Berlin.Friedrichstraße Ausgabe 3/2013 (Vorschau)
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Revuegirls posieren im Stil der Quadriga für die populäre Haller-Revue im Admiralspalast, 1926<br />
Mokka-Diele mit Knutschloge, Zeichnung von Heinrich Zille<br />
liche Name »Rothe Mariengasse« bezog sich<br />
auf die Dirnen, die in den Bordellen in dieser<br />
Straße wohnten oder verkehrten. Ihr Name ist<br />
wegen ihrer Unansehnlichkeit und dem damaligen<br />
schlechten Ruf ironisch gemeint.<br />
Der weltweite Ruf der <strong>Friedrichstraße</strong> zog<br />
zahlreich Fremde und Provinzler an. Das <strong>Berlin</strong>er<br />
Nachtleben wurde vor allem durch ihren<br />
ständig wachsenden Strom erhalten. »Es ist<br />
so weit gekommen, dass heute selbst am Tage<br />
kaum noch eine anständige Frau allein durch<br />
die <strong>Friedrichstraße</strong> zu gehen wagt, geschweige<br />
denn des Nachts, wo jeder Lümmel sich berechtigt<br />
glaubt, sie ohne weiteres für vogelfrei<br />
halten zu dürfen.« In den Kaffeehäusern saßen<br />
stundenlang hunderte überwiegend sehr<br />
junge Mädchen. »Eine Gelegenheitsprostitution,<br />
geboren aus Arbeitslosigkeit und Wohnungselend«,<br />
schreibt Weka (Willy Pröger).<br />
Den meisten Mädchen reichte als Gegenleistung<br />
schon eine ordentliche Mahlzeit.<br />
Das Gebiet um das Oranienburger Tor<br />
war hurengeschichtlich eine Zwischenstation<br />
zwischen »dem Elend am Alex« und dem<br />
»Glamour« der <strong>Friedrichstraße</strong>. Bis zum Weidendamm<br />
gab es in den 20er Jahren über 50<br />
Pensionen, Cafés, Absteigen verschiedenster<br />
Art. Auf der südlichen Bahnhofsseite war eine<br />
wirtschaftlich bessergestellte Prostitution anzutreffen.<br />
Hinter der Leipziger Straße entwickelte<br />
sich die <strong>Friedrichstraße</strong> zum Domizil<br />
von »Massage-Salons«, »Salons für Körperkultur«<br />
oder »Maniküre-Salons« – getarnte<br />
Bordellbetriebe.<br />
Fotos von Seite 43<br />
1 Werbeanzeige von Steinmeier am Bahnhof<br />
<strong>Friedrichstraße</strong> in der Nr. 96<br />
2 Prostituierte in der <strong>Friedrichstraße</strong> in den<br />
Dreißiger Jahren<br />
3 Der Ruheraum für Herren im Admiralsbad, 1911<br />
In den Tanzlokalen tanzten Halbnackte<br />
in eleganter Atmosphäre auf der Bühne. Wer<br />
nicht mindestens eine halbe Flasche Champagner<br />
orderte, wurde am nächsten Tag nicht<br />
mehr eingelassen. Der <strong>Berlin</strong>er kannte diese<br />
Touristenfallen. Der »König der <strong>Friedrichstraße</strong>«,<br />
Gustav Steinmeier, führte das gleichnamige<br />
Lokal in der Nr. 96, in Bahnhofsnähe.<br />
Der Admiralspalast auf der anderen Seite<br />
der Gleise, ein Vergnügungskomplex, verfügte<br />
anfangs auch über 96 Wannenbäder. Vom<br />
Ruheraum des Herrenbades gelangte man<br />
über eine Galerie zu einer höheren Ebene, die<br />
durch Abluftlöcher den Blick ins Damenbad<br />
gewährte, was sicher keine offizielle Einrichtung<br />
war. Noch darüber, in der fünften Etage,<br />
blieb es für den geneigten Herren der Gesellschaft<br />
nicht beim Schauen. Hier hatten Freudenmädchen<br />
kleine Zimmer gemietet. Das<br />
Bad hatte rund um die Uhr geöffnet. Der Eintritt<br />
kostete 50 Pfennig für die Damen, 1,50<br />
Mark für die Herren. Reisende, die kein Hotel<br />
mehr fanden, stiegen hier in die Wanne, für<br />
20 Mark die Nacht.<br />
Die Revuetheater der Friedrichstadt zeigten<br />
dem Publikum Live-Programme, deren<br />
Freizügigkeit von der Bühne herab die Wollust<br />
anregten. Eine Besonderheit waren die in<br />
Szene gesetzten »lebenden Bilder«. Gänzlich<br />
nackte, halbnackte und verführerisch spärlich<br />
bekleidete Revue-Girls stellten bekannte Figurengruppen<br />
wie die »Quadriga« von Schadow<br />
(Brandenburger Tor) nach oder auch erotische<br />
Stellungen wie Rodins weibliche Akte,<br />
berühmte Bilder wie die »Bordell Szene« von<br />
Picasso. Die Darstellungen dienten ohne eigentlichem<br />
künstlerischen Hintergrund als<br />
Aushängeschilder für attraktive, wenn auch<br />
untalentierte Mädchen und Schönlinge, die<br />
von den Theatern als Revuegirls und -boys<br />
zumeist auf Wunsch von Kunstmäzenen<br />
und Finanziers, den Sugardaddies, engagiert<br />
werden mussten. Die Stadtoberen tolerierten<br />
Nacktheit in der Öffentlichkeit, solange die<br />
Künstler bewegungslos blieben. Nach den<br />
Revuevorstellungen wurden Partys mit unzüchtigem<br />
Motto veranstaltet, das zum Mitmachen<br />
aufforderte. Viele Theater verfügten<br />
über angeschlossene Bordelle, in denen sich<br />
die Tänzerinnen ein Zubrot verdienten. Sie<br />
nach der Show noch einmal »Revue passieren<br />
lassen«, bedeutete, sie für die Freier »antanzen<br />
zu lassen«. Im Volksmund war »Bühne«<br />
ein weit verbreiteter Begriff für »Strich und<br />
Prostitution« und »von der Bühne abtreten«<br />
hieß, sich von der Prostitution zurückzuziehen.<br />
Das Große Schauspielhaus war bemüht,<br />
ein amüsiersüchtiges Publikum von den freizügigen<br />
Lokalen der Friedrichstadt zurückzugewinnen.<br />
Die Intendanz forderte die Tänzerinnen<br />
auf, sich den Wünschen der Zuschauer<br />
aufgeschlossen zu zeigen, was zuvor tabu war.<br />
Der Autor<br />
Der Journalist<br />
Harald Neckelmann<br />
war jahrelang als Auslandskorrespondent,<br />
Reporter und Autor für den ARD-Hörfunk tätig.<br />
Außerdem war er Lehrbeauftragter an der<br />
Freien Universität <strong>Berlin</strong>. Er lebt und arbeitet<br />
als Stadtführer und Buchautor (»Leipziger<br />
Straße«, »Unter den Linden«, »Der Tauentzien«)<br />
in <strong>Berlin</strong>.<br />
<strong>Berlin</strong>.<strong>Friedrichstraße</strong> Nr. 3 <strong>2013</strong> 45