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62 Aufsätze BRAK-Mitt. 2/2011<br />
Diskussionspapier <strong>de</strong>s BRAK-Präsidiums zur Berufsethik <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />
tegrität geprägt sein, wenn das Vertrauen <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />
in die Anwaltschaft erhalten bleiben soll. Der Rechtsuchen<strong>de</strong><br />
darf <strong>de</strong>shalb nicht von einem Mandatsangebot überrumpelt<br />
o<strong>de</strong>r eine Not-, Druck- o<strong>de</strong>r Schocksituation wie z.B. in Unglücks-<br />
o<strong>de</strong>r Katastrophenfällen zur Mandatserteilung ausgenutzt<br />
wer<strong>de</strong>n (kein „Ambulance Chasing“).<br />
b) Die Werbung um Mandate darf das Informationsgefälle zwischen<br />
Anwältinnen und Anwälten einerseits und Rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />
an<strong>de</strong>rerseits nicht ausnutzen. Bei <strong>de</strong>r Mandatsanbahnung<br />
muss <strong>de</strong>shalb unaufgefor<strong>de</strong>rt über vorhan<strong>de</strong>ne o<strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong><br />
Kompetenz in <strong>de</strong>r konkreten Angelegenheit, die zeitlichen und<br />
personellen Ressourcen für die Mandatsbearbeitung und mögliche<br />
Einschränkungen z.B. durch die Rücksichtnahme auf an<strong>de</strong>re<br />
Mandanten informiert wer<strong>de</strong>n. Wer mit <strong>de</strong>m Preis wirbt,<br />
muss transparent machen, welche konkrete Leistung dafür geboten<br />
wird. Denn nur auf diese Weise wer<strong>de</strong>n Enttäuschungen<br />
durch überzogene Erwartungen und <strong>de</strong>r Eindruck eines „Verramschens“<br />
hochqualifizierter Leistungen vermie<strong>de</strong>n.<br />
c) Je<strong>de</strong>r Anwalt und je<strong>de</strong> Anwältin ist frei darin, ein Mandat anzunehmen<br />
o<strong>de</strong>r abzulehnen. Eine berufsethische Pflicht, auch<br />
ein solches Mandat anzunehmen, das <strong>de</strong>n persönlichen Überzeugungen<br />
zuwi<strong>de</strong>r läuft (z.B. Vertretung eines Rechtsextremen<br />
o<strong>de</strong>r Fälle von Kin<strong>de</strong>rpornografie), besteht <strong>de</strong>shalb nicht.<br />
d) Die Teilnahme an Mandatsausschreibungen (Roadshows,<br />
Beauty-Contest) stellt keine unzulässige Werbung um ein Mandat<br />
im Einzelfall i.S.d. §43b BRAO dar, weil die Kanzlei in diesen<br />
Fällen nicht von sich aus werbend an <strong>de</strong>n potentiellen<br />
Mandanten herantritt, son<strong>de</strong>rn zur Bewerbung aufgefor<strong>de</strong>rt<br />
wird. Je<strong>de</strong>r Teilnehmer an einer solchen Mandatsausschreibung<br />
sollte sich aber die Gefahr einer Interessenkollision bewusst<br />
machen, wenn er anlässlich <strong>de</strong>r Bewerbung vertrauliche Informationen<br />
erhält, die bei einem Misserfolg die Übernahme eines<br />
Gegnermandates ausschließen könnte.<br />
Auch zielgruppenorientierte Werbung (Aufrufe zu Sammelaufträgen<br />
in Massenverfahren, Rundschreiben an eine abgrenzbare<br />
Gruppe mit bekanntem konkretem Beratungsbedarf) stellt<br />
keine unzulässige Werbung um ein Mandat im Einzelfall dar.<br />
