Berlin.Friedrichstraße Ausgabe 3/2013 (Vorschau)
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
culture | historie friedrichstraSSe teil 3<br />
»Damen« mit riesigen Hüten und hochgeschnürten Brüsten im Grand Café National, Postkarte<br />
D<br />
ie <strong>Friedrichstraße</strong> war auch ein Ort<br />
der Prostitution, die Suche nach<br />
Lustgewinn groß. Schon Napoleon<br />
Bonaparte verbrachte 1806 zwischen Kronenund<br />
Mohrenstraße mit drei Begleitern eine<br />
»vergnügte Nacht« bei Madame Bernhard in<br />
der Nr. 63. Das über <strong>Berlin</strong> hinaus bekannte<br />
Haus sollte frei von anderen Gästen sein und<br />
niemand über den Besuch des Korsen berichten.<br />
Zur Jahrhundertwende war es der<br />
Wunsch Kaiserin Auguste Viktorias, dass es<br />
in <strong>Berlin</strong> keine »Maisons« wie in Paris geben<br />
durfte, die unter polizeilicher und hygienischer<br />
Kontrolle standen. »Hier aber flanierten<br />
jetzt neben den gewerbsmäßigen Prostituierten<br />
überall in der <strong>Friedrichstraße</strong> Hunderte<br />
von ›jungen Dingern‹, meist zusammen mit<br />
wenig älteren Freundinnen, die als Verkäuferinnen<br />
oder in den Fabriken so wenig verdienten,<br />
dass sie einen Nebenverdienst<br />
brauchten« (Franz Born).<br />
Zur Zeit der Weimarer Republik lag die<br />
Hauptstadt in einem Taumel aus Lebens- und<br />
Liebeslust. Zensur und kaiserlich verordnetes<br />
Kulturverständnis waren vorüber. <strong>Berlin</strong><br />
war die Weltstadt der Lüste und erlebte einen<br />
paradiesischen Zustand völliger erotischer<br />
Freiheit. Die Prostitution war jetzt akzeptiert,<br />
Drogen und Pornographie im Gebrauch.<br />
Die <strong>Friedrichstraße</strong> war schon nach 1900<br />
der »öffentliche Hauptmarkt der Dirnen«,<br />
notiert der Chronist Hans Ostwald. Prunk<br />
und Elend der Prostitution lagen hier eng zusammen.<br />
In den Tanzsälen boten sich junge,<br />
geschmückte Frauen an. »Die Frauen geputzt<br />
und mit erregten Augen. Dahinter Leute aus<br />
der Provinz mit starren Augen, die verwundert<br />
auf diese unendliche Kette von sich anbietenden<br />
jungen und alten, geputzten und<br />
ungeputzten Mädchen blicken. Fremde, die<br />
erstaunt sind über die drall auf den Hüften<br />
sitzenden Kleider, über die hochgeschnürten<br />
Brüste, über die anlockenden Gesichter unter<br />
den verwegen aufgesetzten, oft so überladenen<br />
Hüten.«<br />
Von 1878 bis 1927 existierte an der Ecke<br />
Jägerstraße, in der Nr. 76, das »Grand Café National«.<br />
Es war das »berühmteste Hurencafé«,<br />
schreibt George Grosz. Heute steht an gleicher<br />
Stelle das Warenhaus Galeries Lafayette. Das<br />
»National« monopolisierte den korpulentesten<br />
Teil des nächtlichen Fleischmarktes. Die Gäste<br />
bewerteten ihren Besuch auf Postkarten (siehe<br />
Foto): Zu »Gesellschaft, Vergnügen, Preis,<br />
Durst«. Eine der Frauen (»Goldfische-Anne«)<br />
lässt der Schriftsteller Carl Zuckmayer in seinen<br />
Memoiren zu Wort kommen: »Das ›Nati‹<br />
hatte zwei Eingänge, einen hellerleuchteten in<br />
der <strong>Friedrichstraße</strong>, einen in der Nebenstraße,<br />
der Jägerstraße, der für Schleichende vorgesehen<br />
war. Kommt eine Familie herein, so kann<br />
sie am großen runden Familientisch Platz<br />
nehmen, dicht vor dem riesigen Buffet mit<br />
Aussicht über all die üppigen Schönheiten.«<br />
Die Fenster des plüschprunkenden »National«<br />
waren verhangen, das Café eine geheimnisvolle<br />
Lasterhöhle.<br />
Der Schriftsteller Otto Julius Bierbaum<br />
beschreibt in »Josephine« das »traurige Bild«<br />
des Lokals, »der bekannte Mischgeruch von<br />
Parfüm, Caffee, Cigarren, Menschenschweiß,<br />
und natürlich auch der übliche Spießruthenlauf<br />
durch die geschäftsmäßig, aber nicht sehr<br />
höflich sich anbietenden Frauenzimmer.«<br />
Studenten nehmen Platz und »nun weiß<br />
Beyer wenigstens, in welchen Schoß er sein<br />
schwarzes Lockenhaupt zu legen hat. Die berühmte<br />
Adelheid nämlich ist drunter. In der<br />
Monatsrechnung für seinen Alten steht sie<br />
immer mit 20 Mark unter der Rubrik: Theater,<br />
Probe der Steinmeier-Girls in dem gleichnamigen Tanz-Palast, Postkarte<br />
Conzerte und Vergnügungen.« Der Hochbetrieb<br />
begann jede Nacht nach Theaterschluss<br />
und dauerte bis in die Morgenstunden. Die<br />
»Damen« saßen mit den riesigen Rembrandtoder<br />
Rubenshüten, mit den wippenden Federn,<br />
mit den über das überschlagene Knie<br />
gerafften langen weiten Röcken samt einigen<br />
Frou-Frou-Unterröcken, zugleich verlockend<br />
mit dem berühmten Augenaufschlag, der etwa<br />
bedeutete: »Na, Kleener, wie isst denn?«<br />
Männer drückten in der <strong>Friedrichstraße</strong><br />
Passanten kleine Zettel in die Hand mit dem<br />
Hinweis auf obskure Lokale. Aus den Seitenstraßen<br />
winkten einladend die Schilder und<br />
Laternen der Hotels und Pensionen, die nur<br />
für Stunden ein Bett anboten. Ein Stunden-<br />
Zimmer kostete zwischen drei und zehn Mark<br />
(35 Euro), die dazu gehörigen Mädchen gab es<br />
schon für zwei bis fünf Mark (etwa 18 Euro).<br />
Der Eintritt in die Edel-Clubs betrug rund 10<br />
Mark. Die schmale Rosmarinstraße, gleich<br />
hinter dem heutigen VW-»Automobil Forum«,<br />
erhielt ihren Namen um 1815. Der ursprüng-<br />
Harald Neckelmann:<br />
friedrichstraße berlin<br />
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
<strong>Berlin</strong> Story Verlag, 144 S., 19,80 €<br />
44 <strong>Berlin</strong>.<strong>Friedrichstraße</strong> Nr. 3 <strong>2013</strong>