FRANZ REITINGER: KARIKATURENSTREITriger Verzögerung heimisch. Den Napoleonischen Kriegen kam dabei ebenso katalysatorischeBedeutung zu wie der Studentenrevolution und der Einführung der Pressefreiheit im Jahr 1848.Die globale Beschleunigung unserer modernen <strong>Gesellschaft</strong>en lässt darüber hinwegtäuschen,dass Bereiche der symbolischen Kommunikation nicht mit der allgemeinen Entwicklung Schrittgehalten haben. Es scheint sich jetzt zu rächen, dass viele der nicht-westlichen <strong>Gesellschaft</strong>enwesentliche Entwicklungen des Bildes übersprungen haben, um unversehens im globalen Dorf zulanden, das nun seinerseits den überlieferten Vorstellungen unterworfen werden soll. Nur so istes zu verstehen, dass eine vormoderne Bildform wie die Karikatur und nicht etwa ein avanciertesMedienprodukt oder ein zeitgenössisches Kunstwerk den Anstoß zu den aktuellen Protesten gab.Offenbar steht den Protestierern kein gedanklicher Spielraum <strong>für</strong> Differenzierungen zwischen generalisierenderSatire, personalisierender Invektive und Bildformen wie dem Schandbild zur Disposition,das die gezielte Vernichtung dargestellter Personen intendiert. Ja, es stellen sich Zweifelein, dass es in den betroffenen Ländern jenseits von Theologie und Kirchenrecht überhaupt einefachliche Instanz geben könnte, die kompetente Aussagen über Fragen des Bildes zu treffen in derLage ist. In jedem Fall werden wir in diesen Ländern mit erheblichen Defiziten zu rechnen haben,wenn es um die Dechiffrierung von Bildwerken und die Erklärung ihrer Wirkungsweise geht, mitDefiziten, die es wenig ratsam erscheinen lassen, in der Frage der Bilder auf rigiden, abstraktenPrinzipien beharren zu wollen.Es wäre ein grober Fehler, die Macht der Bilder zu unterschätzen. Die Vergangenheit bietet mehrereBeispiele da<strong>für</strong>, dass Bilder Kriege auszulösen vermochten, zuletzt im späten 17. Jahrhundertals England den Holländern den Krieg erklärte, weil diese die englischen Staatssymbole in Spottbildernverächtlich gemacht hatten. Die heftige und unverhältnismäßige Massenreaktion, die diezwölf besagten Karikaturen in einigen Weltregionen auszulösen imstande sind, erklärt sich wohlam ehesten damit, dass der Ort des Göttlichen als eine Art ultimatives Heiliges betrachtet wird,das der allgemeinen Nivellierung der Werte durch eine kommerzialisierte Medienwirklichkeit entgegensteht,in der die überlieferten Wertvorstellungen nur noch in den Figuren ihrer Verkehrungund Pervertierung fortbestehen. Die Situation wird in diesen Ländern dadurch erschwert, dassder auf den Menschen lastende Modernisierungsdruck, anders als dies die Medien suggerieren,kaum durch Wohlstandsgewinne abgefedert wird. Die aufgestauten Gefühle der Frustration undVerzweiflung lassen viele derart – nicht anders als schon in den Ländern der ehemaligen Achsenmächtezu Anfang der dreißiger Jahre – zu einem willfährigen Instrument der politischen Manipulationwerden.Schwerlich lässt sich der Eindruck verhehlen, dass in den gewaltsamen Protesten gegen die zwölfKarikaturen ein den älteren von uns nur zu vertrautes Phänomen im globalen Maßstab wiederkehrt.Gemeint ist jenes zur chronischen Cholerik neigende, überreizte Publikum, das den Künstlernin den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg das Leben schwer machte und ein Klimader Bedrohung und Einschüchterung schuf. Wie die damaligen Künstler haben es die dänischenKarikaturisten verstanden, einen wunden Punkt zu treffen und dabei die latent vorhandene Aggressionoffen zu legen und zu demaskieren. Tatsächlich geht es im Kern der Auseinandersetzungüberhaupt nicht um die mutwillige Verletzung von Gefühlen, sondern, im Gegenteil, um die politischmotivierte Verschleierung und Tabuisierung von Verhältnissen der Unterdrückung, <strong>für</strong> die dieReligion den willfährigen Vorwand abgibt. Genau diese Verhältnisse sichtbar zu machen, sind alleim Einzugsbereich des Bildes tätigen Kulturschaffenden aufgerufen.IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 84
