FRANZ REITINGER, REZENSION: SUSANNE WEGMANN: AUF DEM WEG ZUM HIMMEL. DAS FEGEFEUER IN DER DEUTSCHEN KUNST…telblätter und Einblattdrucke vor, eine Gliederung, die keinerlei historische Auswirkungen auf dieIkonographie des Fegefeuers erkennen lässt und in einer Reihe von Fällen (7. 10, 7. 11, 7. 12, 7. 13,7. 19) erst gar nicht nachvollziehbar ist, da der spezifische Ort der Abbildung im Aufbau des Gesamtwerkesnicht näher präzisiert wird.Die im Text als einheitliche Gruppe zusammengefassten Einblattdrucke findet sich über den Abbildungsteilverstreut als vielfach nicht oder nur schwer zuordenbare Restbeispiele. Den Holzschnittvon den Seelen auf dem Kirchhof etwa deutet Wegmann intuitiv als einmaliges und weitgehendisoliertes Beispiel der Totenmemorie. Die Evokation des Buches Hiob durch die Toten könnte imerweiterten Sinne auf das siebente der ›Werke der Barmherzigkeit‹ hindeuten. Eine ungleich passgenauereEinbindung in die zeitgenössische Ikonographie erlaubt freilich ein Vergleich mit demGemälde der Gregorsmesse aus dem Sippenaltar <strong>für</strong> St. Maria zur Wiese in Soest. Hier wird dieHeilswirkung der Gregorsvision nicht, wie üblich, den armen Seelen im Fegefeuer, sondern denSeelen auf dem Kirchhof zuteil. Auch der einfache Mann, der sich keine Grablege in der Nähe desAltars leisten konnte, kommt so in den Genuss der in der Messe freiwerdenden Kräfte.Wegmann räumt der Mystik und der Visionsliteratur in der Genese des Fegefeuers eine Schlüsselstellungein, die anhand des präsentierten ikonographischen Materials kaum nachvollziehbarist. Dieweilen sie vereinzelte Aussagen mystischer Autoren überbewertet, gelingt es Wegmannnicht, die <strong>für</strong> die Frühphase maßgeblichen Traditionsstränge hinreichend herauszuarbeiten. Siestellt ihrem Buch zwar ein Motto aus dem Compendium theologicae veritatis des DominikanersRipelin von Straßburg aus dem 13. Jahrhundert voran, verkennt aber, in welchem Ausmaß Buchvier und sieben des Compendiums <strong>für</strong> die Ikonographie des Fegefeuers ausschlaggebend wurden.Dies trifft in gewisser Weise auch auf ihre Ausführungen zur Legenda Aurea zu, die wie einePräambel wirken, aus der die Autorin keinerlei weiteren Nutzen zieht. Dabei hätten Compendiumund Legenda mit ihrer Unterscheidung zwischen Suffragien und Indulgentien, zwischen einemReinigungsfeuer nahe der Hölle und einem in den Lüften wertvolle Hilfestellungen zur Beurteilungder Heilswerke und der Lokalisierung des Fegefeuers geben können.Indes scheint es, als ob der deutsche Ausdruck <strong>für</strong> ›Purgatorium‹, anders als im Lateinischen undden übrigen romanischen Sprachen, einer topographischen Spezifizierung des Jenseitsorts eherim Wege stand. Das Fegefeuer wurde zwar mit unterschiedlichen Ortsattributen versehen, wiesaber selber – seiner Elementarnatur entsprechend – keine räumliche Struktur auf. Allein in denHandschriften des Speculum humanae salvationis trat das Fegefeuer systematisch mit anderenJenseitsräumen in Beziehung. Der vermutlich auf italienische Quellen zurückgehende Heilsspiegelblieb in den deutschen Ländern freilich eine Sonderausprägung, die keine Nachfolge fand.In denkbar beiläufiger Weise führt Wegmann auf Seite sechzehn den Begriff der Suffragien ein, aufden sie sich in ihrer weiteren Darlegung des <strong>für</strong> die Befeuerung des Fegefeuerglaubens unabdingbarenSystems der Fürbitten stützt. Eine Folge des eingangs Versäumten ist, dass die Autorin auchspäterhin keine klare Vorstellung mehr vom spätmittelalterlichen Konzept der Werkgerechtigkeitentwickelt und die zahlenmäßig nicht eindeutig fixierten ›Guten Werke‹ der Scholastik ikonographischwie gedanklich mit den sieben biblisch verbürgten ›Werken der Barmherzigkeit‹ vermengt.Die von Christus geforderten ›Werke der Barmherzigkeit‹ waren tätige Werke der christlichenIMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 92
