03.11.2014 Aufrufe

HANS WERNER HENZE - Schott Music

HANS WERNER HENZE - Schott Music

HANS WERNER HENZE - Schott Music

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Mit Spielen, Jagden, Tafelfreuden und anderen<br />

Lustbarkeiten vertreiben sich die<br />

Contessa, die Duchessa, Don Calafrone<br />

und Don Platone die Zeit. Die Männer genießen die<br />

Rolle streitender Werber um die Gunst der Frauen,<br />

diese lieben es, ihre Anbeter mit erotischen Plänkeleien<br />

zu verwirren. Die Kammerzofe Carmosina und<br />

die Wirtin Cardolella amüsieren sich über die Spiele<br />

der Herrschaft.<br />

In diese Atmosphäre gepflegter Langeweile platzen<br />

Don Chisciotte und sein Knappe Sancio Pansa. Der<br />

verrückte Ritter, der in einer Scheinwelt lebt und<br />

Traum und Wirklichkeit nicht trennen kann, ist auf<br />

der Suche nach neuen Abenteuern und nach seiner<br />

angebeteten Dulcinea.<br />

Die adelige Herrschaft nutzt Don Chisciottes Verwirrung<br />

zu eigenem Spaß und eigener Zerstreuung; sie<br />

verhöhnen und verspotten den Außenseiter, indem sie<br />

seine Abenteuer noch einmal als Farce nachspielen.<br />

Don Chisciotte ist dabei ihr williges Opfer und geht<br />

auf die derben Späße ein; sein Sendungsbewusstsein<br />

und sein Glaube an Ritterlichkeit, Ehre und Menschlichkeit<br />

sind stärker als jede Demütigung. Er zieht mit<br />

seinem Knappen weiter, zu neuen Abenteuern.<br />

Die Gesellschaft bleibt zurück, nicht erkennend, wie<br />

hohl und sinnentleert ihr Dasein ist.<br />

Die Eingriffe in das Originalwerk von Paisiello, die<br />

Henze und Di Leva vornahmen, gehen weit über eine<br />

bloße Bearbeitung hinaus. Sie fügten Rezitative und<br />

Arien ein, änderten die dramaturgische Struktur, den<br />

Ablauf und ergänzten die Dialoge. Die Intention war,<br />

Paisiellos opera buffa, die ganz dem Stil des 18. Jahrhunderts<br />

verpflichtet ist, eine neue Tendenz zu geben.<br />

In der neuen Version des bekannten Stoffes treffen<br />

zwei Sphären aufeinander, die stellvertretend für zwei<br />

soziale Klassen stehen – die sinnleere Lebensweise<br />

der „vornehmen“ Gesellschaft auf der einen Seite, die<br />

von großen Träumen, Utopien und einem nie versiegenden<br />

Glauben an Menschlichkeit geprägte der einfachen<br />

Leute auf der anderen Seite. Dass letzterer die<br />

Sympathie von Henze und Di Leva gehört, ist dabei<br />

unübersehbar.<br />

“<br />

Ich selbst kam auf die Idee, für den ersten<br />

Cantiere die Partitur von Paisiellos komischer<br />

Oper Don Chisciotte für eine Aufführung durch das<br />

örtliche Blasorchester zu arrangieren. Dieses Wagnis<br />

sollte die Hauptattraktion des ersten Jahres sein, es<br />

sollte im Freien auf dem riesigen Platz, der Piazza<br />

Grande, stattfinden. Im Oktober 1975 nahm ich die<br />

seltene Gelegenheit wahr, dem Blasorchester bei einer<br />

Probe zuzuhören, und es wurde mir alsbald klar,<br />

dass diese Laienmusiker den Paisiello niemals innerhalb<br />

von acht Monaten erlernen könnten. Auch<br />

fehlte es ihnen an Übung und Durchhaltevermögen,<br />

ihre stets verstimmten Holz- und Blechblasinstrumente<br />

(die sie nie übten) zwei Stunden oder länger<br />

unablässig zu spielen.<br />

Was sollte ich bloß machen? Ich wollte und durfte<br />

auf die Mitwirkung des Blasorchesters, die einzige<br />

musikalisch tätige Menschengruppe in Montepulciano,<br />

nicht verzichten. Ich kam auf die Lösung, mit<br />

der tatkräftigen Hilfe meines ehemaligen Schülers<br />

Henning Brauel die Don Chisciotte-Arien und -Ensembles<br />

für eine kleine Gruppe Profis zu instrumentieren.<br />

Auch das stellte sich im Nachhinein als ein<br />

Fehler heraus. Der zarte Klang des Kammerensembles<br />

wurde bei beiden Aufführungen von einem<br />

starken Wind, der über den Platz wehte, (und der<br />

uns auch in den kommenden Jahren Schwierigkeiten<br />

bereiten würde) einfach hinweggefegt. Dem<br />

Blasorchester, dessen Klang nicht einmal ein Orkan<br />

übertönen konnte, wurden die „sinfonia“ und die<br />

häufigen kurzen Zwischenspiele während der<br />

”<br />

erhabenen<br />

Abenteuer Don Quixotes zugeteilt.<br />

50

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!