ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELTANSCHAUUNGEN. ÜBER DIE RHETORIK VON BILDERN IN DER HIRNFORSCHUNG.gen zuordneten. Fasst man die Einzelergebnisse der Untersuchung zusammen, so zeigt sich, dassdie ausgewerteten PET-Studien die klassischen Lokalisationsbeobachtungen bestätigen.Allerdings sind die darüber hinaus erzielten Ergebnisse alles andere als eindeutig. Eine aussagekräftigeClusterbildung, wie sie eigentlich zu erwarten wäre, lässt sich aufgrund der ausgewertetenDaten nicht erkennen.Dass dieses Untersuchungsergebnis kein Einzelfall ist, zeigt eine Review-Studie von David Pöppel(vgl. Abb. 6). Pöppel untersucht in seiner Arbeit fünf PET-Studien über phonologische Verarbeitungsprozesse.Dabei geht er ebenfalls davon aus, dass bei Messreihen, die die gleichen kognitivenFunktionen untersuchen, die gleichen neuronalen Strukturen aktiviert sein müssten. Dasbedeutet bei großzügiger und realistischer Auslegungen: Die Messreihen sollten gewisse Überlappungenzeigen. Genau dies ist aber nicht der Fall. Überlappungen sind zwar feststellbar, sie betreffenallerdings fast ausschließlich Hirnareale, deren Beteiligung alles andere als überraschend ist.Eine eindeutige studienübergreifende Clusterbildung findet sich hingegen nicht.Offensichtlich sind die generierten PET-Bilder weitaus weniger eindeutig, als es zu erwarten istund als es aus wissenschaftstheoretischen Erwägungen heraus erforderlich wäre. Das ist überausunbefriedigend. Schuld daran sind technische Unzulänglichkeiten und unzureichende neurologischeKenntnisse. Erst vor sechs Jahren beispielsweise konnte Nikos Logothetis zeigen, dassdas fMRT-Signal nicht mit dem Feuern von Neuronen einhergeht, sondern mit dem Einlaufen vonSignalen. Ein fehlendes fMRT Signal bedeutet also nicht, dass dort keine Neuronen aktiv sind. Dasheißt: Was wir bei den fMRT-Aufnahmen sehen, ist keine Aktivität des jeweiligen Hirnareals, sonderneher ein Produkt der Aktivität ganz anderer, gegebenenfalls weit entfernter Hirnareale. Natürlichsteht zu erwarten, dass mit der eingehenden Information tatsächlich auch etwas geschieht,doch so einfach, wie man lange glaubte und wie man in den meisten populärwissenschaftlichenVeröffentlichungen nach wie vor glauben macht – dass also die einfache Gleichung gilt: IntensiveEinfärbung = Hoher Stoffwechsel = Hohe Neuronenaktivität –: so einfach ist es nicht.5. Die Semiotik der BildgebungsverfahrenSoweit also mein Hinweis darauf, dass auch schon gemessen an ganz konservativen und fundamentalenwissenschaftstheoretischen Maßstäben, die von den bildgebenden Verfahren generiertenDaten nicht ganz unproblematisch sind. Der eigentliche Witz der PET und der fMRT ist jedoch,dass die gewonnenen Daten nicht – oder zumindest nicht nur – in Tabellen präsentiert werden,sondern in Bildern. Damit haben wir aber ein zusätzliches Problem. Zu der Unschärfe der Datengesellt sich auch noch die Rhetorik der Bilder. Und es ist diese Rhetorik der Bilder, die in Studien,wie der von Andrew Newberg, verwendet wird. Schauen wir genauer hin:Die Abbildungen funktioneller Bildgebungsverfahren sind das Ergebnis eines Signalverarbeitungsprozesses.Die Ansammlung von Regeln, mit deren Hilfe ein an einer Quelle erzeugtes Signal miteiner Botschaft korreliert wird, heißt im Folgenden Kode. Der Kode ordnet die Elemente einesübermittelnden Systems den Elementen eines übermittelten Systems zu.IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 64
ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELTANSCHAUUNGEN. ÜBER DIE RHETORIK VON BILDERN IN DER HIRNFORSCHUNG.Dabei übernimmt der Kode zwei Funktionen. Zunächst wählt der Kode eine Reihe von Signalenaus und unterdrückt andere: Die gemessenen Signale werden computerunterstützt gefiltert, brauchbareDaten werden festgehalten, störende oder unvereinbare aussortiert.Darüber hinaus korreliert der Kode ein Signal oder ein Bündel von Signalen mit einer szintigraphischenDarstellung. Das bedeutet, dass mit Hilfe des Kodes diskontinuierliche, diskrete Messeinheitenausgewählt werden. Aus diesen Messeinheiten werden diejenigen bestimmt, die <strong>für</strong> diejeweilige Botschaft relevant sind: die Signale.Der Kode stellt somit aus einer relativen Unordnung von Messeinheiten eine relative Ordnung vonSignalen her, die in unserem Fall als Bildpunkte – als Pixel – präsentiert werden.Die Verbindung beider Kodefunktionen – Signalauswahl, Bildgenerierung – verführt leicht zu Missverständnissenund Fehlinterpretationen. Der Grund da<strong>für</strong> liegt in der durch die beiden Leistungendes Kodes erzeugten Uneindeutigkeit des Informations-Begriffs. Es empfiehlt sich daher in unseremFall, drei Formen von Information zu unterscheiden:Am Anfang steht die Information am Messgerät, also die durch die PET oder fMRT gemesseneStrahlung. Diese Information1 wird durch das kodifizierende System korrigiert. Anstelle der relativenUnordnung der rohen Messdaten wird eine relative Ordnung, die Information2, generiert. MitHilfe dieser Information2 werden mittels Subtraktion die eigentlich relevanten Messdaten herausgefiltert,die Information3a, also die Feststellung, dass eine gewisse kognitive Leistung in einemspeziellen Hirnareal eindeutig lokalisiert ist.Damit haben wir das eigentliche Datenmessverfahren etwas grob in ein semiotisches Vokabularüberführt. Der eigentliche Witz der funktionellen Bildgebungsverfahren liegt jedoch darin, dassdie Information3a, die aufgrund ihrer komplexen semiotischen Generierung an sich schon einenweiten Interpretationsraum erschließt, in das Medium Bild übertragen und damit eine Botschaftzweiter Ordnung abgeleitet wird, eine Information3b, die sich gerne auf allgemeinen, zumeist philosophisch-weltanschaulichenFragestellungen bezieht. Die Antwort auf solche allgemeine, eherweltanschaulich-philosophische Fragen stellt mithin die Information4 dar, wobei der Schritt vonInformation3a zu Information4 ganz anderen Regeln unterliegt als die vorherigen. Die Pointe solcherArbeiten liegt also darin, dass von der Generierung der Information2 auf die Botschaft derInformation3b geschlossen und schließlich eine quasiphilosophische Deutung als Information4nahe gelegt wird.Der Kode als Ganzes entspricht in dem obigen Schema der Korrelation von den an der Quelleausgehenden Signalen mit der Botschaft. Die verwendeten Kodifizierungssysteme sind dementsprechendSub-Kodes, deren Aneinanderreihung den Kode des Gesamtsystems ergibt, wobei dieersten beiden Sub-Kodes Kodes klassischer Informationsbearbeitung darstellen, der dritte Sub-Kode hingegen, da er erst durch den Wechsel des Mediums zum Tragen kommt, mittels einerbildrhetorischen und bildpsychologischen Analyse erschlossen werden kann.Das alles bedeutet jedoch, dass der Kode als ganzes somit nicht nur die Regeln einer Zeichenfunktionenthält, sondern selbst das Zeichen ist. Dabei verbindet der Kode eine AusdrucksebeneIMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 65
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