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Bauhaus- und Tessenow-Schülerinnen - KOBRA - Universität Kassel

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gewaltsamen Prozess. 257 Sein Anliegen bleibt die Versöhnung<br />

jedweder Gegensätze. Auch in seiner Lehre<br />

sucht er einen ebenso harmonisierenden wie harmonischen<br />

Ausgleich zwischen Polaritäten als zivilisatorischen<br />

Prozess zu vermitteln, denn er sieht seine<br />

resp. „die menschliche Aufgabe“ darin, „das harmonisch<br />

Verbindliche hoch zu kultivieren.“ 258 Demgegenüber<br />

schreibt Wichert: „Man darf Zweiheitlichkeit<br />

nicht scheuen. Höchste Schöpferleistung beruht wohl<br />

immer auf einem fast unbegreiflichen Zusammenzwingen<br />

von gegensätzlichen <strong>und</strong> scheinbar unvereinbaren<br />

Elementen.“ 259<br />

So sehr <strong>Tessenow</strong> für eine neue Harmonie zwischen<br />

den Geschlechtern plädiert, in seinem Seminar bleiben<br />

vermeintlich naturgegebene Geschlechterpolaritäten<br />

<strong>und</strong> -rollen präsent. „Unterschiede gab es zwischen<br />

den Gattungen Frau <strong>und</strong> Mann“, erinnert Otto<br />

Kindt. „Danach gab es geeignete, nicht geeignete,<br />

kaum geeignete usw. Berufe für diese. Handwerk?<br />

Vorsicht. Vielleicht, aber nur vielleicht Tischler. Bestimmt<br />

nicht: Maurer. Man soll nicht in der Natur <strong>und</strong><br />

ihren Gegebenheiten herumpfuschen.“ 260 Und manche<br />

schriftlichen Ausführungen <strong>Tessenow</strong>s zeigen<br />

sich zwar nicht so sexistisch wie bspw. die eines Karl<br />

Kraus, so doch ebenso biologistisch wie die eines<br />

Adolf Loos. 261<br />

„Wenn der Straßenbau durch so echt frauliche Frauen<br />

regiert würde (was sich nebenbei bemerkt, nicht<br />

für sie eignet, aber angenommen einmal, sie würden<br />

ihn trotzdem regieren), dann würden alle Straßen unversehens<br />

Plätze, wahrscheinlich sehr merkwürdige<br />

Plätze, aber doch Plätze, während andererseits sogenannt<br />

echt männliche Männer ungefähr überhaupt<br />

keine Plätze bauen können sondern statt Plätzen immer<br />

so etwas wie ein reichlich großes horizontales<br />

<strong>und</strong> steriles Nichts erbauen. (..) das unterschiedliche<br />

Verhalten des Mannes <strong>und</strong> der Frau zu den Plätzen<br />

mag von der heutigen zivilisierten Welt aus, die das<br />

Unterschiedliche des männlichen <strong>und</strong> fraulichen Wesens<br />

zunehmend mehr verschleierte, nicht so ohne<br />

weiteres erkennbar sein. Aber so straßenfreudig <strong>und</strong><br />

straßengläubig unzählige Frauen zu sein scheinen<br />

<strong>und</strong> gelegentlich wirklich sind, so beweist doch nur<br />

einigermaßen aufmerksame Betrachtung, daß ungefähr<br />

jeder Frau die Straßen wesensfremd sind, ausgenommen<br />

allenfalls solche Straßen, die in hohem<br />

Maße platzartig sind oder die auf Schritt <strong>und</strong> Tritt<br />

platzartige Raumbilder zeigen.“ 262<br />

Eröffnete das Seminar <strong>Tessenow</strong> Studentinnen ab<br />

Ende der zwanziger Jahre jene egalitären Bedingungen,<br />

die mit der Öffnung des TH-Studiums für Frauen<br />

<strong>und</strong> der Verankerung des Gleichheitspostulats in der<br />

Weimarer Verfassung intendiert worden waren?<br />

Knüpften diese Studentinnen ihre Berufsperspektive<br />

an die eigenen Kompetenzen <strong>und</strong> die f<strong>und</strong>ierte Aus-<br />

bildung, an <strong>Tessenow</strong>s Reputation oder auch an familiäre<br />

Hilfestellungen? <strong>Tessenow</strong> bot Studentinnen<br />

akzeptable Rahmenbedingungen des Qualifikationserwerbes.<br />

Anhand der Entwurfsaufgaben zeichnet<br />

sich jedoch auch die Tendenz zu geschlechterkonnotierten<br />

Zuständigkeitsbereichen ab. Stärker als die<br />

‘Separationsvariante’ finden wird im Seminar jedoch<br />

die ‘Ambivalenzvariante’, den latenten oder direkten<br />

Verweis der Studentinnen auf eine ‘eigentliche Bestimmung’<br />

als Hausfrau <strong>und</strong> Mutter. 265 Dass <strong>Tessenow</strong><br />

