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50 Aufsätze BRAK-Mitt. 2/2011<br />
Quaas, Die Rechtsprechung <strong>de</strong>s Senats für Anwaltssachen <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sgerichtshofs im Jahre 2010<br />
war <strong>de</strong>r für die Wohlverhaltensphase erfor<strong>de</strong>rliche Regelzeitraum<br />
von 15 bis 20 Jahren noch nicht abgelaufen. Zu Gunsten<br />
<strong>de</strong>s Antragstellers sprach in<strong>de</strong>ssen, dass die Straftaten, <strong>de</strong>rentwegen<br />
<strong>de</strong>r Antragsteller verurteilt wor<strong>de</strong>n ist, zwar im Zusammenhang<br />
mit seiner anwaltlichen Tätigkeit erfolgten, weil er<br />
Einnahmen aus dieser Tätigkeit nicht versteuert hat. Sie betreffen<br />
aber nicht <strong>de</strong>n Kernbereich <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsberufs. Vermögens<strong>de</strong>likte<br />
o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re strafbare Handlungen zum Nachteil<br />
von Mandanten o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Rechtsuchen<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>m Antragsteller nicht zur Last gelegt. Hinzu kam das im Übrigen<br />
beanstandungsfreie Verhalten <strong>de</strong>s Antragstellers während<br />
seiner Assessorentätigkeit, allerdings mit einer Ausnahme: Bei<br />
einer mündlichen Verhandlung vor <strong>de</strong>m Landgericht Berlin ist<br />
<strong>de</strong>r damalige Assessor mit Anwaltsrobe aufgetreten. Hier ließ<br />
<strong>de</strong>r Anwaltssenat Gna<strong>de</strong> vor Recht gelten. Hinzu kam – und<br />
wohl entschei<strong>de</strong>nd –, dass <strong>de</strong>r Antragsteller vor <strong>de</strong>r Vollendung<br />
<strong>de</strong>s 69. Lebensjahres stand und seinen Beruf praktisch nicht<br />
wie<strong>de</strong>r wür<strong>de</strong> ausüben können, wenn er eine weitere Wartefrist<br />
von z.B. fünf Jahren abwarten müsste.<br />
4. Der wi<strong>de</strong>rborstige Rechtsanwalt<br />
In seiner Entscheidung vom 10.5.2010 42 hatte <strong>de</strong>r Senat mit einem<br />
– auch für Anwaltssachen – eher ungewöhnlich uneinsichtigen<br />
Antragsteller zu tun. Das mag an seinem Alter gelegen<br />
haben, war doch auch er schon 69 Jahre alt. Er war nicht<br />
vermögenslos, son<strong>de</strong>rn konnte es sich leisten, seine anwaltliche<br />
Tätigkeit von seinem Wohnort in <strong>de</strong>r Schweiz zu betreiben.<br />
Er stellte <strong>de</strong>shalb <strong>de</strong>n Antrag, ihn von <strong>de</strong>r Kanzleipflicht<br />
zu befreien. Diesem Antrag gab die RAK zunächst statt, wi<strong>de</strong>rrief<br />
aber einige Monate später seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft,<br />
da <strong>de</strong>r Antragsteller keine Berufshaftpflichtversicherung<br />
abgeschlossen hatte (vgl. §14 Abs. 2 Nr. 9BRAO).<br />
Der Senat hat die Rechtmäßigkeit <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rrufsverfügung bestätigt.<br />
Der Rechtsanwalt habe im Zeitpunkt <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs nicht die<br />
vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung – und auch nicht<br />
später – unterhalten. Dazu ist <strong>de</strong>r Rechtsanwalt aber gem. §51<br />
BRAO verpflichtet. Dies gilt unabhängig davon, dass die Haftung<br />
für Ersatzansprüche aus Tätigkeiten über in an<strong>de</strong>ren Staaten eingerichtete<br />
o<strong>de</strong>r unterhaltene Kanzleien ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n<br />
kann (§ 51 Abs. 3 Nr. 2BRAO). Im Übrigen muss die Versicherung<br />
