />
2. Bezeichnet der Begriff auch Fragmente aus Zukunft: unvollendet<br />
gebliebene Werke, die ihre endgültige Gestaltungsform nicht - noch<br />
nicht - gefunden haben. Dietrich Bonhoeffer sah sein Leben als<br />
"Fragment aus Zukunft". Er schreibt: „Es kommt wohl nur darauf an, ob<br />
man dem Fragment unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze<br />
eigentlich angelegt und gedacht war und aus welchem Material es<br />
-29-