der Berufstätigkeit von Frauen nach wie vor ablehnend<br />

gegenüberstand, wird nicht zuletzt anhand<br />

der tabuisierten Themenstellungen deutlich: Auf das<br />

‘kleine Wohnhaus’ folgte nie das Mehrfamilienhaus.<br />

Und Wohnformen außerhalb eines expliziten Familienbezuges<br />

existierten hier ebenso wenig wie bspw.<br />

die Entwurfsaufgaben ‘Kindergarten’ oder<br />

‘Altersheim’.<br />

Ob <strong>und</strong> wie diese augenscheinlichen Defizite im Seminar<br />

resp. in der Fakultät diskutiert wurde, bleibt<br />

unklar. Bisher lassen sich keine expliziten Aussagen<br />

von Architekturstudentinnen zum Verhältnis der Geschlechter<br />

finden. Mit der leichten Zunahme von Architekturstudentinnen<br />

während des ersten Weltkrieges<br />

<strong>und</strong> der Weimarer Republik tritt weniger eine<br />

Normalität im Umgang mit Studentinnen als eine Normalität<br />

im Umgang mit deren Präsenz ein. Denn offenbar<br />

gewinnt die Frage des Geschlechterverhältnisses<br />

an Aufmerksamkeit: Während dem Studium von<br />

Architekturstudentinnen augenscheinlich keine nennenswerte<br />

Bedeutung mehr zugemessen wird, notieren<br />

die Professoren sehr genau, wie viele Studentinnen<br />

in wessen Seminar studieren. 263 Die Anwesenheit<br />

von Frauen an der Fakultät bleibt ‘gelitten’, vermeintlich<br />

exklusiv ‘männliches’ - ‘objektiv-fachliches’ -<br />

Denken <strong>und</strong> Handeln System. Nicht nur in der Haltung<br />

einzelner Professoren <strong>und</strong> in einzelnen Fächern<br />

finden Studentinnen der Weimarer Republik Bedingungen<br />

vor, die ihnen bei deutlicher Überrepräsentanz<br />

von Männern mangelnde Akzeptanz signalisieren.<br />

Im Lehrbetrieb der Architekturfakultät der TH<br />

Charlottenburg finden wir Frauen lediglich sehr vereinzelt<br />

als ‘Hilfsarbeiterin’ oder ‘Hilfsassistentin’. So<br />

arbeitet die Kunsthistorikerin Dr. Charlotte Giese hier<br />

zwischen 1924 <strong>und</strong> 1926 am Lehrstuhl für Baugeschichte<br />

<strong>und</strong> zwischen 1930 <strong>und</strong> 1935 ebendort die<br />

‘Hilfsassistentin’ Dipl.Ing. Helga Karselt. 264 Hier bildet<br />

sich deutlich ab, dass ein beruflicher Aufstieg von<br />

Frauen innerhalb der Fakultät über die Stufe der<br />

Zuarbeit hinaus ausgeschlossen war.<br />

Dass der Geschlechterdiskurs aber auch an der TH<br />

Charlottenburg virulent war, verdeutlicht bspw. eine<br />

Aussage der Elektrotechnikstudentin Asta Hampe:<br />

„Man möchte so gern uns Ingenieurinnen abdrängen<br />

auf das ‘ureigenste’ Gebiet der Frau, auf ’Heim <strong>und</strong><br />

im Seminar <strong>Tessenow</strong> 147<br />

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar<br />

Entwürfe exemplarischer Straßenkreuzungen, Heinrich <strong>Tessenow</strong>, 1946<br />

Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar<br />

259 Vgl. FN 255. Wichert stellt die von ihm als fruchtbar eingeschätzte<br />

Polarität anhand von freier <strong>und</strong> angewandter Kunst,<br />

organischer Naturerscheinung <strong>und</strong> mathematischer Gr<strong>und</strong>form<br />

sowie von Unikat - handwerklichem Ingenium - <strong>und</strong> Modell (für<br />

die maschinelle Erzeugung) dar.<br />

260 FN 225 - Dr. Otto Kindt danke ich ganz besonders für die Zusammenstellung<br />

der <strong>Tessenow</strong>-Zitate „zum Thema Mann <strong>und</strong><br />

Frau“.<br />

261 Zu Karl Kraus vgl. Berger, 1982, S. 138ff. resp. FN 206, zu den<br />

Biologismen bei Loos vgl. bspw. Nierhaus, Irene: Arch 6 , Wien,<br />

2001.<br />

262 HTG, Nachlassheft Heinrich <strong>Tessenow</strong> X 10,11 resp. X,12.<br />

263 Vgl. S.144<br />

264 Die Rolle von Dr. Charlotte Giese (geb. 1893 Berlin) bedarf weiterer<br />

Recherchen. Ob sie, die 1920 bei Waetzold in Halle promoviert<br />

hatte <strong>und</strong> am Lehrstuhl Daniel Krenckers - sie war zwischen<br />

1924 <strong>und</strong> 1926 als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am<br />

Architekturmuseum Berlin angestellt - arbeitete, von Architekturstudentinnen<br />

als Rollenmodell wahrgenommen wurde, muss hier<br />

offen bleiben. Zur Biografie Gieses vgl. auch Wendland, Ulrike:<br />

Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im<br />

Exil, München, 1999, S.195.

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