Bauhaus- und Tessenow-Schülerinnen - KOBRA - Universität Kassel
Bauhaus- und Tessenow-Schülerinnen - KOBRA - Universität Kassel
Bauhaus- und Tessenow-Schülerinnen - KOBRA - Universität Kassel
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Bildrechte für online-Ausgabe nicht verfügbar<br />
Beamten-Wohnungsbau, Berlin-Mariendorf, 1928, Ella Briggs,<br />
Fassadenausschnitt, s. a. Abb. S.334<br />
286 Käthe Böhm hatte Elektrotechnik studiert, 1928 mit Norkauer<br />
<strong>und</strong> Wendelmuth eine Wohnung für die berufstätige Frau entwickelt.<br />
(vgl. Kap.3, S.40) Um 1930 werden von ihr ausgestattete<br />
Wohnungen in Wien im Rahmen der Wohnungsführungen gezeigt.<br />
Zu diesem Zeitpunkt ist sie bereits in Berlin ansässig <strong>und</strong><br />
Mitglied - <strong>und</strong> Kassiererin - der Berliner Soroptimists. Zum Studium<br />
Böhms vgl. Mikoletzky/Georgeacopol-Winischofer/Pohl,<br />
1997, S.331. Zu Böhm vgl. auch Plakolm-Forsthuber, 1994,<br />
S.245 <strong>und</strong> 252, zu Hecht vgl. Kap. 3, S. 45, sowie Georgeacopol-Winischhofer,<br />
1997, S.327.<br />
287 Just als das gemeinsame Atelier mit Franz Singer scheitert, ist<br />
diese Bitte vielsagend: Dicker weiß offenbar um die Bedeutung<br />
männlicher Patronagen in der Architektur. Zuvor hatte sie mit<br />
Singer den Kindergarten Goethehof umgeplant, <strong>und</strong> offenbar<br />
strebte sie vergleichbare Aufträge öffentlicher Auftraggeber an.<br />
Aber auch mit Hilfe dieser Zeugnisse gelingt ihr die Akquisition<br />
entsprechender Aufträge nicht.<br />
288 Plakolm-Forsthuber, 1994, S.261 - Wie der Ausschluss von Architektinnen<br />
auf dieser lokalen Ebene ‘funktionierte’, müsste auf<br />
lokaler Ebene beleuchtet werden.<br />
289 Vor 1919 waren ihnen nur die Architekturklassen der Kunstgewerbeschule<br />
zugänglich.<br />
290 Dem Dilemma, aus Zirkelschlüssen nicht entkommen zu können,<br />
dürfte ein - wenn nicht der entscheidende - Gr<strong>und</strong> sein,<br />
weshalb manche Architektinnen das Thematisieren ihrer Person<br />
als Geschlechtswesen so vehement ablehnten.<br />
291 Nur Bonin, Marx <strong>und</strong> Ney betreiben die Scheidung im Hinblick<br />
auf eine neue Bindung <strong>und</strong> heiraten umgehend erneut.<br />
Aufträge stehen hier offenbar weit schlechter als in<br />
Berlin, wo sie unmittelbar nach Bauübergabe ihr Büro<br />
eröffnet. Und auch Käthe Böhm <strong>und</strong> Auguste Hecht,<br />
die seit 1919 resp. 1922 an der TH Wien studiert hatten,<br />
gehen Ende der zwanziger Jahre nach Berlin. 286<br />
Elisabeth Nießen, seit Herbst 1917 als - zumindest<br />
zeitweilig sogar verbeamtete - Architektin im Hochbauamt<br />
Wien tätig, wendet sich 1930 mit der Bitte<br />
um Empfehlung an Heinrich <strong>Tessenow</strong>, da sie die<br />
berufliche Situation von Architektinnen in Wien als<br />
aussichtslos betrachtet. Und Friedl Dicker, die ab<br />
1923 mehrere Jahre freiberuflich tätig <strong>und</strong> voller Vertrauen<br />
in ihre Professionalisierungsmöglichkeiten<br />
wechselnde Arbeitskonstellationen eingegangen war,<br />
bittet die männlichen Repräsentanten der Jahre zurückliegenden<br />
Ausbildung 1931 um ‘Zeugnisse’. 287<br />
Plakolm-Forsthuber konstatiert, dass in Wien auch<br />
die „ausgebildeten Architektinnen nicht mehr in das<br />
Architekturgeschehen der Zwischenkriegszeit eingreifen<br />
konnten.“ Es lassen sich jedoch kaum Hinweise<br />
finden, dass die Ursachen hierfür - wie Plakolm-<br />
Forsthuber vermutet - in „biographischen <strong>und</strong> existentiellen<br />
Umständen“ dieser Architektinnen gef<strong>und</strong>en<br />
werden könnten. 288 Weit vor dem Nationalsozialismus<br />
nutzen Wiener Architektinnen nahezu jede<br />
Möglichkeit, um an anderen Orten tätig werden zu<br />
können. Vielmehr wird an dieser sicher unvollständigen<br />
Zusammenstellung bereits deutlich, dass im ‘roten’<br />
Wien der lokale Widerstand gegen Architektinnen<br />
wirkungsvoll organisiert war, dass man sie als Architektinnen<br />
nicht mehr arbeiten ‘lässt’. Sichtbar wird<br />
hier auf lokaler Ebene, dass die Ausgrenzung von<br />
Frauen von der Ausbildung in das Berufsfeld verlagert<br />
wird, sobald mit der Zulassung von Studentinnen<br />
an der TH Wien eine formale Öffnung stattfindet. 289<br />
Das sich im Laufe des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts verändernde<br />
