Berlin.Friedrichstraße Ausgabe 3/2013 (Vorschau)
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Die Fassade des alt-ehrwürdigen<br />
Tanztempels, in dem scheinbar die<br />
Zeit stehengeblieben ist.<br />
Nach <strong>Berlin</strong> bin ich nur durch meine Frau gekommen.<br />
Aber sie wollte nicht aufs Land. Ich<br />
könnte ja auch mal nach Amerika reisen, aber<br />
mein Brandenburg verlasse ich nicht.<br />
→ Und sonst?<br />
Ich gehe gern essen. Zum Beispiel in das Restaurant<br />
»Zur Rippe« im Nikolaiviertel, da esse<br />
ich Königsberger Klopse.<br />
→ Was macht Clärchens Ballhaus so<br />
einzigartig?<br />
Das Flair ist einzigartig. Hier halten sogar<br />
Busse aus Westdeutschland an und die Leute<br />
fotografieren alles. Mir och. Die finden<br />
das einfach gut, das Urige und Alte. Auch<br />
wenn alles noch so alt ist, aber die Leute sind<br />
manchmal bis früh um fünf Uhr hier.<br />
→ Wie sind Sie damals zum Clärchen<br />
gekommen?<br />
Clärchens Ballhaus kenne ich ja schon seit<br />
meiner Kindheit, wir haben hier in der Nachbarschaft<br />
gewohnt. Im Mai ʹ45 waren hier die<br />
Kosaken und Mongolen drin. In einer Ecke<br />
standen die Pferde, in einer anderen wurde<br />
eine Kuh geschlachtet. In einem Eimer haben<br />
sie für uns Essen gekocht, Suppe mit Kohl,<br />
weil wir ja nichts hatten. 1946 hat Clärchen<br />
hier weiter gemacht, und auch sie hatte in einer<br />
Ecke Hühner.<br />
Ich hätte nie im Ballhaus angefangen,<br />
aber meine Frau hat damals hier gearbeitet.<br />
Sie hat 20 Jahre hinter der Bar gestanden und<br />
war insgesamt auch 37 Jahre hier. Wegen der<br />
Kinder war sie dann aber 13 Jahre zu Hause<br />
und ich habe das Geld verdient, auch hier.<br />
Ich habe oft etwas repariert in diesem Haus<br />
und irgendwann dann regelmäßig hier gearbeitet.<br />
Ich kann Bagger fahren, Raupe, LKW,<br />
Kipper und so weiter. In diesem Jahr habe ich<br />
60 Jahre meinen Führerschein und bin immer<br />
unfallfrei gefahren, obwohl ich nur eine einfache<br />
Schulbildung habe. Ich habe zwar nichts<br />
gelernt und nicht studiert, aber ich bin nicht<br />
doof. Das kannste mir glauben, meine Kleene.<br />
→ Können Sie sich noch an Ihren 1. Arbeitstag<br />
hier erinnern?<br />
Widerlich! Ich bin kein gelangweilter Trinkgeldempfänger.<br />
Ich habe immer etwas getan<br />
für mein Geld. Von Armisten habe ich nichts<br />
genommen, von Frauen heute noch nicht.<br />
Das macht man nicht. Da bin ich noch einer<br />
von der alten Schule und lege auch großen<br />
Wert darauf.<br />
→ Gefällt Ihnen immer die Musik, die hier<br />
gespielt wird? Welche Musik hören Sie am<br />
liebsten?<br />
Zu Hause höre ich ja nur Klassik. Aber hier<br />
im Lokal mag ich die amerikanische Musikszene,<br />
nur keine deutschen Schlager. Das Gejaule<br />
um Liebe und Leid. Man liebt einen mit<br />
den Augen und dem Herzen aber nicht mit<br />
den Ohren. Wie die schon angezogen sind.<br />
Aber unsere Hausband, die heute hier spielt,<br />
die gefällt mir. Die spielen AC/DC, das rockt.<br />
Früher die Kapelle war nur eine Leierei. Der<br />
Trommler ist bald eingepennt, dazu ein Saxophon<br />
und ein Klavier. Das war ja langweilig,<br />
immer Schneewalzer und den manchmal<br />
fünfmal am Abend. Das ging sogar bis nach<br />
der Wende so.<br />
→ Was sind denn die größten Veränderungen<br />
im Laufe der Jahre?<br />
Alles ist moderner geworden. Außerdem<br />
wird jetzt unentwegt Musik gespielt. Früher<br />
war das anders. Da gab es drei Tänze und<br />
anschließend 10 Minuten Pause, damit die<br />
Bedienung servieren konnte. Da durfte auch<br />
niemand auf der Tanzfläche stehen oder an<br />
der Theke, nur an der Bar. Früher gab es auch<br />
immer verkehrten Ball, da durften die Damen<br />
<strong>Berlin</strong>.<strong>Friedrichstraße</strong> Nr. 3 <strong>2013</strong> 41