EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN MAJETSCHAK UND WILLIAM J. THOMAS MITCHELLDas ergibt viel Sinn. Dass Begehren auf Festhalten zielt, dass jedenfalls das Festhalten des Vergänglichenim Bild ein wesentliches Movens der Bildproduktion ist, ist nicht nur die Moral von derGeschichte des Mädchens von Korinth, das die Schattensilhouette des fortziehenden Geliebtenauf die Mauer bannt, sondern das ist vor allem auch das Ärgernis aller ikonischen Repräsentationin den Augen der Ikonoklasten, die auf diese Weise das Unendliche verendlicht, verdinglicht undversteinert sehen.Begehren derart als »sympton of image making« entwickeln, stiftet Kontinuitäten zwischen uraltenMythen und postmodernen Simulationswünschen. Narziss und Pygmalion fallen ihren eigenenBildern in diesem Interpretationsrahmen nicht weniger zum Opfer als diejenigen, die den Traumvom exakt identischen Ebenbild im Klonschaf Dolly repräsentiert finden. Das Bild als Subjekt undObjekt der Begierde führt gemeinsam mit dem Eros des Bildermachens zu einem Begriff von Begehren,mit dem Mitchell weniger an Freud und Lacan anknüpfen will, als vielmehr an Deleuze’Konzept der Fülle. Von diesem Begriff her möchte er einen ›surplus value‹ des Bildes zeigen, »thatgoes beyond communication, signification, and persuasion.« (9)Zwei Gegenwartsikonen geben Mitchells paradigmatischen Fälle von ›living images‹ oder ›animatedicons‹ ab: die Twintower des World Trade Centers im Moment ihrer Zerstörung am 11. September2001 und das verschlafen aus den Nachrichtenmedien dieser Welt blickende KlonschafDolly als »global icon of genetic engineering, with all its promises and threats« (12). Dolly alswahres Simulacrum, als genetisches Duplikat eines lebenden Organismus, die Zwillingstürme alsbereits anthropomorphisierte Architektur und als Ikonen der Globalisierung. Das Schaf liest erdabei gleichermaßen als Figur pastoraler Harmlosigkeit oder Autoritätsgehorsams, wie auch alsInbegriff menschlicher Hybris, sich gottähnliche Schöpfungsmacht anzumaßen und der Evolutionin ihre Entwicklungslogik zu pfuschen.Wie fruchtbar Mitchells Fragestellung im Einzelfall ist, sieht man auch an dem umstrittenen Bildstatusder Malereien Rothkos, Rymans oder Kleins. Denn die Antwort vermag den merkwürdigenIkonoklasmus zu erklären, der dieser nicht-gegenständlichen Malerei selbst in ihrer Verweigerung,etwas anderes darzustellen als sich selbst, zugrunde liegt. »Abstract paintings are pictures thatwant not to be pictures, pictures that want to be liberated from image-making.« (44) Das ist überzeugendund hilft weiter, kranken doch manche Bildtheorien daran, Yves Kleins patentiertes Blauoder die Monochromien Ad Reinhards oder Robert Rymans nicht mehr in ihren repräsentationalistischenKonzepten unterbringen zu können.Dass die These von vital wirksamen Bildern funktioniert, erweist sich ferner auch an der Attentatsproblematik.Einsichtig erörtert das sechste Kapitel das Problem, warum es Leute gibt, die sichdurch Bilder dermaßen angegriffen und verletzt fühlen, dass sie Attentate auf sie ausüben; – durchdie gegenwärtige weltpolitische Lage grausam belehrt, muss man hinzufügen: beklagenswerterweisenicht allein auf sie. »Two beliefs seem to be in place when people offend images. The first isthat the image is transparently and immediatetely linked to what it represents. Whatever is done tothe image is somehow done to what it stands for. The second is that the image possesses a kindof vital, living character that makes it capable of feeling what is done to it.« (127) Manchmal richtetsich die Ikonophobie dagegen, dass der Betrachter verletzt werde, manchmal sieht man dasDargestellte in seiner Würde beeinträchtigt. Mitchell scheut sich nicht, konkrete Vorschläge, wieIMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 122
EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN MAJETSCHAK UND WILLIAM J. THOMAS MITCHELLdie Museumspraxis damit umgehen solle, zu machen und beendet das Kapitel mit der Anregung,eine Großausstellung mit verletzenden Bildern zu machen, in denen Angreifer und Verteidiger Gelegenheiterhalten soll, Gefühle und Gründe ihrer Positionen darzulegen.Wie gesagt, betrachtet Tom Mitchell Bilder insgesamt unter dem Gesichtspunkt einer kulturellenBildpraxis. Dabei gilt seine Aufmerksamkeit der Eigenmacht der Phantasmen und ihrer sozialenWirksamkeit, gleichsam der Frage, wie sie ›uns gefangen halten‹. Früh schon diagnostizierte ereine ›postsemiotische‹ Wiederentdeckung des Bildes als »a complex interplay between visuality,apparatus, institutions, discourse, bodies, figurality.« (Mitchell, William J. Thomas 2005: 16) Derphantasmatische Charakter eines solchen Wechselspieles innerhalb der sozialen Praxis ist so eigendynamisch,dass die Entintentionalisierung der Bildproduzenten zugunsten der Akzentuierungder Wirkungsmacht der Bilder selbst geboten scheint. »<strong>Image</strong>s are active players in the game ofestablishing and changing values. They are capable of introducing new values into the world andthus of threatening old ones. For better and for worse, human beings establish their collective, historicalidentity by creating around them a second nature composed of images which do not onlyreflect values […], but radiate new forms of value […]. They are phantasmatic, immaterial entitiesthat, when incarnated in the world, seem to possess agency, aura, a ›mind of their own‹, which isa projection of a collective desire.«(105)Der solchermaßen in die Praxis erweiterte Bildbegriff umfasst auch Objekte und Medien. Objektesind material verkörperte Bilder, deren imaginären Status Mitchell ausdifferenziert als Totem,Fetisch und Idol. Den totemistischen Status erläutert Mitchell an seinem Lieblingsbeispiel der inden letzten zwei bis drei Jahrzehnten um sich greifenden Popularität von Dinosauriern. Die Thesevon Dinosauriern als »totem figure […] of American modernity« (181) lässt sich nicht nur mittelsdes computeranimierten Spielberg-Films Jurassic Parc mit seiner Idee der genetischen Wiederauferstehungeines Dinosauriers durch den in einer fossilen Mücke konservierten Blutstropfendurchführen, sondern auch durch die allenthalben begeisterte Zurschaustellung von gefundenenund rekonstruierten Saurier-Knochen, wie sie sich diesseits und jenseits des Atlantiks in zahlreichenNaturkundemuseum befinden. Nicht zuletzt in Mitchells Lebensraum Chicago begrüßendie Skelette der prähistorischen Urviecher die Besucher gleich mehrmals, nämlich bei der Ankunftam Flughafen O’Hare und downtown im und vor dem Field Museum. Nach einer erst in den90er Jahren des letzten Jahrhunderts vieldiskutierten Ausschreibung zur Namensfindung wurdedas Chicagoer Exemplar eines Tyrannosaurus Rex liebevoll nach seiner paläontologischen Entdeckerin›Sue‹ genannt. Die von Thomas Mann einst im Felix Krull als ›unschicklich‹ bezeichnete›Raumbeanspruchung‹ dieser mythen-umwobenen Spezies scheint <strong>für</strong> den amerikanischen Geschmacktatsächlich eine große Faszination auszuüben, Sue nimmt sich denn auch am Maßstabdes seinerseits gigantischen Sportstadiums von Chicago gar nicht sehr ungebührlich aus. Dasmag zwar dem groß-dimensionierten amerikanischen Raumempfinden geschuldet sein, MitchellsPointe der Totem-Figur aber wird dadurch nicht geschmälert. Vor allem ist das Beispiel geeignet,den fordernden Charakter solcher Bildobjekte weiter auszuführen: »Totems, fetishes, and idolsare […] things that want things, that demand, desire, even require things – food, money, blood,respect.« (194)Für seinen Begriff des Mediums nimmt der Autor die Mitte zwischen materialer Objektivität undsozialer Praxis in Anspruch: »[S]ome sort of vague middle ground between materials and theIMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 123
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