HANS WERNER HENZE - Schott Music
HANS WERNER HENZE - Schott Music
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I<br />
n den späten 60er und frühen 70er Jahren entstanden<br />
in Zusammenarbeit mit Gastón Salvatore,<br />
Hans Magnus Enzensberger und Edward Bond die<br />
Bühnenwerke Der langwierige Weg in die Wohnung<br />
der Natascha Ungeheuer, La Cubana und We come to<br />
the River. Diese Werke sind, wie auch die Vokalwerke<br />
dieser Schaffensphase, Ausdruck für Henzes intensive<br />
und kritische Beschäftigung mit dem Ideengut der<br />
studentischen Protestbewegungen dieser Epoche und<br />
zugleich für ihn die Möglichkeit, neue Formen des<br />
künstlerischen und theatralischen Ausdrucks zu entdecken<br />
und die politische Aussage der Werke mit seiner<br />
musikalischen Ästhetik zu verbinden.<br />
Über den 11-teiligen Gedichtszyklus, der der „Show<br />
mit 17“ Der langwierige Weg in die Wohnung der Natascha<br />
Ungeheuer zugrunde liegt, schrieb der Autor der<br />
Textvorlage, Gastón Salvatore, 1971:<br />
„Natascha Ungeheuer ist die Sirene einer falschen Utopie.<br />
Sie verspricht dem Links-Bourgois eine Geborgenheit,<br />
die es ihm erlauben soll, das „gute“ revolutionäre<br />
Gewissen beizubehalten, ohne aktiv am Klassenkampf<br />
teilzunehmen. Er laviert zwischen der Versuchung,<br />
sein Bewusstsein aufzugeben und in die alte Bourgoisie<br />
zurückzukehren oder eine der Formen der Ratlosigkeit<br />
zu wählen: entweder die der einsamen Avantgarde<br />
in den vier Wänden oder die der Sozialdemokratie.<br />
Beide Möglichkeiten verspricht Natascha Ungeheuer.<br />
Der langwierige Weg wickelt sich in elf Sektoren ab, in<br />
einer schwierigen Sprache, die etwas Fremdartiges mit<br />
sich schleppt und auch das Vokabular der Universität<br />
erkennen lässt, mit dem Fachvokabular der akademischen<br />
Linken, das ihn umschwirrt.“<br />
T<br />
he stage works Der langwierige Weg in die Wohnung<br />
der Natascha Ungeheuer, La Cubana and<br />
We come to the River were composed during<br />
the late 1960s and early 1970s in collaboration with<br />
Gastón Salvatore, Hans Magnus Enzensberger and<br />
Edward Bond. Like Henze’s vocal compositions during<br />
this phase, these works are an expression of the<br />
composer’s intensive and highly critical study of the<br />
concepts of the student protest movements of this period<br />
and provide him with the opportunity to discover<br />
new forms of artistic and dramatic expression allowing<br />
him to fuse the political statements of his compositions<br />
with his musical aesthetics.<br />
The author of the text, Gastón Salvatore, wrote the<br />
following on the 11-part poem cycle forming the basis<br />
for the “show for 17 performers”, Der langwierige Weg<br />
in die Wohnung der Natascha Ungeheuer, in 1971:<br />
“Natascha Ungeheuer” is the siren of a false utopia.<br />
She lulls the leftist bourgeois into a false sense of security<br />
which would allow him to retain his “good” revolutionary<br />
conscience without actively participating in<br />
class warfare. He labours under the temptation to relinquish<br />
his consciousness and return to the old bourgeoisie<br />
or to choose one of two possible forms of helplessness:<br />
either the lonely avant-garde within his own<br />
four walls or social democracy. Natascha Ungeheuer<br />
offers both possibilities. The difficult path unfolds itself<br />
in eleven sectors in a difficult language tainted by<br />
a certain degree of foreignness and betraying the vocabulary<br />
of the university, the specialist vocabulary of<br />
the academic leftists, with which he is surrounded.”<br />
“ “<br />
Im Herbst und Winter 1970/71 bin ich etwas<br />
ziellos herumgereist und habe dirigiert und<br />
ein Stück Podiumstheater Der langwierige Weg in die<br />
Wohnung der Natascha Ungeheuer komponiert, Untertitel:<br />
Show mit Siebzehn, auf ein großes Gedicht<br />
von Gastón Salvatore. […] Mit Natascha Ungeheuer<br />
ist nicht die Berliner Malerin gleichen Namens gemeint,<br />
oder doch? Ich kannte sie damals noch gar<br />
nicht (später habe ich Bilder von ihr gekauft), und<br />
auch Gastón kannte sie nicht persönlich, als er ihren<br />
Namen verwendete. Er wusste nur, dass es bei den<br />
linken Studenten damals irgendwie „in“ war und als<br />
besondere Auszeichnung und als ein Privileg angesehen<br />
wurde, bei Natascha Ungeheuer in Kreuzberg<br />
eingeladen zu sein. In unserem Stück, einer neuen<br />
Art von „Berliner Requiem“, geht es darum, dass ein<br />
junger Mensch sich auf den Weg nach Kreuzberg<br />
macht, um die Wohnung der Natascha Ungeheuer zu<br />
finden, eine Sphinx, die einem womöglich sagt, wie<br />
es weitergehen soll. Oder gar Utopia persönlich? Unser<br />
Held kommt nicht ans Ziel: er findet den Standort<br />
nicht, dafür aber hört er im Kopf die Stimme der<br />
sirenenhaften Genossin Natascha, die so gar nichts<br />
Einladendes, Weichliches hat und stattdessen voller<br />
Einwände gegen ihn steckt. Rückkehrversuche in die<br />
Bourgoisie finden statt und schlagen fehl. Es ist eine<br />
einsame Show, die unser Held da abzieht.<br />
I spent the autumn and winter of 1970/71<br />
rather aimlessly travelling around, conducting<br />
and writing a piece of platform theatre, Der langwierige<br />
Weg in die Wohnung der Natascha Ungeheuer, a<br />
‘show for seventeen performers’ (to give it its subtitle)<br />
to words by Gastón Salvatore. […] Natascha<br />
Ungeheuer is not intended to be the Berlin artist of<br />
the same name. Or perhaps she is. At all events, I did<br />
not know her at that time (later I bought a number of<br />
her paintings), and Gastón, too, had yet to meet her<br />
when he used her name. He knew only that an invitation<br />
to visit Natascha Ungeheuer in Kreuzberg was<br />
somehow ‘in’ among left-wing students of the time<br />
and seen as something of a privilege. Our own piece<br />
is a kind of latter-day ‘Berliner Requiem’ and is about<br />
a young man who sets off for Kreuzberg in search of<br />
Natascha Ungeheuer and her eponymous apartment,<br />
a sphinx who may be induced to tell people what is<br />
to happen to them. Or perhaps she is Utopia personified.<br />
Our hero does not reach his destination: but,<br />
although he does not find the place, he hears in his<br />
head the sirenlike voice of Comrade Natascha, who,<br />
far from welcoming and accommodating, reels off a<br />
list of objections to him. Attempts to renew his bourgeois<br />
connections prove a failure. It is a lonely show<br />
that our hero stages.<br />
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