EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN MAJETSCHAK UND WILLIAM J. THOMAS MITCHELLtive Vereinahmung zu schützen weiß, weil sie visuelle Ausdrucksformen zu analysieren versteht,könnte in diesem Kontext geradezu als Schlüsselqualifikation stark gemacht werden.Kristian Köchy (Köchy, Kristian : 215-239) erörtert den methodologischen Status des Bildes in denWissenschaften. Er kritisiert die »bleibende Überzeugung der Naturwissenschaftler […], mittelsihrer Verfahren tatsächlich auf eine natürliche Wirklichkeit zuzugreifen.« (228) Tatsächlich hingegensei »wissenschaftliches Sehen und Darstellen ist durch Auswahl, Betonung und Vernachlässigung,das Auffassen als […] und das Zusammensehen mit […] ebenso geprägt wie alle anderen Weisendes Sehens und Darstellens.« (227) Am Beispiel der <strong>für</strong>s mikroskopische Sehen nötigen Präparationender zu untersuchenden Objekte kann er diese Kritik überzeugend belegen.»Zwischen der Skylla bloßen Kopierens und der Charybdis schieren Kreierens« (138) siedelt MichaelWetzel (Wetzel, Michael 2005: 137-154) das Bild an. An einem Musikvideo von Madonnakann er ein Beschleunigungsmotiv nachweisen, das es nicht nur fraglich werden lässt, was eigentlichnoch als Einzelbild angesehen werden kann, sondern das auch deutlich macht, wie sehr sichbildliche Vergegenwärtigung an der Grenze von Sichtbarem und Unsichtbarem aufhält. Im Rekursauf Serge Daney und Georges Didi-Huberman erörtert Wetzel den Begriff der Inter- bzw. Inframedialität,an dem er die Unsichtbarkeitsdimension festgemacht.Axel Müller (Müller, Axel 2005: 77-96) weist auf die Möglichkeit hin, Qualitätsunterschiede zwischenmassenhaften Abziehbildern und Bildern von genuiner Konfigurationskraft mit Hilfe des Begriffsder ikonischen Differenz zu untersuchen. Jene bildspezifische Doppelung eines dargestellten Wasund eines darstellerischen Wie als die schlechthinnige Konstitutionsbedingung ikonischer Sinnbildungwerde »nicht von allen Bildern gleichermaßen eingelöst«. (84) Müller zeigt an einer Reihe vonBeispielen die Erschließungskraft des Begriffs jenseits stilgeschichtlicher Differenzen.Um eine Summe zu ziehen, lässt sich festhalten, dass der Band insgesamt eindrücklich klarmacht,wie viele interessante Fragen von Seiten der Bilder aufgeworfen werden, die nicht nur vom Nutzen,sondern nachgerade von der Notwendigkeit, freilich auch den eminenten Schwierigkeiten einer<strong>Bildwissenschaft</strong> zeugen. Interessanter als die terminologische Grabenkämpfe sind dabei immerschon die Gegenstände dieser Disziplin: von byzantinischen Kirchenmosaiken bis zu den Musikvideosvon Popstars, von der Rolle der Bilder in Prozessen psychologischer Identitätsbildung biszu ihrem Explikationskraft in naturwissenschaftlichen Forschungen.Um die Bildforschungen des Chicagoer Sozialkritikers Tom Mitchell auf einen Begriff zu bringen,könnte man sagen, er betrachtet Bilder als ›global social players‹. Auch sein Spektrum reicht vonden malerischen Erzeugnissen australischer Aborigines bis zum cyber space. Mitchell ist LiteraturundKunstwissenschaftler, dessen picture theory (Mitchell, William J. Thomas 1994) von 1994 ihnzu einem der international anerkanntesten und meist diskutierten <strong>Bildwissenschaft</strong>ler machte. Alser an Rortys Wort vom linguistic turn anknüpfend den seither unablässig beschworenen pictorialturn der Wissenschaft ausrief, plädierte er <strong>für</strong> einen Aufmerksamkeitsschwenk auf die umfassendePräsenz der Bilder zum Zwecke der Ausbildung einer kritischen und zugleich ›bildgerechten‹Wahrnehmungs- und Beschreibungskompetenz, die visuelle Phänomene nicht unter eine allgemeineSprach- oder Zeichentheorie subsumiert. Mitchell beschränkt sich von jeher nicht nur aufTafel- und Hochkunstbilder, sondern versteht Metaphern, Vorstellungsobjekte, GebrauchsbilderIMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 120
EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN MAJETSCHAK UND WILLIAM J. THOMAS MITCHELLund Filme, wie auch Objekt- und Medienkunst als Mitglieder jener Familie von Bildern, von derbereits die Rede war. Für Bilder im gegenständlichen Sinne reserviert er den Terminus ›picture‹,alle anderen Erscheinungsformen des Imaginativen und Imaginären subsumiert er unter ›image‹.Dazu gehören imaginäre und sprachliche Bilder ebenso wie Objekte mit bildhaftem Status undBildmedien. Der phantasmatische Charakter von Bildern, Objekten und Medien, ihre sozialgeschichtlichePrägung und Wirksamkeit lassen Bilder in seiner Theorie zu Lebensformen im SinneWittgensteins werden.Sein neuestes Buch What do pictures want? (Mitchell, William J. Thomas 2005) geht aus einerSammlung von Aufsätzen und Vorträgen hervor, in denen Mitchell systematisch auf den Nenner zubringen versucht, dass Bilder einen vitalen Anspruch an uns erheben. Dabei geht es ihm um einenWechsel der leitenden Gesichtspunkte und gängigen Herangehensweisen der Bildforschung: Wegvon der Frage, was sie bedeuten, hin zu ihrem Ansprache- und Aufforderungscharakter, zu ihrerWirksamkeit im sozialen und praktischen Leben. Das leuchtet grundsätzlich ein: Man muss Bildernicht unangemessen anthropomorphisieren, um doch zeigen zu können, welche eigendynamischeRolle sie in der sozial geteilten Lebenswelt spielen, welchen kollektiv imaginären Status siehaben und welche widersprüchlichen Wünsche sich in ihnen manifestieren können, die über dieAbsichten und Ziele ihrer Produzenten deutlich hinausreichen. Auch ist es ein lohnender Perspektivwechsel,Bilder als eine Adressierungsleistungen aufzufassen und zu fragen »what claim theymake upon us« »and how we are to respond« (XI).Allerdings ist es schwer, unter dieser Prämisse zu einer systematischen Einheit zu gelangen. Mitchellsim Laufe der Zeit zu ganz verschiedenen Tagungsanlässen gehaltene Beiträge lassen sichnicht ohne Gewalt unter das selbst gestellte Leitmotiv subsumieren, die Fragestellung kann nichtin allen Fällen funktionieren und ihre Form macht Redundanzen unvermeidbar. Wiederholt ist Mitchelldenn auch damit beschäftigt, den nahe liegenden Einwand abzuwehren, er sei unter dieAnimisten gegangen, einem prämodernen Aberglauben zum Opfer gefallen etc.Und die Antworten auf die Frage »Was wollen die Bilder?« fallen so verschieden aus, wie die Bilderselbst es sind. Sie reichen von ›nothing at all‹ (48), über ›they want you‹ im Falle des berühmtenRekrutierungsbildes aus dem ersten Weltkrieg, bis zu: »[they] want equal rights with language«(47) – vom Standpunkt der visual culture studies nämlich ist das ihr Hauptanliegen. Aus solchenBefunden lassen sich wenig allgemeingültige Schlüsse ziehen. Das weiß Mitchell selbst freilichauch, weshalb er freimütig einräumt, keine systematische Methode bei der Auslotung seiner Fragezu haben, sondern eher ein Spiel zu spielen. Dessen Fruchtbarkeit und Originalität aber kann erim Einzelfall mühelos ausweisen.So zeigt sich seine Hinsichtnahme zum Beispiel dort als gewinnbringend, wo sie eine zwar altbekannte,aber nur zu gern übersehene Dialektik neu sehen lässt, den Widerstreit nämlich zwischender versteinernden und der verlebendigenden Kraft des Bildes: »The picture wants to hold, toarrest, to mummify an image in silence and slow time. Once it has achieved its desire, however,it is driven to move, to speak, to dissolve, to repeat itself. So the picture is the intersection of two›wants‹: drive (repetition, proliferation, the ›plague‹ of images) and desire (the fixation, reification,mortification of the life-form).” (72)IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 121
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