Das Anschreiben einzelner Angehöriger einer Zielgruppe, <strong>de</strong>ren<br />
Daten nicht öffentlich bekannt o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>m Mandanten<br />
genannt wor<strong>de</strong>n sind (z.B. Namen von Geschädigten in <strong>de</strong>n Ermittlungsakten<br />
zu einem Kapitalanlagebetrug), ist zumin<strong>de</strong>st<br />
unethisch, wenn nicht rechtswidrig.<br />
e) Bei <strong>de</strong>r Referenzwerbung ist das Gebot <strong>de</strong>r Verschwiegenheit<br />
zu beachten und <strong>de</strong>shalb die Zustimmung <strong>de</strong>r Mandanten<br />
zwingend erfor<strong>de</strong>rlich (§ 6 Abs. 2 BO).<br />
E<br />
Zur sozialen Verantwortung<br />
1. Soziale Verantwortung und Beratungs-, Prozess- und<br />
Verfahrenskostenhilfe sowie Pflichtverteidigung<br />
a) Die Anwaltschaft wird ihrer sozialen Verantwortung, auch<br />
<strong>de</strong>njenigen Bürgerinnen und Bürgern <strong>de</strong>n Zugang zum Recht<br />
zu verschaffen, die die Kosten eines Wahlanwalts nicht tragen<br />
können, durch die Übernahme von Beratungs- und Prozess-/<br />
Verfahrenskostenhilfemandaten sowie Pflichtverteidigungen<br />
gerecht. Über die bestehen<strong>de</strong>n gesetzlichen und berufsrechtlichen<br />
Pflichten hinaus besteht <strong>de</strong>shalb keine berufsethische<br />
Pflicht zur Übernahme solcher Mandate.<br />
b) Es ist berufsrechtliche Pflicht, bei begrün<strong>de</strong>tem Anlass auf<br />
die Möglichkeiten von Beratungs- und Prozess-/Verfahrenskostenhilfe<br />
hinzuweisen (§ 16 BORA). Zur Gewissenhaftigkeit <strong>de</strong>r<br />
Berufsausübung gehört in diesen Fällen aber auch <strong>de</strong>r Hinweis,<br />
dass die gewährte Prozesskostenhilfe nicht von <strong>de</strong>m Risiko befreit,<br />
bei einem teilweisen o<strong>de</strong>r vollständigen Unterliegen die<br />
Kosten <strong>de</strong>s Gegners tragen zu müssen.<br />
c) Es ist berufsethische Pflicht, an <strong>de</strong>r Inanspruchnahme von<br />
Beratungs- und/o<strong>de</strong>r Prozess-/Verfahrenskostenhilfe nur mitzuwirken,<br />
wenn nach gewissenhafter Prüfung die Voraussetzungen<br />
hierfür vorliegen. Mehr o<strong>de</strong>r weniger versteckte Ratschläge,<br />
wie eine fehlen<strong>de</strong> Bedürftigkeit herbeigeführt wer<strong>de</strong>n könnte,<br />
stellen ebenso einen Verstoß gegen diese Pflicht dar wie ein<br />
Prozesskostenhilfeantrag für eine Klage, <strong>de</strong>ren fehlen<strong>de</strong> Erfolgsaussichten<br />
gegenüber <strong>de</strong>m Gericht kaschiert wer<strong>de</strong>n. Gleiches<br />
gilt für die Ankündigung, eine Klage nur dann zurückzunehmen<br />
o<strong>de</strong>r einen Vergleich nur dann abzuschließen, wenn die<br />
beantragte Prozesskostenhilfe trotz fehlen<strong>de</strong>r Voraussetzungen<br />
hierfür bewilligt wird, und für Kostenquotelungen bei Vergleichen<br />
zu Lasten <strong>de</strong>r Staatskasse.<br />
d) Ist <strong>de</strong>r Wegfall <strong>de</strong>r Bedürftigkeit im Laufe <strong>de</strong>s Verfahrens<br />
o<strong>de</strong>r durch einen Erfolg <strong>de</strong>r beabsichtigten Klage (z.B. <strong>de</strong>r Zahlung<br />
einer Abfindung o<strong>de</strong>r eines Zugewinnausgleichs) absehbar,<br />
