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Bauhaus- und Tessenow-Schülerinnen - KOBRA - Universität Kassel

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Just im Wissen um die Differenz von Gestaltungszielen<br />

<strong>und</strong> Unterrichtsformen, in Ablehnung oder Abkehr<br />

von einem Akademie- oder Hochschulstudium nahmen<br />

Studierende ein Studium am <strong>Bauhaus</strong> auf. „Ich<br />

sehe es im Berufe wie wenig die Menschen riskieren<br />

(..) Immer wieder finde ich, daß wir Bauhäusler ganz<br />

anders <strong>und</strong> viel leichter an neue Aufgaben, neue Arbeitsgebiete<br />

herangehen als Menschen, die vielleicht<br />

viel mehr Fachwissen haben“, schreibt - zwei Jahre<br />

nach ihrem Weggang vom <strong>Bauhaus</strong> - die inzwischen<br />

in den Niederlanden als Dessinateurin arbeitende Lisbeth<br />

Oestreicher 1932. 245 Und Hans Konrad Keßler,<br />

der zuvor zwei Semester Architektur an der TH Stuttgart<br />

studiert hatte, erinnert das eigene TH-Studium<br />

als „massenunterricht an den hochschulen“. Er hat<br />

nach mehreren <strong>Bauhaus</strong>semestern „noch angstträume,<br />

in denen ich den ganzen stumpfsinn an der th<br />

wiedererlebe.“ 246<br />

Architekturinteressierte <strong>Bauhaus</strong>studentInnen wollen<br />

- nicht immer berufsgerichtet, aber keineswegs ziellos<br />

- praxisorientiert lernen, neue Gestaltungsmöglichkeiten<br />

entdecken <strong>und</strong> an der neuen Schule experimentell<br />

ausschöpfen. Aufgr<strong>und</strong> politisch-weltanschaulicher<br />

Überzeugungen möchten sie häufig auch<br />

an der sichtbaren Gestaltung einer neuen Gesellschaft,<br />

dem gestalterischen Großprojekt der Moderne<br />

mitarbeiten. Ihre konkrete Neugier bezieht sich deshalb<br />

weit häufiger über Fächergrenzen hinweg auf<br />

alle denkbaren Gestaltungsbereiche als auf ein fachspezifisch<br />

abgegrenztes Berufsfeld.<br />

Anfang der dreißiger Jahre wird das unter Mies van<br />

der Rohe auf Architektur zugespitzte Profil der Schule<br />

auch von Studierenden thematisiert: „Waren früher<br />

hauptsächlich nur suchende, revolutionär denkende<br />

menschen an das haus gekommen, so lockte der<br />

sich verbreiternde ruf desselben allmählich auch solche<br />

an, die nichts wollten, als ihr fach studieren.“ 247<br />

Was da als Kritik am Wandel der Studienmotivationen<br />

anklingt, wäre gerade aus der Situation von Studentinnen<br />

nur allzu erklärlich. Denn, weshalb sollten<br />

Studentinnen, denen zuvor ein Studium resp. der Abschluss<br />

verweigert worden war oder für die bis dato<br />

ein Studium an einer TH nicht in Frage kam am <strong>Bauhaus</strong><br />

nicht ‘ihr’ Fach studieren? Andererseits wird anhand<br />

der Studienverläufe etlicher Studentinnen aller<br />

Phasen deutlich, dass sie auf der Suche nach einem<br />

adäquaten Tätigkeitsbereich waren. 248 Die meisten<br />

bemühen sich, den realen Bedingungen des Architekturstudiums<br />

am <strong>Bauhaus</strong> ihre Chance auf eine<br />

berufliche Perspektive abzugewinnen.<br />

Nur wenige Studentinnen - wie bspw. Hilde Reiss<br />

oder Zsuzsanna Bánki - gehen so offensiv vor, dass<br />

ihr Berufsziel eindeutig sichtbar wird. So vergleicht<br />

Bánki immer wieder die gebotenen Studieninhalte mit<br />

ihren Vorstellungen vom Beruf <strong>und</strong> führt schon wäh-<br />

rend des Studiums kleinere Aufträge aus. Und Reiss<br />

lässt kein Projekt <strong>und</strong> keine Möglichkeit aus, um Architektur<br />

