EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN MAJETSCHAK UND WILLIAM J. THOMAS MITCHELLTom Mitchell hat im Rekurs auf Wittgenstein Familienähnlichkeiten unter den vielen verschiedenenVorkommensweisen des Bildlichen ausgemacht (Mitchell, William J. T. 1990: 17-68). So plausibeldieses Konzept auf der einen Seite ist, so wenig klärt es die wissenschaftstheoretischenProbleme. Eine allgemeine <strong>Bildwissenschaft</strong> mit dem Anspruch, Vorstellungsbilder ebenso zumForschungsgegenstand zu machen wie Tafelbilder, Diagramme ebenso wie Metaphern, endoskopischeAufnahmen ebenso wie Phantasmen sieht sich mit beträchtlichen Umsetzungsschwierigkeitenkonfrontiert. Denn was eigentlich sollte es gestatten, alle diese Gegenstände unter demTitel Bild zusammen zu fassen? Worin besteht ihre jeweilige Ikonizität? Was haben Bilder im Sinnedes <strong>Image</strong>s von Politikern mit den gleichnamigen Gegenständen gemeinsam, die man in gerahmterForm im Museum antrifft?Vermutlich sollte mindestens zwischen imagologischen und ikonologischen Aspekten genauer unterschiedenwerden: zwischen immateriellen Bildformen, wie mentale oder sprachliche Bilder essind, und dinglich vorhandenen Tableaux. Mentale und psychische Bilder in die Bildforschungeneinzubeziehen, bedeutet allerdings auch, dass Bildlichkeit als eine Bewusstseinsleistung verstandenwerden muss, was mit erheblichen subjekttheoretischen Schwierigkeiten verbunden ist. Mitwelchen Methoden sollen wir uns den vielen funktionellen und systematischen Unterschiedenzwischen visuellen Modellen der Naturwissenschaften, religiösen Kultbildern, filmisch bewegtenBildern oder Phantasmen nähern?Da gibt es zum einen den Vorschlag, die Gemeinsamkeiten all dieser Phänomene in einer sprachanalogenZeichenhaftigkeit zu suchen. Dann wäre die Semiotik der Königsweg zu allen Formenpikturaler Präsenz und Repräsentation. Das jedoch bereitet denjenigen ein prinzipielles Unbehagen,<strong>für</strong> die die Besonderheit bildlicher Artikulationen in einer sprach-unabhängigen Veranschaulichungskraftliegt. Doch die Veranschaulichungskapazität einer Computertomographie ist mindestens<strong>für</strong> den Laien äußerst begrenzt, solche Bilder wollen eher gelesen werden als gesehen sein.Dagegen ist es offensichtlich wenig ergiebig, die Mona Lisa als Zeichen der Mona Lisa anzusprechen.Einig ist man sich darüber, dass Bilder eine suggestive, ubiquitäre Präsenz haben, die kritisch erforschtund begriffen werden will. Eine politische und praktische Dimension dieser Notwendigkeittaucht zum Beispiel dann auf, wenn ein Teil dieser Welt über Karikaturen empört ist, welche einanderer Teil als gewöhnliche Meinungsäußerung ansieht. Oder wenn die globale Präsenz des digitalproduzierten Bildes des so genannten Kapuzenmannes aus Abu Ghraib mittels parodierenderZitation einer iPod-Reklame reproduziert wird. Dann zeigt sich einmal mehr, welche Promiskuitätdie Bilder gerade in Zeiten ihrer technischen Manipulierbarkeit anzunehmen imstande sind. InsNetz gestellt sind solche Artefakte in einer Weise verfügbar, die ihre Instrumentalisierbarkeit zumZwecke der Verführung und Beherrschung leichter macht als je zuvor. Eine Klärung und Erforschungder Bedingungen von Bildlichkeit, ihrer Produktion und Rezeption, ihrer Kontexte undihres Gebrauchs ist von daher offenkundig geboten.Kontrovers hingegen wird die Frage nach dem Verhältnis und Gewicht der an dieser Erforschungbeteiligten Disziplinen diskutiert. Meinen die verschiedenen Fächer: die Kognitions- und die Neurowissenschaften,die Kommunikations- und Medienwissenschaften, Psychologie, Theologie,Soziologie, Kulturwissenschaften überhaupt dasselbe, wenn sie von Bildern reden? Der StreitIMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 114
EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN MAJETSCHAK UND WILLIAM J. THOMAS MITCHELLum Grundlagenkompetenzen und Rangfolgen gilt der Frage, welche Disziplin hier das leitendeWort haben soll. Rühmt die Kunstgeschichte sich berechtigterweise der größten Kompetenz inder Analyse von Bildern, beansprucht die Philosophie nicht weniger überzeugend, die klassischeBegriffsklärungsinstanz zu sein. Daneben behaupten die Medien- und Kulturwissenschaften, dieauf die Kunstbilder westlicher Hochkultur verpflichtete Kunstgeschichte käme mit der inflationärenPräsenz technisch produzierter Bilder der Alltagswelt allein nicht mehr zurecht.In der Tat tendieren die Entgrenzungsbestrebungen des Bildlichen ins Unüberschaubare. Bereitsinnerhalb der Kunst des 20. Jahrhunderts wurde der Status des Tafelbildes derart problematisiert,dass die Bildformen der Medienkunst neue Kompetenzen erforderlich zu machen scheinen. Diediversen Tendenzen der Kunst der letzten 100 Jahre finden gerade darin einen gemeinsamer Nenner,dass sie den malerischen Bildbegriff über sich hinaustreiben (von Zero bis Elsworth Kelly),genuin philosophische Fragen aufwerfen (von Magritte bis Jasper Johns) und die Kunst aus denGrenzen des Museums heraus führen (von Duchamp bis Warhol und Beuys). Um wieviel mehr wirddas Kunstbild durch Videoinstallation und Medienkunst entgrenzt und wie schwierig ist es wiederum,diese ihrerseits von Musikvideos, Werbefilmen und vom Fotojournalismus abzugrenzen?Ein aus derart verschiedenen Richtungen in Angriff genommenes Nachdenken über Bilder trifftauf bedeutende Differenzen der wissenschaftlichen Sozialisation, der Methoden und der Selbstverständnisseder beteiligten Einzelwissenschaften. Es kollidieren hier notwendig Theoriestile undGrundbegriffe, wissenschaftstheoretische Voraussetzungen und Zielvorgaben. Von der zuweilenins Beliebige tendierenden Pluralität dessen abgeschreckt, was im englischsprachigen Raum untervisual culture studies firmiert, bemühen sich <strong>Bildwissenschaft</strong>ler hierzulande um systematischeKonsistenz. So wichtig dieses Bemühen ist, so fragwürdig ist es zugleich, sich auf ein falschesWissenschaftsideal der Einheitlichkeit und Eindeutigkeit verpflichten zu lassen, das angesichtsder Fülle der zu erforschenden Gegenstände gar nicht angezeigt sein kann.Vor dem Hintergrund disziplinärer Konstitutionsfragen möchte der von Stefan Majetschak herausgegebeneSammelband (Majetschak, Stefan 2005) Perspektiven eröffnen, die zeichentheoretische,kunstwissenschaftliche und transdisziplinäre Gesichtspunkte zur Deckung bringen. Dazuhat Majetschak im Jahr 2004 Vertreter von Philosophie, Kunstgeschichte, Medienwissenschaft,Psychologie, Psychoanalyse, Semiotik und Theologie zu einer Tagung geladen, deren Druckfassungnun vorliegt. Das Dilemma einer ›Wissenschaft vom Bild‹ besteht auch der hier vertretenenDiagnose zufolge im Fehlen einer konsensfähigen Theoriesprache und einheitlicher Kategorien.Analog zur allgemeinen Sprachwissenschaft, so der Herausgeber, müsse eine noch erst zu begründendeallgemeine Grundlagendisziplin diese Lücke schließen.In seinem eigenen Beitrag (Majetschak, Stefan 2005: 97-122) entwickelt Stefan Majetschak seineThese von der den Bildern eigenen Kraft des Sichtbarmachens in Abgrenzung zur leidigen Ähnlichkeitsdebatte.Er lässt sich dadurch freilich von einer sehr eingeschränkten Konzeption desÄhnlichkeitsbegriffs leiten. Einmal abgesehen davon, dass der Begriff ›Ähnlichkeit‹, wenn manihn philosophisch ernst nimmt, sich nicht auf ein kopistisches Nachahmungsideal oder konventionelleReferenzverhältnisse zurückstutzen lässt, stellt sich Skepsis auch dort ein, wo Majetschakbehauptet, das Konzept basiere notwendig auf der Annahme einer objektiven Sichtbarkeit. Dassder Begriff ›Ähnlichkeit‹ keineswegs als naive Objektivitätsannahme bildlicher Referenz zu dis-IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 115
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