FRANZ REITINGER: KARIKATURENSTREITMit hehren Worten wurde dieser Tage die ›Freiheit der Kunst‹ beschworen. Doch geht es hier in derSache tatsächlich um Kunst? Wenn uns daran gelegen ist, in den islamischen Ländern verstandenzu werden, täten wir vermutlich besser, es bei dem Rekurs auf die essentiellen Grundrechte derMeinungs- und Pressefreiheit bewenden zu lassen. Dass es einer subventionierten Freiheit bedarf,um den Auswüchsen einer liberalisierten Freiheit zu begegnen und etwas vom Ideal der ›großen‹Freiheit in den heutigen Medienalltag hinüberzuretten, dürfte von außen nur weitere Fragen provozieren.Die eigentliche Herausforderung besteht in der Erhaltung und langfristigen Sicherung einesrepressionsfreien Raums zur Artikulation kontroverser Meinungen, nicht aber in dem Beharren aufalten und der Schaffung von neuen Privilegien.IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 85
- Seite 1 und 2:
IMAGE - Zeitschrift für interdiszi
- Seite 3 und 4:
[Inhaltsverzeichnis]Beatrice Nunold
- Seite 5:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 9 und 10:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 11 und 12:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 13 und 14:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 15:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 21 und 22:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 23 und 24:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 25 und 26:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 27 und 28:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 29 und 30:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 31 und 32:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 33 und 34: [Inhaltsverzeichnis]Stephan Günzel
- Seite 35 und 36: STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE A
- Seite 37 und 38: STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE A
- Seite 39 und 40: STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE A
- Seite 41 und 42: STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE A
- Seite 43 und 44: STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE A
- Seite 45 und 46: STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE A
- Seite 47 und 48: [Inhaltsverzeichnis]Mario Borillo/J
- Seite 49 und 50: MARIO BORILLO/JEAN-PIERRE GOULETTE:
- Seite 51 und 52: MARIO BORILLO/JEAN-PIERRE GOULETTE:
- Seite 53 und 54: MARIO BORILLO/JEAN-PIERRE GOULETTE:
- Seite 55 und 56: MARIO BORILLO/JEAN-PIERRE GOULETTE:
- Seite 57 und 58: MARIO BORILLO/JEAN-PIERRE GOULETTE:
- Seite 59 und 60: ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELT
- Seite 61 und 62: ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELT
- Seite 63 und 64: ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELT
- Seite 65 und 66: ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELT
- Seite 67 und 68: ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELT
- Seite 69 und 70: ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELT
- Seite 71 und 72: [Inhaltsverzeichnis]Elize BisanzZum
- Seite 73 und 74: ELIZE BISANZ: ZUM ERKENNTNISPOTENZI
- Seite 75 und 76: ELIZE BISANZ: ZUM ERKENNTNISPOTENZI
- Seite 77 und 78: ELIZE BISANZ: ZUM ERKENNTNISPOTENZI
- Seite 79 und 80: IMAGE - Zeitschrift für interdiszi
- Seite 81 und 82: FRANZ REITINGER: KARIKATURENSTREITm
- Seite 83: FRANZ REITINGER: KARIKATURENSTREITv
- Seite 87 und 88: FRANZ REITINGER, REZENSION: GESCHIC
- Seite 89 und 90: [Inhaltsverzeichnis]Franz Reitinger
- Seite 91 und 92: FRANZ REITINGER, REZENSION: SUSANNE
- Seite 93 und 94: FRANZ REITINGER, REZENSION: SUSANNE
- Seite 95 und 96: [Inhaltsverzeichnis]Franz Reitinger
- Seite 97 und 98: FRANZ REITINGER, REZENSION: SIGRUN
- Seite 99 und 100: [Inhaltsverzeichnis]Klaus Sachs-Hom
- Seite 101 und 102: KLAUS SACHS-HOMBACH, REZENSION: BEN
- Seite 103 und 104: SASCHA DEMARMELS, REZENSION: WOLFGA
- Seite 105 und 106: [Inhaltsverzeichnis]Sascha Demarmel
- Seite 107 und 108: SASCHA DEMARMELS, REZENSION: KLAUS
- Seite 109 und 110: THOMAS MEDER, REZENSION: UWE STOKLO
- Seite 111 und 112: THOMAS MEDER, REZENSION: KLAUS SACH
- Seite 113 und 114: [Inhaltsverzeichnis]Eva Schürmann
- Seite 115 und 116: EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN M
- Seite 117 und 118: EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN M
- Seite 119 und 120: EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN M
- Seite 121 und 122: EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN M
- Seite 123 und 124: EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN M
- Seite 125 und 126: EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN M
- Seite 127 und 128: [Inhaltsverzeichnis]ImpressumIMAGE