FRANZ REITINGER: KARIKATURENSTREITDas Prinzip der Gewaltenteilung und die Ausdifferenzierung der westlichen <strong>Gesellschaft</strong>en in verschiedeneKompetenz- und Verantwortungssphären führten zur Einschränkung der jeweiligen Teilbereicheund ihres absoluten Geltungsanspruchs. Die Ausbildung eines öffentlichen Raums gestattetedie Verhandlung und Vermittlung dieser Sphären auf breiter Grundlage. Der Effekt diesesgewaltenteiligen Systems lässt sich etwa am Beispiel der calvinistischen Bilderstürmer darlegen.Calvins Bilderverbot blieb auf den Kirchenraum beschränkt und konnte den Aufschwung von Kartographie,wissenschaftlicher Buchillustration, Genre- und Landschaftsmalerei in den Niederlanden,England und den Vereinigten Staaten nicht verhindern. Ansätze zu einer solchen Entwicklungsind auch im Islam zu beobachten, wo im Schutz einer höfischen Kultur umfassende epischeIllustrationszyklen entstanden. Seit dem 17. Jahrhundert haben Reisende, Künstler und Archäologenden Orient, seine Menschen, seine Landschaft und Kultur in Bildern dokumentiert und damitwesentlich dazu beigetragen, diesem zu seinem Antlitz zu verhelfen. Sollte das islamische Bilderverbotwie unter dem afghanischen Regime der Taliban eine Zerstörung all dieser Kulturgüter zurKonsequenz haben?In den fraglichen zwölf Karikaturen geht es nicht nur um die Problematik des Bilderverbots. Ebensowichtig ist die Frage: Welchen historischen Stellenwert hat das Lachen und die Erzeugung vonLacheffekten mittels sprachlichen und ikonischen Zeichen in der islamischen Welt überhaupt? Bisheute gilt die politische Karikatur nach englischem Vorbild als Inbegriff einer Demokratisierung desBildes. Ihre Erfindung zu Anfang des 18. Jahrhunderts ist als eine Folge der durch die ›GlorreicheRevolution‹ in Gang gesetzten demokratischen Erneuerung des politischen Systems in Englandanzusehen. In einer Zeit, als im übrigen Europa das Lachen in Bildern durchwegs als Lachen vonoben – das heisst: als Propaganda im Dienst der Herrschenden – begriffen worden war, exerziertenenglische Karikaturisten vor, wie man sich den gewaltlosen Schlagabtausch zwischen Anhängernder Regierung und der Opposition vorzustellen habe.Bildsatire war nie unschuldig, egal ob man an die Flugblattpropaganda im niederländischen Befreiungskampfund im Dreißigjährigen Krieg oder an die breit gefächerte Bildpublizistik denkt, diedie Jakobinerrevolution im Frankreich des 18. Jahrhunderts begleitete. Kolonialismus und nationalstaatlichePolitik trugen dazu bei, dass die politische Karikatur viel von ihrer Glaubwürdigkeitverlor und zu einer ebenso grimmigen wie blutrünstigen Angelegenheit wurde. Die Karikatur weiterhinam Leisten einer idealen Wahrheit messen zu wollen, erscheint nach den Exzessen der NS-Hetzpropaganda schwerlich denkbar.Natürlich kann man versuchen, Tendenzen und Fehlentwicklungen in Karikaturen auszumachen.Doch ist die Entwicklung bildimmanenter Kriterien, die zwischen guten und schlechten Karikaturenzu unterscheiden erlaubten, eher unwahrscheinlich. In jedem Fall wäre es falsch, jeden verlachtenJuden als Opfer antisemitischer Umtriebe hinstellen zu wollen, ging und geht doch Lachenschließlich immer auf Kosten von anderen. Wir möchten deshalb folgende grobe Faustregel zurBeurteilung von Karikaturen aufstellen: In Diktaturen funktionieren Karikaturen immer nur als subversiveKraft und nie als offizieller Ausdruck. Ein Karikaturenwettbewerb zum Holocaust in einemtheokratischen Einparteienstaat ist nicht nur geschmack- sondern auch witzlos. Gehört werdensollten dagegen jene Künstler und Karikaturisten, die gegen die Regime ihrer Zeit Stift und Handerhoben und da<strong>für</strong> nicht selten mit dem Leben büßten. In funktionierenden Demokratien dagegengilt: Wer es nicht schafft, sich im öffentlichen Raum angemessen zu artikulieren, hat es auch nichtIMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 82
