HANS WERNER HENZE - Schott Music
HANS WERNER HENZE - Schott Music
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Mit Spielen, Jagden, Tafelfreuden und anderen<br />
Lustbarkeiten vertreiben sich die<br />
Contessa, die Duchessa, Don Calafrone<br />
und Don Platone die Zeit. Die Männer genießen die<br />
Rolle streitender Werber um die Gunst der Frauen,<br />
diese lieben es, ihre Anbeter mit erotischen Plänkeleien<br />
zu verwirren. Die Kammerzofe Carmosina und<br />
die Wirtin Cardolella amüsieren sich über die Spiele<br />
der Herrschaft.<br />
In diese Atmosphäre gepflegter Langeweile platzen<br />
Don Chisciotte und sein Knappe Sancio Pansa. Der<br />
verrückte Ritter, der in einer Scheinwelt lebt und<br />
Traum und Wirklichkeit nicht trennen kann, ist auf<br />
der Suche nach neuen Abenteuern und nach seiner<br />
angebeteten Dulcinea.<br />
Die adelige Herrschaft nutzt Don Chisciottes Verwirrung<br />
zu eigenem Spaß und eigener Zerstreuung; sie<br />
verhöhnen und verspotten den Außenseiter, indem sie<br />
seine Abenteuer noch einmal als Farce nachspielen.<br />
Don Chisciotte ist dabei ihr williges Opfer und geht<br />
auf die derben Späße ein; sein Sendungsbewusstsein<br />
und sein Glaube an Ritterlichkeit, Ehre und Menschlichkeit<br />
sind stärker als jede Demütigung. Er zieht mit<br />
seinem Knappen weiter, zu neuen Abenteuern.<br />
Die Gesellschaft bleibt zurück, nicht erkennend, wie<br />
hohl und sinnentleert ihr Dasein ist.<br />
Die Eingriffe in das Originalwerk von Paisiello, die<br />
Henze und Di Leva vornahmen, gehen weit über eine<br />
bloße Bearbeitung hinaus. Sie fügten Rezitative und<br />
Arien ein, änderten die dramaturgische Struktur, den<br />
Ablauf und ergänzten die Dialoge. Die Intention war,<br />
Paisiellos opera buffa, die ganz dem Stil des 18. Jahrhunderts<br />
verpflichtet ist, eine neue Tendenz zu geben.<br />
In der neuen Version des bekannten Stoffes treffen<br />
zwei Sphären aufeinander, die stellvertretend für zwei<br />
soziale Klassen stehen – die sinnleere Lebensweise<br />
der „vornehmen“ Gesellschaft auf der einen Seite, die<br />
von großen Träumen, Utopien und einem nie versiegenden<br />
Glauben an Menschlichkeit geprägte der einfachen<br />
Leute auf der anderen Seite. Dass letzterer die<br />
Sympathie von Henze und Di Leva gehört, ist dabei<br />
unübersehbar.<br />
“<br />
Ich selbst kam auf die Idee, für den ersten<br />
Cantiere die Partitur von Paisiellos komischer<br />
Oper Don Chisciotte für eine Aufführung durch das<br />
örtliche Blasorchester zu arrangieren. Dieses Wagnis<br />
sollte die Hauptattraktion des ersten Jahres sein, es<br />
sollte im Freien auf dem riesigen Platz, der Piazza<br />
Grande, stattfinden. Im Oktober 1975 nahm ich die<br />
seltene Gelegenheit wahr, dem Blasorchester bei einer<br />
Probe zuzuhören, und es wurde mir alsbald klar,<br />
dass diese Laienmusiker den Paisiello niemals innerhalb<br />
von acht Monaten erlernen könnten. Auch<br />
fehlte es ihnen an Übung und Durchhaltevermögen,<br />
ihre stets verstimmten Holz- und Blechblasinstrumente<br />
(die sie nie übten) zwei Stunden oder länger<br />
unablässig zu spielen.<br />
Was sollte ich bloß machen? Ich wollte und durfte<br />
auf die Mitwirkung des Blasorchesters, die einzige<br />
musikalisch tätige Menschengruppe in Montepulciano,<br />
nicht verzichten. Ich kam auf die Lösung, mit<br />
der tatkräftigen Hilfe meines ehemaligen Schülers<br />
Henning Brauel die Don Chisciotte-Arien und -Ensembles<br />
für eine kleine Gruppe Profis zu instrumentieren.<br />
Auch das stellte sich im Nachhinein als ein<br />
Fehler heraus. Der zarte Klang des Kammerensembles<br />
wurde bei beiden Aufführungen von einem<br />
starken Wind, der über den Platz wehte, (und der<br />
uns auch in den kommenden Jahren Schwierigkeiten<br />
bereiten würde) einfach hinweggefegt. Dem<br />
Blasorchester, dessen Klang nicht einmal ein Orkan<br />
übertönen konnte, wurden die „sinfonia“ und die<br />
häufigen kurzen Zwischenspiele während der<br />
”<br />
erhabenen<br />
Abenteuer Don Quixotes zugeteilt.<br />
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