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Themenheft Schulreife

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Der erste Aspekt der Willensentwicklung:<br />

Wahrnehmen.<br />

An den verschwommenen Augen eines Neugeborenen<br />

kann man sehen, dass es noch nicht in der Lage ist, seinen<br />

Blick zu richten. Heißt das, dass es noch nichts<br />

sieht? Es sieht bestimmt etwas, aber das wird anders<br />

sein, als wir es durch unser gewöhnliches Sehen kennen.<br />

Es sieht aus, als ob das kleine Kind noch träumt, so<br />

wie unser Blick auch nicht auf etwas gerichtet ist,<br />

wenn wir vor uns hin starren. Aber der Säugling starrt<br />

nicht, seine Augen bewegen sich immerhin, als suchten<br />

sie etwas. Vielleicht könnte man sagen: Die Augen werden<br />

noch bewegt. Die Augenbewegungen ähneln den<br />

Bewegungen der Gliedmaßen in dieser Periode, die<br />

„general movements“ genannt werden. Graziöse, tänzerische<br />

Gliederbewegungen, die das Kind später so nie<br />

wieder machen wird. Als würde es durch eine unsichtbare<br />

Kraft bewegt. Dieses Von-außen-bewegt-werden<br />

ist ein Bild, das gut zu der Beeinflussbarkeit eines<br />

Säuglings passt: Alles, was in seiner Umgebung geschieht,<br />

bringt ihn in Bewegung. Es sei denn, er schläft.<br />

Das Sehen fasst zwei entgegengesetzte Bewegungen<br />

zusammen (für die anderen Sinne gilt vergleichsweise<br />

dasselbe):<br />

Es gibt eine nach innen gerichtete und eine nach<br />

außen gerichtete Sehaktivität. Das Neugeborene hat<br />

noch keinen nach außen gerichteten Blick, kann seinen<br />

Blick noch nicht richten. Die Welt schaut in sein Inneres,<br />

und es hat noch kein Bewusstsein von seiner Umgebung.<br />

Erst wenn es lernt, durch seine Augen hindurch<br />

nach außen zu blicken, kann es sehen. In der<br />

Begegnung dieser zwei Sehströme entsteht eine Wahrnehmung.<br />

Bis dahin ist die Wahrnehmung vage, unkontrolliert.<br />

Nach und nach beginnt das Kind zu sehen,<br />

zu erfühlen und zu schmecken, was es zu sehen und zu<br />

ertasten gibt. Wahrnehmen ist also ein aktiver Prozess.<br />

Der Wille ist daran beteiligt. Davor ist die Umwelt nur<br />

Wirkung von außen nach innen. Später wird die Umgebung<br />

wahrgenommene Außenwelt, die mit den Sinnen<br />

erlebt werden kann, also Sinneswelt. Das Üben der<br />

Sinne ist ein lebenslanger Prozess, aber in den ersten 2-<br />

3 Jahren wird der wichtigste Schritt dazu gemacht.<br />

Der zweite Aspekt der Willensentwicklung, Fügen<br />

in drei Phasen dargestellt:<br />

A) Die Wahrnehmungen zeigen sich bedeutungsvoll,<br />

nicht neutral; es geht eine Wirkung von ihnen aus. Was<br />

die Augen sehen, wollen die Händchen ergreifen. Diese<br />

Neigung ist vor allem in den ersten Jahren sehr stark,<br />

keine Ermahnung kommt dagegen an. „Das darfst du<br />

nicht“, „Nicht in den Mund nehmen!“ das führt nicht<br />

zur gewünschten Unterbrechung zwischen Wahrnehmung<br />

und Handlung. Und doch ist es wichtig, dass<br />

diese Unterbrechung gelernt wird. Das Kind muss dazu<br />

heranreifen, auch etwas nicht tun zu können, um nicht<br />

ein durch seinen Instinkt gesteuertes Wesen zu bleiben.<br />

B) Ab 2 bis 3 Jahren wird es normal, das man ein Kind<br />

auch von Weitem durch die Sprache anleiten kann. Die<br />

Sprache hat sich inzwischen zu einem gemeinsamen<br />

Faktor zwischen Eltern und Kind entwickelt und Verbundenheit<br />

geschaffen. Die Sprache kann übrigens<br />

hier auch nonverbal sein, auch Gebärden und Mimik<br />

wirken wie eine Sprache. Kleine Kinder, die nicht mit<br />

derselben Sprache aufgewachsen sind, können dadurch<br />

doch gut miteinander spielen. Das Spiel wird so zu<br />

einem idealen Erzieher in dieser zweiten Phase der Willensentwicklung.<br />

Geben und nehmen, Freude und Leid,<br />

aufbauen und abbrechen, Phantasie und Enttäuschung...<br />

wo kann man das besser lernen als in der<br />

wahren „Als-ob-Welt“ des Spielens? Im Tätig-sein lernt<br />

das Kind, sich zu fügen. Es lernt, seine Wünsche an die<br />

Möglichkeiten anzupassen und seine Pläne zusammen<br />

mit anderen zu realisieren. Bis zum 2,5. Lebensjahr ist<br />

das gemeinsame Spiel noch ein Nebeneinander. Jetzt<br />

wird es zum Miteinander.<br />

C) Vom 4,5. Bis zum 5. Lebensjahr lernt ein Kind, wie es,<br />

eventuell zusammen mit einem anderen Kind, einen<br />

Plan machen kann um dann das gemeinsame Spiel auszuführen.<br />

Der dritte Aspekt der Willensentwicklung im Alter<br />

von 4 2/3 bis 7 Jahren.<br />

Autonomie – Wahrnehmen und Fügen sind nicht die<br />

einzigen Vorbedingungen für die <strong>Schulreife</strong>. Sobald der<br />

Brunnen der Phantasie nicht mehr unbegrenzt quillt,<br />

wird es Zeit sich langweilen zu können. Nichts ist schöner<br />

als ein 6-jähriges Kind, das plötzlich alles Spielen<br />

um sich herum dumm und langweilig findet. Dieser<br />

Moment der Einsamkeit, des Abgetrenntseins vom tragenden<br />

Strom des gemeinsamen Spielens, kündigt<br />

einen neuen Entwicklungsschritt an. Nach einiger Zeit<br />

entstehen dann neue Pläne: zusammen mit Schulkameraden<br />

wird ausgedacht, was man morgen zusammen<br />

machen will. Wer der Anführer der Truppe sein wird, ist<br />

dann eine neue, spannende Frage. Abwechselnd vielleicht?<br />

Die Pläne lösen sich zu Anfang im Eifer des gemeinsamen<br />

Spielens schnell wieder auf, aber zunehmend<br />

soll die Ausführung der Pläne, die gemacht<br />

wurden, auch den Vorstellungen entsprechen, die jetzt<br />

der Wahrnehmung der Wirklichkeit entspringen.<br />

<strong>Schulreife</strong> 23

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