Bauhaus- und Tessenow-Schülerinnen - KOBRA - Universität Kassel
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427 Meisteratsprotokoll vom 15.3.1921, zit. nach Droste, 1989,<br />
S.189<br />
428 So erinnert Kattina Both, dass „wenn er [El Lissitzky] zu Besuch<br />
kam, kriegte ich ´nen Anruf: ‘Wir brauchen mal ´ne typische<br />
Schülerin, gehen Sie da mit’.“ Vgl. FN 238<br />
429 Volland, 1989, S.15. Vgl. FN 392<br />
430 Will, Cornelia: Alma Siedhoff-Buscher - Entwürfe für Kinder am<br />
<strong>Bauhaus</strong> in Weimar, Ausstellungskatalog, Velbert, 1997, S.15<br />
431 Orto n/ Pollock thematisieren dies für die amerikanische Kunstszene<br />
Ende der dreißiger Jahre: „like all ideologies, ‘avant-gardism’<br />
has ist own structures of closure and disclosure, its own<br />
way of allowing certain perceptions and rendering others impossible.“<br />
Orton, Fred / Griselda Pollock: Avant-gardes and<br />
Partisans reviewed, 1996, S.142<br />
Da am <strong>Bauhaus</strong> in den ersten Jahren gar kein Architekturstudium<br />
möglich war, verblüfft die Härte, mit<br />
der das Architekturinteresse von Frauen als nicht geschlechtsadäquate<br />
Ambition zurückgewiesen wurde.<br />
Diese Rigidität verdeutlicht jedoch die aktive Rolle<br />
der Protagonisten beim Ausschluss von Frauen aus<br />
dem ‘heiligen Bezirk’ der Architektur. Architektur genoss<br />
an allen Bauhäusern einen hohen Stellenwert,<br />
während die konkreten Studienangebote vergleichsweise<br />
marginal waren, nur zwischen 1930 <strong>und</strong> 1932<br />
von einem regulären Architekturstudium gesprochen<br />
werden kann. Unter Genderaspekten beleuchtet erscheint<br />
der Architekturdiskurs hier noch deutlicher<br />
instrumentalisiert, als dies Annemarie Jaeggi bereits<br />
herausgearbeitet hat. Architektur war - von Beginn<br />
bis zum bitteren Ende des <strong>Bauhaus</strong>es - primär Chef<strong>und</strong><br />
damit ‘Männersache’. Retrospektiv ist unübersehbar,<br />
dass dieses innovative Studium keine geschlechteregalitäre<br />
Chance des Kompetenzerwerbs<br />
bot.<br />
Während eine neue Gemeinschaft hier experimentell<br />
neue Gestaltungen für eine neue Gesellschaft entwarf,<br />
wurde an der Spitze dieser Gemeinschaft ein<br />
Konsens darüber erzielt, dass Schritte auf dem Weg<br />
zu einer Gleichberechtigung der Geschlechter zu den<br />
„unnötigen Experimenten“ dieses Projektes der Moderne<br />
zu rechnen seien. 427 Noch bevor das Experiment<br />
richtig begonnen hatte, wurde der Rückschritt<br />
in die Geschlechterhierarchie des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
faktisch umgesetzt.<br />
Nach der Vorlehre wurden die Motivationen von Studentinnen<br />
krass missachtet, ihre Ambitionen in vermeintlich<br />
weibliche Sphären kanalisiert. Außerhalb<br />
der Weberei kamen ihre Fähigkeiten <strong>und</strong> Begabungen<br />
nur in direkten Verwertungszusammenhängen<br />
zum Einsatz. Auf allen Ebenen der Ausbildung wurden<br />
männliche Studierende gegenüber Studentinnen<br />
bevorzugt gefördert. Nur mit außergewöhnlicher Zielstrebigkeit<br />
<strong>und</strong> besonderer Hartnäckigkeit konnten<br />
Studentinnen bei Verkettung glücklicher Zufälle <strong>und</strong><br />
entgegen allen Entmutigungen überhaupt Kompetenzen<br />
in räumlichen Gestaltungsfragen erlangen. Noch<br />