bei einem im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Versicherungsunternehmen<br />
zu <strong>de</strong>n nach Maßgabe <strong>de</strong>s Versicherungsaufsichtsgesetzes<br />
(VAG) eingereichten Allgemeinen Versicherungsbedingungen<br />
genommen wer<strong>de</strong>n und im Übrigen <strong>de</strong>n in<br />
§51 BRAO aufgeführten Voraussetzungen entsprechen. 43<br />
Die Verpflichtung <strong>de</strong>s Antragstellers entfällt nicht <strong>de</strong>shalb, weil<br />
er seine Kanzlei im Ausland – hier in <strong>de</strong>r Schweiz – betreiben<br />
will. Die Verpflichtung zur Unterhaltung einer Haftpflichtversicherung<br />
besteht auch dann, wenn <strong>de</strong>r Rechtsanwalt von seiner<br />
Verpflichtung befreit ist, eine Kanzlei in Deutschland zu unterhalten.<br />
Denn <strong>de</strong>r Rechtsanwalt wäre im Falle seiner Zulassung<br />
trotz seines Kanzleisitzes im Ausland berechtigt, seinen Beruf<br />
in Deutschland auszuüben. Die Bestimmung <strong>de</strong>s §51 BRAO<br />
dient aber <strong>de</strong>m Schutz <strong>de</strong>s rechtsuchen<strong>de</strong>n Publikums, welches<br />
darauf vertrauen darf, dass evtl. Scha<strong>de</strong>nsersatzansprüche gegen<br />
<strong>de</strong>n Rechtsanwalt im Rahmen <strong>de</strong>s vorgeschriebenen Versicherungsschutzes<br />
ohne weiteres durchsetzbar sind. Auch ein<br />
Rechtsanwalt, <strong>de</strong>r eine Kanzlei ausschließlich im Ausland unterhält,<br />
kann sich im Inland scha<strong>de</strong>nsersatzpflichtig machen.<br />
5. Der querulatorische Rechtsanwalt<br />
42 BGH, Beschl. v. 10.5.2010 – AnwZ (B) 30/09, BRAK-Mitt. 2010, 213.<br />
43 BGH, Beschl. v. 18.10.2010 – AnwZ (B) 24/10.<br />
Die schärfste Waffe <strong>de</strong>s Berufsrechts, <strong>de</strong>r Entzug <strong>de</strong>r Zulassung,<br />
traf schließlich einen Rechtsanwalt, <strong>de</strong>ssen ausgeprägt querulatorische<br />
Neigung die Annahme begrün<strong>de</strong>te, er sei aus gesundheitlichen<br />
Grün<strong>de</strong>n nicht nur vorübergehend unfähig, <strong>de</strong>n Beruf<br />
eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben (§ 14<br />
Abs. 2 Nr. 3 BRAO). Insoweit hatte sich <strong>de</strong>r Anwaltssenat im<br />
Beschluss vom 22.11.2010 44 erstmals mit <strong>de</strong>r Frage zu befassen,<br />
unter welchen Voraussetzungen ein „Querulantenwahn“<br />
<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Zulassung zu Rechtsanwaltschaft rechtfertigt.<br />
Ausschlaggebend für die Senatsentscheidung war, dass §14<br />
Abs. 2 Nr. 3BRAO ebenso wie §7Nr. 7BRAO nicht voraussetzt,<br />
dass <strong>de</strong>r Rechtsanwalt an einer psychischen Krankheit<br />
o<strong>de</strong>r einer geistigen o<strong>de</strong>r seelischen Behin<strong>de</strong>rung lei<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r<br />
schuldunfähig ist. Entschei<strong>de</strong>nd ist vielmehr, ob bei ihm gesundheitliche<br />
Grün<strong>de</strong> vorliegen, die ihm nach ihrer Art und ihrem<br />
Gewicht die ordnungsmäßige Ausübung <strong>de</strong>s Berufs <strong>de</strong>s<br />
Rechtsanwalts, insbeson<strong>de</strong>re die sachgemäße und sorgfältige<br />
Wahrnehmung <strong>de</strong>r Interessen <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n, dauernd<br />
unmöglich machen. 45 Die Anwendung dieser Bestimmung<br />
setzt in <strong>de</strong>r Regel voraus, dass die RAK <strong>de</strong>m Rechtsanwalt aufgegeben<br />
hat, innerhalb einer von ihr zu bestimmen<strong>de</strong>n angemessenen<br />