FRANZ REITINGER, REZENSION: SUSANNE WEGMANN: AUF DEM WEG ZUM HIMMEL. DAS FEGEFEUER IN DER DEUTSCHEN KUNST…Nächstenliebe, deren Praktizierung zu den Pflichten eines jeden Christenmenschen gehörte. ImLaufe des 14. und 15. Jahrhunderts wurden die gläubigen Christen hingegen zur Erbringung immeraufwendigerer individueller Bußleistungen angetrieben, so genannten ›Guten Werken‹, welchedie Einhaltung der Gebote Gottes und den Empfang der durch den Priester erteilten Sakramenteals Mittel der Heilung und Erlösung zunehmend in den Hintergrund drängten. Die ›Guten Werke‹stellten gewissermaßen kontemplative Zusatzleistungen zur Begleichung zukünftiger Strafen dar(Vgl. hierzu etwa F. Reitinger: ›Kampf um Rom‹. Von der Befreiung sinnorientierten Denkens imkartographischen Raum am Beispiel einer Weltkarte des Papismus aus der Zeit der französischenReligionskriege. In: Utopie. <strong>Gesellschaft</strong>sformen - Künstlerträume, hrsg. v. Götz Pochat und BrigitteWagner, Graz 1996, S. 100-140).Wegmann spricht unzutreffender Weise von ›guten Taten‹, eine Wendung, die etwa den französischen›bonnes actions‹ entspricht und <strong>für</strong> die moderne Epoche der Pfadfinderbewegung, aberkaum <strong>für</strong> das Spätmittelalter adäquat erscheint. Ihr entgeht dadurch die analoge Grundstruktur,welche die materiellen ›Werke der Barmherzigkeit‹ und die vielfach durch Geld erkauften immateriellen›Guten Werke‹ miteinander verband. Messe und Gebet waren nicht einfach die Nummer achtund neun einer erweiterten Reihe von karitativen Werken. Die ›Werke der Barmherzigkeit‹ dienten,im Gegenteil, lediglich als Anschauungsmuster <strong>für</strong> die auf der geistlich-abstrakten Ebene durchdie so genannten ›Guten Werke‹ in Gang gesetzte Heilsmechanik. Unter ›Almosen‹ sind darumauch weder ›Hungrige speisen‹, ›Dürftige bekleiden‹ noch irgendein anderes Gebot der Mildtätigkeitzu verstehen, sondern Opferstock, Kollekte und Sach- bzw. Geldspenden an Bettelorden undandere kirchliche Einrichtungen. Augenfällig wird der klerikale Almosenbegriff an dem Widerstand,den die katholische Geistlichkeit um 1500 den Versuchen der weltlichen Obrigkeit entgegensetzte,in den Kirchen Sammelstellen <strong>für</strong> die Armen<strong>für</strong>sorge einzurichten (vgl. Die Bilder in den lutherischenKirchen. Ikonographische Studien, hrsg. v. Peter Poscharsky, München 1998, S. 76).Nicht zufällig ist es eine Biblia picta aus dem späten 15. Jahrhundert, in der die – sowohl textlichwie ikonographisch – im Neuen Testament verwurzelten ›Werke der Barmherzigkeit‹ quasi derLogik der nicht-biblischen ›Guten Werke‹ unterworfen werden. Im Gegenzug leisten die ›Werkeder Barmherzigkeit‹ einer Veralltäglichung des Fegefeuers Vorschub, indem sie dieses aus demSakralraum der Kirche mitten in das gemeine Leben holen. Zu den sprechendsten Details dieserHandschrift zählt ein Engel, der einer Seele im Fegefeuer einen Ablassbrief überreicht, in dem dieAutorin nichts weiter als eine ›Pergamenturkunde‹ erblickt.Was Wegmann unter ›deutscher Kunst‹ versteht, bleibt unklar. Meint sie damit Bildwerke, die ursprünglichauf deutschem Territorium entstanden oder die sich heute auf deutschem Territoriumbefinden? Meint sie ins deutsche übersetzte oder mit deutschen Beitexten versehene Werke,oder aber solche, die in deutschsprachigen wissenschaftlichen Studien publiziert wurden? DerProzentsatz an fremdsprachiger Literatur übersteigt in Wegmanns Arbeit jedenfalls kaum den gängigenEckzins. So könnte man meinen, das Fegefeuer wäre eine rein innerdeutsche Angelegenheitgewesen, wenn nicht gleich zu Anfang der Hinweis fiele, dass die Ikonographie des Fegefeuersin Frankreich seinen Ausgang nahm. Dabei bleibt es denn auch. Wegmann unterlässt es, die Ergebnisseder insbesondere <strong>für</strong> Frankreich existierenden Forschungen in ihrer Arbeit auszuwerten,Rückschlüsse zu ziehen, Vergleiche anzustellen. Michel Vovelle, Vision de la mort et de l’au-delàen Province d'après les autels des ames du purgatoire (1970); Flora Lewis, Rewarding Devotion.IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 93
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