zu betreiben. Auch Ruth Josefek kann sich<br />

ein Leben als Architektin vorstellen. Ihre berufliche<br />

Perspektive ist jedoch offenbar eng mit dem väterlichen<br />

Büro verknüpft: Sie wechselt just in dem Semester<br />

von der Bau/Ausbaulehre zur freien Malklasse<br />

als ihr jüngerer Bruder sein Architekturstudium aufnimmt.<br />

249 Für keine Studentin ist bereits während des<br />

Studiums ein konkreter Berufsweg geebnet, bspw.<br />

familiär. Wera Meyer-Waldeck antwortet im dritten<br />

Semester auf die Frage, was sie nach Verlassen des<br />

<strong>Bauhaus</strong>es tun werde, „daß ich da selber sehr neugierig<br />

bin <strong>und</strong> es gern auch wissen möchte.“ 250 Und<br />

Otti Berger äußert auf diese Frage nicht ohne Ironie:<br />

„Heiraten“. 251 Annamaria Mauck gibt zu ihren Berufsvorstellungen<br />

rückblickend an: „Was ich sonst gemacht<br />

haben würde, das wußte ich damals selber<br />

noch nicht so genau.“ 252<br />

<strong>Bauhaus</strong>studentinnen aller Phasen, die sich auch<br />

oder ausschließlich für den Bereich Bau/Ausbau interessierten<br />

resp. dort eine Qualifikation erwerben<br />

wollten, entstammten häufig großbürgerlichen Elternhäusern<br />

mit breitgestreuten kulturellen Interessen. Sie<br />

wuchsen ganz überwiegend in bildungsbürgerlichen<br />

Milieus als Töchter von Industriellen, Kaufleuten <strong>und</strong><br />

Freiberuflern auf, besuchten weiterführende Schulen<br />

<strong>und</strong> erlebten schon vor Beginn der Weimarer Republik<br />

in einem liberalen, häufig großstädtischen Umfeld<br />

ein hohes Maß individueller Freiheit. <strong>Bauhaus</strong>studentinnen<br />

mit Architekturaffinität waren wissbegierig <strong>und</strong><br />

verfolgten bereits in ihrer Schulzeit eigenwillige Interessen.<br />

In Relation zu ihren Geschwistern wie ihren<br />

Altersgenossinnen können sie als ausgeprägte Individualistinnen<br />

be-zeichnet werden. Im städtischen Umfeld<br />

fiel der Blick dieser jungen Frauen auch auf die<br />

Architektur. Etliche wurden durch Architekten aus<br />

dem Familien- oder Bekanntenkreis auf das <strong>Bauhaus</strong><br />

aufmerksam. Der Anteil der Architektentöchter ist mit<br />

deutlich unter 20% jedoch vergleichsweise gering.<br />

Dies deutet nicht zuletzt auf Vorbehalte bei Architektenvätern<br />

hin.<br />

Auf der Suche nach neuen Lebensperspektiven mussten<br />

manche Studentinnen zunächst elterliche<br />

Skepsis oder massive Vorbehalte überwinden. In<br />

kleinbürgerlichen oder kleinstädtischen Milieus gelang<br />

ihnen dies nur mit besonderer Hartnäckigkeit.<br />

Die Studienmotivationen architekturinteressierter<br />

Studentinnen waren ebenso vielfältig wie vielschichtig.<br />

Sie weisen nicht immer eindeutig auf eine angestrebte<br />

Karriere als Architektin. Vielfach wurden mehrere<br />

Ausbildungswege eingeschlagen. Einzelne setzten<br />

bereits begonnene Ausbildungen fort, bei der<br />

Mehrzahl markiert das Stu-dium am <strong>Bauhaus</strong> jedoch<br />

eine Neuorientierung. Da-bei nutzten oder nahmen<br />

am <strong>Bauhaus</strong> 83<br />

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar<br />

Annemarie Wilke am Zeichentisch<br />

<strong>und</strong> im Unterricht Reich, um 1932<br />

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar<br />

244 Lang, Lothar: interviews mit bauhäuslern, wera meyer-waldeck,<br />

<strong>Bauhaus</strong>zeitschrift, 2.Jg., 1928, H.4, S.18<br />

245 Beilage zur Berliner Zeitung vom 21.8.1932, abgedruckt in Hahn<br />

/Wolsdorff, 1985, S.77 - Lisbeth Oestreicher (geb. 1902) studierte<br />

1926 bis 1930 am <strong>Bauhaus</strong> Dessau, Diplom Nr. 25 (Weberei)<br />

vom 31.10.1930. Vgl. Fiedler, 1987, S.146.<br />

246 Brief vom 10.10.1931 resp. vom 2.10.1932 (Hahn/Wolsdorff,<br />

1985, S.157 <strong>und</strong> S.166f.) Allerdings steht er aufgr<strong>und</strong> seines<br />

Studienplatzwechsels auch unter Legitimationsdruck, da sein<br />

Studium von einem Onkel finanziell unterstützt wird, der ihn lieber<br />

zu einem Architekten ‘in die Lehre geben’ möchte.<br />

247 Rose, Katja <strong>und</strong> Hajo: unveröffentlichtes Manuskript für Die<br />

Weltbühne, 1932, zitiert nach Droste, 1991, S.199<br />

248 Aus dem Jahre 1928 datiert bspw. ein Schreiben, in dem Prof.<br />

Hermann Annemarie Wimmer nach zwei Jahren Grafikstudium<br />

bestätigt, dass das Berufsziel noch nicht feststehe. AdKS/Lange<br />

249 Ihr Bruder erinnert, dass mit Beginn seines Architekturstudiums<br />

die Perspektive zur Übernahme des väterlichen Büros zu seinen<br />

Gunsten gefallen sei. Er studierte zwischen 1930 <strong>und</strong> 1934 an<br />

der TH München. Telefonat mit Johannes Josefek, 25.11.1997<br />

250 Vgl. FN 244, S.19 - Unklar bleibt, ob Meyer-Waldeck zu diesem<br />

Zeitpunkt noch keine Berufsperspektive sieht oder eine allzu<br />

eindeutige Antwort vermeiden möchte.<br />

251 Otti Berger im Interview 1928. Lang, Lothar: interviews mit bauhäuslern,<br />

<strong>Bauhaus</strong>zeitschrift, 2.Jg., 1928, H.4, S.25.<br />

252 Annamaria Mauck im Interview am 17.11.1995

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