11.07.2015 Aufrufe

Image 4 - Gesellschaft für interdisziplinäre Bildwissenschaft

Image 4 - Gesellschaft für interdisziplinäre Bildwissenschaft

Image 4 - Gesellschaft für interdisziplinäre Bildwissenschaft

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOPOLOGIE DES SEINSAbb. 4: C.D.F.: Mönch an Meer, 1809-10, Öl aufLeinwand, 110×171,5, Berlin, NationalgalerieAbb. 3: G.B. Piranesi: Carceri d’invenzione, Blatt7, 1760, Radierung, 55 x 42, Paris, BibliothèqueNationale de Francebedingungen erscheinen. Er vollzog die so genannte zweite kopernikanische Wende. Die erstekatapultierte den Menschen aus dem Zentrum des Kosmos, die zweite inthronisierte ihn zwarwieder im Zentrum seiner Welt, aber eben nur seiner Welt, wie sie ihm erscheint, nicht der, wie sieunabhängig von seinen Erkenntnis- und Anschauungsbedingungen an sich existieren mag. DerHochmut des Menschen, das Maß aller Dinge zu sein, hat sich in alptraumartiger Weise bewahrheitet.Die Welt gleicht Piranesis (1720 1778) Carceri (Abb. 3), aus denen es keinen Ausgang gibt.Das Grundverhältnis zum Sein hat sich geändert. Die existenzielle Grundfrage lautet jetzt: Waskann ich überhaupt wissen? Die Grundstimmung ist der Zweifel oder gar die Verzweiflung.Caspar David Friedrichs Mönch am Meer (Abb. 4) ist ein Schlüsselbild des mentalistischen Grundverhältnisses.Die Linearperspektive ist zu Gunsten einer 180 Grad Perspektive aufgehoben undentspricht mehr unseren Sehgewohnheiten. Die einzige Senkrechte in dieser weiten Landschaft,in der Strand, Meer und Himmel ineinander übergehen, ist der winzige Mönch. Die kleine Rückenfigurist keine Staffage. Sie ist eine der Koordinaten des durch ihn eröffneten Weltgevierts. AlsSterblicher steht er klein und der Erde verhaftet, aber aufrecht unter dem trüben Himmel, um, wieBachmann sagen würde, »in der Dunkelhaft der Welt […] nach dem Rechten zu sehen« (Bachmann1981: 77). Seine Senkrechte durchbricht nicht die Dunkelzone. Der Himmel verheißt zwarTranszendenz und übergeordnete Sinnhaftigkeit, ist aber verhangen. Nach Guardini entsteht eine»besondere Bedeutung […] wenn durch die Waagerechte von Meer und Küste die Senkrechte einer dastehendenMenschengestalt schneidet, aufrecht, still, entschlossen zur Tat, bereit <strong>für</strong> das Schicksal, die Liniedes ›Ichs‹. […] So dringen durch die erste Gestalt Ur-elemente vor und machen das Ungeheure in der Weltdraußen und in der Tiefe drinnen fühlbar.« (Guardini 1959: 20)IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 9

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!