Frist das Gutachten eines Arztes über seinen Gesundheitszustand<br />
vorzulegen. Kommt <strong>de</strong>r Rechtsanwalt dieser<br />
Auffor<strong>de</strong>rung nicht nach, wird gesetzlich vermutet, dass <strong>de</strong>r<br />
Rechtsanwalt aus <strong>de</strong>m gesundheitlichen Grund gem. §14<br />
Abs. 2 Nr. 3 BRAO, <strong>de</strong>r durch das Gutachten geklärt wer<strong>de</strong>n<br />
soll, nicht nur vorübergehend unfähig ist, seinen Beruf ordnungsgemäß<br />
auszuüben (§ 15 Abs. 3Satz 1BRAO).<br />
Im vorliegen<strong>de</strong>n Fall war es <strong>de</strong>m unbestreitbar querulatorisch<br />
veranlagten Rechtsanwalt aus Sicht <strong>de</strong>s Anwaltssenats nicht gelungen,<br />
die gegen ihn streiten<strong>de</strong> Vermutung zu entkräften. Insoweit<br />
war nicht entschei<strong>de</strong>nd, dass <strong>de</strong>m Anwalt durch Gutachten<br />
bescheinigt wur<strong>de</strong>, we<strong>de</strong>r vermin<strong>de</strong>rt schuldfähig noch<br />
schuldunfähig i.S.v. §§ 20, 21 StGB zu sein und ein weiterer<br />
Sachverständiger das Vorliegen einer psychischen Krankheit<br />
verneint hatte. Die „Berufsunfähigkeit“ <strong>de</strong>s Rechtsanwalts kann<br />
auch an<strong>de</strong>re Ursachen als eine psychische Erkrankung haben.<br />
Zu dieser Frage hatte <strong>de</strong>r Senat neben einem Psychiater einen<br />
beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt vernommen, die bestätigten,<br />
<strong>de</strong>r Antragsteller lei<strong>de</strong> unter einem sog. Querulantenwahn,<br />
<strong>de</strong>r ihn daran hin<strong>de</strong>re, <strong>de</strong>m Beruf eines Rechtsanwalts<br />
auf Dauer ordnungsgemäß nachzugehen. Bei <strong>de</strong>m Antragsteller<br />
habe sich – ausgelöst durch ein Schlüsselerlebnis tatsächlich<br />
o<strong>de</strong>r vermeintlich erlittenen Unrechts – die wahnhafte Überzeugung<br />
entwickelt, von Einzelpersonen und Ämtern juristisch<br />
falsch behan<strong>de</strong>lt zu wer<strong>de</strong>n, verbun<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Vorstellung,<br />
trotz einer Fülle von negativen Urteilen im Recht zu sein und<br />
gepaart mit einem „eskalieren<strong>de</strong>n Sendungsbewusstsein“. Damit<br />
sei <strong>de</strong>r Antragsteller seelisch nicht mehr in <strong>de</strong>r Lage, in gerichtlichen<br />
und außergerichtlichen Verfahren im Rahmen <strong>de</strong>s<br />
aus anwaltlicher Sicht Vertretbaren angemessen zu reagieren.<br />
Ihm fehle die „Kernkompetenz“ eines Rechtsanwalts, nämlich<br />
die Fähigkeit, eine sachliche Gesprächsebene herzustellen und<br />
zu halten und die innere Distance zur Sache zu wahren.<br />
6. Kein „Wie<strong>de</strong>raufgreifen“ <strong>de</strong>s Zulassungsverfahrens<br />
In <strong>de</strong>m Beschluss vom 18.10.2010 46 hat sich <strong>de</strong>r Senat grundsätzlich<br />
mit <strong>de</strong>r – in Zulassungssachen immer wie<strong>de</strong>r auftauchen<strong>de</strong>n<br />
– Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen ein<br />
Wie<strong>de</strong>raufgreifen bestandskräftig (rechtskräftig) abgeschlosse-<br />
44 BGH, Beschl. v. 22.11.2010 – AnwZ (B) 74/07, BRAK-Mitt. 2011, 79<br />
(in diesem Heft).<br />
45 BGH, Beschl. v. 22.11.2010 – AnwZ (B) 74/07, BRAK-Mitt. 2011, 79<br />
(in diesem Heft), u.Vw. auf u.a. BRAK-Mitt. 1996, 74; 2001, 231;<br />
2008, 75; Schmidt-Räntsch, Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches<br />
Berufsrecht, §7BRAO, Rdnr. 52.<br />
46 BGH, Beschl. v. 18.10.2010 – AnwZ (B) 22/10, BRAK-Mitt. 2011, 80<br />
(in diesem Heft).