FRANZ REITINGER: KARIKATURENSTREITverdient, wahrgenommen zu werden. Ausdrücklich falsch wäre es allerdings, daraus den Schlußziehen zu wollen, wem es gelingt, sich Gehör zu verschaffen, der würde dies auch ausdrücklichverdienen.Die Entwicklung der religiös motivierten Bildsatire verlief anders als die der politischen Karikaturund ist dementsprechend davon abzuheben. Die Verspottung religiöser Parteien war dem byzantinischenBildkreis nicht unbekannt und erreichte im Zuge der konfessionellen Auseinandersetzungenam Beginn der Neuzeit relativ früh ein beachtliches Niveau. Schon die alten Griechen hattensich über ihre Götter lustig gemacht und auch in der christlichen Welt war es nur ein kleiner Schrittvom verehrten Volks- zum verlachten Säulenheiligen. Die Bildsatire Europas scharte ein ganzesPandämonium fragwürdiger Pseudo-Heiliger wie den heiligen Grobianus oder die heilige Seltenfriedum sich, denen man in parodierender Absicht Altäre baute und Opfer darbrachte. Lediglichdas Bild Gottes blieb in seiner dreifachen Gestalt als Schöpfergott, als Religionsgründer und alsZeitenrichter von der religiösen Polemik verschont. Dies hinderte die himmlischen Mächte jedochkeineswegs, in den Spottdrucken als sanktionierende Instanz in Erscheinung zu treten.Interessant erscheint aber doch, dass der Vorgang der Gotteslästerung innerhalb der christlichenBildtradition immer wieder über die Jahrhunderte thematisiert wurde und sich dem christlichenGedächtnis im Bild des Gottesattentats einprägte. Die ›Motivgeschichte des Gottesattentats‹ ergibtein über mehrere hundert Seiten langes, lesenswertes Kompendium all jener ›Schüsse, dieIhn nicht erreichten‹. Die damit verbundene Bildvorstellung war indes keine originär christliche,sondern wurde vor 1200 wie andere Stoffe und Motive aus dem arabischen Raum übernommen.Die Evokation des Lästerungsvorgangs im Bild war seither Teil der christlichen Abschreckungsstrategiemit der Folge, dass der Tatbestand des Gottesattentats als solcher affirmiert wurde unddie Möglichkeit von Folgeattentaten als permanente Bedrohung im Raum stand.William Hogarth und die auf ihn folgenden Karikaturisten rieben sich an den Konfessionen, nichtaber an der Gottesvorstellung selbst. Die Karikatur blieb antiklerikal, ohne je blasphemisch zusein. Wo es dennoch zu Verstößen kam, waren diese nicht ostentativ als Manifestation, sondernsubtil als Anspielung angelegt. Ob Voltaires erhellender Ausspruch, dem zufolge man Gott erfindenmüsste, wenn es ihn nicht schon gäbe, als Ausgangsfigur <strong>für</strong> eine ikonische Tradition derGotteslästerung anzusehen ist, erscheint zweifelhaft. Eher hat die moderne Pornographie mit FelicienRops symbolisch verbrämter ›Wollust am Kreuz‹ Pate gestanden. Doch selbst hier stellt sichwie bei George Grosz’ Christus mit Gasmaske die Blasphemie zunächst als Nebeneffekt ein, ohneim eigentlichen Sinne intendiert zu sein. Rops erinnerte in seinem Gemälde an die Leiden undVerfolgungen durch die staatliche Zensur, der erotische Kunst und Literatur über Jahrhunderteausgesetzt war. Im gemeinsamen Kampf gegen die herrschenden Zensurbestimmungen wuchsseit dem Ende des 19. Jahrhundert in antiklerikal gesinnten und libertinistischen Kreisen die Bereitschaftzu gezielten Provokationen und Übertretungen.Es wäre eine Illusion zu glauben, wir lebten in einer Epoche der Gleichzeitigkeit, in der die historischenZeiten in der Virtualität eines technisch vermittelten Raums einfach kollabierten. ZweihundertfünfzigJahre dauerte es etwa, bis die Motive des humoristischen Volksbilderbogens, wie siein Deutschland seit dem 15. Jahrhundert Verbreitung fanden, auch Rußland und Skandinavienerreichten. Die politische Karikatur wurde in vielen europäischen Ländern erst mit hundertjäh-IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 83
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