Berufsfeld sowie das immer wieder angepasste Berufsbild<br />
zeigt sich flexibel mit einem Geschlechterkodex<br />
amalgamiert, der die Zugänglichkeit des Berufsfeldes<br />
für Männer durchgängig gewährleistet <strong>und</strong> berufliche<br />
Chancen unmittelbar an geschlechtsspezifische<br />
Selektionen <strong>und</strong> Netzwerke knüpft. An dieser<br />
Tendenz sich ständig ausdifferenzierender Schließungsmechanismen<br />
innerhalb des Berufsfeldes, in<br />
dem Fachfrauen eine Partizipation immer nur auf den<br />
unteren Hierarchiestufen zugestanden wird, wird die<br />
Flexibilität des Geschlechter-Paradoxon bei der Konstitution<br />
freier Berufe deutlich: So sachlich der Gegenstand,<br />
so wirkungsvoll kann dieser Gegenstand<br />
im Legitimationsdiskurs von politischen Rahmenbedingungen<br />
abgekoppelt <strong>und</strong> im Interesse der Mehrheit<br />
zu Lasten der Minderheit instrumentalisiert werden.<br />
Dabei dient die Rekonstruktion der Geschlechterdifferenz<br />
der Ausgrenzung. Der Diskurs über vermeintliche<br />
Charakteristika der Geschlechter wirkt sich<br />
auf die reale Berufssituation von Fachfrauen verhee-<br />
304 Vom Auftauchen <strong>und</strong> Verschwinden<br />
rend aus, in dem er strukturell deren individuelle Berufschancen<br />
reduziert <strong>und</strong> - durch die Macht des<br />
Faktischen -’bestätigt’, was der Diskurs reklamierte:<br />
Dass sie leitende Positionen nur selten inne haben<br />
<strong>und</strong> weniger bauen als männliche Kollegen. Und im<br />
Zirkelschluss wird aus der Quantität die Qualität:<br />
Dass sie weniger bedeutend gebaut, der Baukunst<br />
nicht mit kühner Führergebärde die Richtung gewiesen<br />
haben. 290<br />
So machen zahlreiche Architekturstudentinnen der<br />
Weimarer Republik im Laufe des Berufslebens die<br />
schmerzliche Erfahrung, dass die Diskrepanz zwischen<br />
Anspruch <strong>und</strong> Wirklichkeit nicht historischen<br />
Prozessen oder faktischen Unzulänglichkeiten geschuldet<br />
ist, sondern der Aufrechterhaltung von Hierarchien<br />
dient, die ihnen keine akzeptablen Formen<br />
der Partizipation zugesteht. Wurden <strong>Bauhaus</strong>studentinnen<br />
bereits im Studium damit konfrontiert, dass ihre<br />
inhaltlichen Anliegen keinerlei Beachtung finden,<br />
so machen im Berufsleben auch ehemalige <strong>Tessenow</strong>studentinnen<br />
die Erfahrung, dass mensch ihre<br />
Kompetenzen lieber entbehrt als schätzt.<br />
Architekturstudentinnen der Weimarer Republik verschwanden<br />
bereits ab Ende der zwanziger Jahre<br />
zunehmend aus nahezu allen öffentlich relevanten<br />
Bereichen der Architektur. Ein ‘Wahrnehmungsschw<strong>und</strong>’,<br />
der - wie wir gesehen haben - weder mit<br />
ihren beruflichen Ambitionen noch mit ihrem Familienstand<br />
korrelierte. Auch anhand der Berufsausstiege<br />
im Nationalsozialismus wurde deutlich, dass der vermeintlich<br />
wichtigste Gr<strong>und</strong> für das ‘Verschwinden’<br />
der Architektinnen im Berufsfeld - der Rückzug ins<br />
Private resp. die Gründung einer Familie unter traditioneller<br />
Rollenverteilung - in der Regel der Anlass,<br />
nicht jedoch der Gr<strong>und</strong> dieses Ausscheidens war.<br />
Zeichnete sich bereits anhand der Berufseinstiege<br />
ab, dass mehr als die Hälfte der architekturinteressierten<br />
<strong>Bauhaus</strong>studentinnen, jedoch lediglich ein<br />
Drittel der TH-Studentinnen der Weimarer Republik<br />
der privaten Lebensperspektive Vorrang einräumt, so<br />
zeigt die hohe Scheidungsquote - nach wenigen Jahren<br />
<strong>und</strong> auch bei noch kleinen Kindern - sowohl den<br />
hohen Selbstbestimmungsgrad der Architektinnen<br />
wie die trügerische Faszination des Kameradschaftsehemodells.<br />
Die meisten Studentinnen der Weimarer<br />
Republik begriffen ihre Eheschließung als Partnerschaftsmodell<br />
<strong>und</strong> waren nicht bereit, die Ehe als<br />
‘Versorgerehe’ oder ‘Schicksalsgemeinschaft’ zu führen.<br />
291 Die Mehrzahl dieser Frauen sieht hier ihre Erwartungen<br />
nicht eingelöst <strong>und</strong> zieht den Status der<br />
geschiedenen Frau mit eigenen beruflichen Ambitionen<br />
dem der untergeordneten Gattin vor. Nach jahrzehntelanger<br />
beruflicher Enthaltsamkeit gelingt die<br />
Rückkehr in eine tragfähige (frei-)berufliche Existenz<br />
den geschiedenen Architektinnen jedoch deutlich sel-