seltener - <strong>und</strong> nur innerhalb eines Zeitfensters von<br />
fünf Monaten - konnte es ihnen gelingen, ihre Leistungen<br />
so zu plazieren, dass ihnen der Qualifikationsnachweis<br />
eines Bau-/Ausbaudiploms nicht vorenthalten<br />
werden konnte.<br />
<strong>Bauhaus</strong>studentinnen begriffen sich häufig als Teil einer<br />
Zivilgesellschaft <strong>und</strong> versuchten bereits im Studi-<br />
106 Architekturinteressierte Studentinnen am <strong>Bauhaus</strong><br />
um, individuelle, kulturelle <strong>und</strong> politische Beiträge im<br />
Hinblick auf gesellschaftliche Veränderungen einzubringen.<br />
Gerade weil sie - von der Notwendigkeit gesellschaftlicher<br />
Gestaltungsprozesse überzeugt - sich<br />
für die programmatischen Ansätzen des <strong>Bauhaus</strong>es<br />
häufig stark engagierten, bleibt es enttäuschend,<br />
dass ihr kulturelles Kapital hier ignoriert, ihre Progressivität<br />
visuell vermarktet <strong>und</strong> ihr Engagement lediglich<br />
verwertet wurde. 428<br />
Trotz der häufig geänderten Studienbedingungen<br />
kann zu keinem Zeitpunkt von einer Nomalität des<br />
Geschlechterverhältnisses am <strong>Bauhaus</strong> gesprochen<br />
werden. 1989 kam Gerlinde Volland zu der Feststellung:<br />
„Die Praxis im <strong>Bauhaus</strong> (..) war weit entfernt<br />
von einer tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter.“<br />
429 Und Cornelia Will hat diese Situation<br />
zutreffend als „eine nur vordergründig gelebte<br />
Gleichberechtigung“ bezeichnet. 430<br />
Weshalb aber funktionierte die Gleichzeitigkeit von<br />
Gleichheitspostulat <strong>und</strong> Geschlechterhierarchie? Und<br />
warum konnten ausgerechnet am <strong>Bauhaus</strong> vorrepublikanische<br />
Geschlechterstereotype in offener <strong>und</strong><br />
subtiler Form so rigoros rekonstruiert <strong>und</strong> durch die<br />
jeweiligen Direktoren <strong>und</strong> Meister unter aktiver Teilnahme<br />
von Studierenden <strong>und</strong> Gattinnen so durchgängig<br />
konsensualisiert werden, dass sie nicht mehr<br />
durchbrochen werden konnten?<br />
Fred Orton <strong>und</strong> Griselda Pollock vermuteten 1996,<br />
dass die Geschlechtertrennung der zentrale Schlüssel<br />
zur Konstitution von ‘Avantgarde’ sei, die lediglich<br />
ihren eigenen Strukturen, Regeln <strong>und</strong> Wahrnehmungen<br />
folge. 431 Nur innerhalb eines autonom agierenden<br />
Systems ist erklärlich, weshalb - durch Konsens unter<br />
den maßgeblich Handelnden - die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />
Benachteiligung von Studentinnen, ihre Exklusion aus<br />
der Architektur so reibungslos erfolgen konnte. So<br />
bleibt es tragisch, dass die Protagonisten am <strong>Bauhaus</strong><br />
die Fähigkeiten begabter wie enthusiatischer<br />
Architekturaspirantinnen verkannten <strong>und</strong> diese zu<br />
Statistinnen degradierten. Manche Studentinnen<br />
suchten <strong>und</strong> fanden dennoch eigenwillig <strong>und</strong> eigensinnig<br />
Wege, ihre Kompetenzen, Ambitionen <strong>und</strong> ihr<br />
Verständnis eines <strong>Bauhaus</strong>es in ihrem weiteren Leben<br />
einzubringen <strong>und</strong> in den unterschiedlichsten<br />
Kontexten fruchtbar zu machen. Und einige wenige<br />
taten dies auch als Architektinnen.