dann sollte <strong>de</strong>r Rechtsanwalt zur Vermeidung späterer<br />
Konflikte mit seiner Pflicht zur Verschwiegenheit und zur Loyalität<br />
gegenüber <strong>de</strong>m Mandanten mit ihm <strong>de</strong>n Verzicht auf einen<br />
Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe-Antrag diskutieren.<br />
e) Ein übernommenes Beratungs- o<strong>de</strong>r Prozess-/Verfahrenskostenhilfe-Mandat<br />
o<strong>de</strong>r eine Pflichtverteidigung müssen genau so<br />
sorgfältig und gewissenhaft bearbeitet wer<strong>de</strong>n wie je<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>re<br />
Mandat. Ein unnötiges Aufblähen <strong>de</strong>s Streitgegenstan<strong>de</strong>s zur<br />
Erhöhung <strong>de</strong>s Streitwerts und damit <strong>de</strong>r Prozesskostenhilfe-Gebühren<br />
ist unethisch.<br />
2. Soziale Verantwortung und pro bono-Tätigkeit<br />
a) Pro bono-Tätigkeiten beruhen als Teil <strong>de</strong>r sozialen Verantwortung<br />
auf einer freien, nur ethisch gebun<strong>de</strong>nen Entscheidung<br />
und unterschei<strong>de</strong>n sich dadurch von <strong>de</strong>r gesetzlichen Verpflichtung<br />
zur Übernahme von Beratungs- und Prozess-/Verfahrenskostenhilfe-Mandaten.<br />
Als individuelle und freiwillige Entscheidung<br />
kann und darf die pro bono-Tätigkeit <strong>de</strong>shalb die<br />
Verpflichtung <strong>de</strong>s Staates, <strong>de</strong>n gleichen Zugang zum Recht<br />
auch für Bürger mit geringem Einkommen zu gewährleisten,<br />
nicht ersetzen.<br />
b) Diejenigen Kanzleien, die in <strong>de</strong>n Bereichen von Beratungsund<br />
Prozess-/Verfahrenskostenhilfe nicht o<strong>de</strong>r nur in geringem<br />
Umfang tätig sind, sollten zum Ausgleich verstärkt pro bono tätig<br />
wer<strong>de</strong>n. Die in das anwaltliche Ermessen gestellte Honorarvereinbarung<br />
bei Beratungen und außergerichtlichen Vertretungen<br />
eröffnet hierfür ein weites Feld, und die Regelung <strong>de</strong>s<br />
§49b Abs. 1Satz 2BRAO lässt auch für pro bono-Tätigkeiten<br />
in gerichtlichen Angelegenheiten genügend Raum.<br />
c) Zur sozialen Verantwortung <strong>de</strong>r Anwaltschaft gehört auch<br />
ihre beson<strong>de</strong>re Bereitschaft zu ehrenamtlicher Tätigkeit. Über<br />
die allgemeinen Bürgerpflichten hinaus gehört es <strong>de</strong>shalb zu<br />
ihren berufsethischen Aufgaben, ihren Sachverstand zur Verwirklichung<br />
<strong>de</strong>s Rechts insbeson<strong>de</strong>re in die berufsbezogene<br />
ehrenamtliche Tätigkeit einzubringen.<br />
3. Soziale Verantwortung und Stellung als Arbeitgeber<br />
Zur beson<strong>de</strong>ren sozialen Verantwortung von Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälten als Arbeitgeber gehört, dass sie Kollegen<br />
und Kolleginnen, aber auch an<strong>de</strong>re Mitarbeiter und Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
nur zu angemessenen Bedingungen beschäftigen<br />
(§ 26 BORA). Die Beschäftigung von Scheinselbstständigen ist<br />
ebenso unangemessen wie eine zu niedrige Vergütung von Berufsanfängern<br />
unter <strong>de</strong>m Deckmantel von Trainee- o<strong>de</strong>r Praktikantenprogrammen.