ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELTANSCHAUUNGEN. ÜBER DIE RHETORIK VON BILDERN IN DER HIRNFORSCHUNG.(den Signifikanten) mit einer Inhaltsebene (dem Signifikat). Die Information2 ist somit der Signifikantder Information1 und wird qua Kodifizierung zum Signifikat der Information3a usw.Das Kodefizierungssystem der funktionellen Bildgebungsverfahren, soweit die erste These, ergibtalso eine konnotative Semiotik.Konnotative Semiotiken sind dadurch definiert, dass die Ausdrucksebene einer Semiotik eineweitere Semiotik darstellt: Die Inhaltsebene der gemessenen Daten wird zur Ausdrucksebeneeines weiteren Inhalts, Information2 denotiert Information1 und konnotiert Information3a, dieBotschaft. Information4 ist dementsprechend eine dreifache Konnotation der ursprünglichen Ausdrucksebene,die darüber hinaus mit dem Schritt von Information3b zu Information4 nur schwersemiotisch zu kontrollieren ist.Analysiert man die einschlägige Literatur, so gewinnt man den Eindruck, dass die meisten Naturwissenschaftlerdie PET oder fMRT-Bilder als Indices interpretieren. Der Grund da<strong>für</strong> ist zum einendie große Rolle, die dem Index <strong>für</strong> die naturwissenschaftliche Erkenntnis tatsächlich zukommtund zum anderen die ad hoc unterstellte Kontiguität zwischen dem funktionalen Zustand desGehirns auf der einen und der Abbildung auf der anderen Seite. Diese Kontiguität ist aber problematisch,da der Zusammenhang zwischen der Annihilation der Positronen und dem generiertenPET-Bild nicht indexikalisch ist wie das Brennen eines Waldstückes und der dadurch erzeugteRauch.Aus vergleichbaren Gründen sind die von den Bildgebungsverfahren generierten Abbildungenauch nicht ikonisch wie die, traditionell so kategorisierten, Fotografien. Zwar markiert auch der Fotoapparatund sein physikalischer Aufbau, ebenso wie der fotochemische Prozess von Aufnahmeund Entwicklung, einen Kodifizierungsvorgang, bei dem Signale (elektromagnetische Strahlungzwischen 350nm und 750 nm), die von einer Quelle – wir denken uns eine Mohrrübe – ausgehenmit Farbpunkten auf einem Foto korreliert werden. Doch immerhin verursacht eine Mohrrübe, dieLicht eines gewissen Frequenzbereiches reflektiert, auf dem erzeugten Foto ein Ding, das dieUmrisse einer Mohrrübe hat und Licht in etwa in dem Frequenzbereich reflektiert, wie die ehedemfotografierte Mohrrübe. Der semiotische Zusammenhang zwischen dem Denken von Worten undeiner PET-Aufnahme, die zeigen soll, welche Hirnregionen an dem Denken von Worten beteiligtsind, ist ein anderer.Die zweite These lautet somit: Unter semiotischer Perspektive sind die Aufnahmen bildgebenderVerfahren Symbole und unterliegen damit deren spezifischen zeichentheoretischen Problemen.Symbole sind konventionell und autonom. Sie bekommen ihre Bedeutung aus dem enzyklopädischorganisierten Symbolsystem.Drittens: Durch die Überlappung von Ausdrucks- und Inhaltsebene aufgrund der oben analysiertenspezifischen Bedingungen der Signalkodierung sind die Aufnahmen bildgebender Verfahrennicht denotierend, sondern exemplifizierend im Sinne Goodmans. Allerdings unterliegen sie nichtnur einem einfachen, sondern einem dreifachen Exemplifikationsvorgang.Exemplifikatorische Symbole sind gegenüber denotativen Symbolen dadurch charakterisiert, dassIMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 66
ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELTANSCHAUUNGEN. ÜBER DIE RHETORIK VON BILDERN IN DER HIRNFORSCHUNG.sie offen, unausschöpfbar und daher letztlich unterbestimmt sind. Die Unausschöpfbarkeit derSymbole erschließt sich symboltheoretisch dadurch, dass die Exemplifikation entgegengesetztzur Denotation verläuft, also durch eine Rückbezugnahme auf das Denotierende vom Denotiertenher.Die Exemplifikation setzt also das jeweilige Symbol in Bezug zu einer Auswahl seiner Eigenschaften.Mit dieser Auswahl eröffnet sich zugleich ein Interpretationsraum, bei dem es nur Richtigkeitim Sinne von Adäquatheit und Angemessenheit einer Interpretation im Zusammenhang einerjeweiligen Praxis geben kann. Worauf sich ein exemplifikatorisches Symbol bezieht, ist somit eineFrage der Deutung und Geübtheit des jeweiligen Interpreten und des jeweiligen Kontextes.Die Aufnahmen bildgebender Verfahren stehen als Symbole somit in einem komplexen semiotischenVerweisungs- und Interpretationszusammenhang, der einen nicht zu unterschätzendenAuslegungsspielraum konstituiert. Dieser aufgerissene Interpretationsraum ist aber die Folge derLogik der Zeichenerzeugung durch die funktionellen Bildgebungsverfahren selbst.Zusammenfassend ergibt sich bisher also folgendes – thesenhaftes – Bild der Semiotik funktionellerBildgebungsverfahren:-- PET/fMRT-Signale unterliegen einer zweistufigen Codierung, die sie mit der Botschaftkorreliert.-- Die Inhaltsebene der ersten Kodierungsstufe wird dadurch zur Ausdrucksebene derzweiten Kodierungsstufe.-- Eine Semiotik, deren Ausdrucksebene eine weitere Semiotik ist, ist konnotativ.-- Zugleich sind PET/fMRT-Bilder zeichentheoretisch Symbole.-- Als Symbole einer konnotativen Semiotik sind sie exemplifikatorisch.--Als exemplifikatorische Symbole beziehen sich PET/fMRT-Aufnahmen nicht denotativauf den Zustand der signalgebenden Quelle (des neuronalen Zustands des Gehirns).-- PET/fMRT-Aufnahmen erhalten ihre Bedeutung durch den Bezug auf Merkmale, dieselber wiederum Resultate eines Kodierungsprozesses sind.-- Dadurch eröffnen PET/fMRT-Aufnahmen als Symbole einer konnotativen Semiotik einenInterpretationsraum, der in Kontrast steht zur suggerierten Eindeutigkeit denotativerBezugnahme.Ursache <strong>für</strong> die Implantationsfähigkeit von PET/fMRT-Aufnahmen in weltanschauliche Diskurse,ist die semantische Beschaffenheit philosophischer und kultureller Debatten. Philosophische Terminisind im Wesentlichen intensional, sie denotieren keine externen Gegenstände, sondern entfaltenein enzyklopädisches System konnotativer Bezüge. Die ›Gegenstände‹ dieses Sprachspielssind weniger Ziele eines reflexiven Prozesses, als vielmehr die Basis unserer kulturellen und sozialenExistenz, also Grundlage und nicht Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Das bedeutetzugleich, dass das philosophische Vokabular semantisch unausschöpflich ist und die jeweiligeExemplifikation unterbestimmt bleibt. Diese Unterbestimmtheit philosophisch-weltanschaulicherTermini ermöglicht zwar die Offenheit philosophischer Sprachspiele, erzeugt aber bei deren Implantierungin empirische Wissenschaftssprachen semantische Unschärfen, die – das die These– mit Hilfe visueller Argumentation und der Eröffnung eines ikonischen Erkenntnisraumes über-IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 67
- Seite 1 und 2:
IMAGE - Zeitschrift für interdiszi
- Seite 3 und 4:
[Inhaltsverzeichnis]Beatrice Nunold
- Seite 5:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 9 und 10:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 11 und 12:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 13 und 14:
BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 15: BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 21 und 22: BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 23 und 24: BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 25 und 26: BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 27 und 28: BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 29 und 30: BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 31 und 32: BEATRICE NUNOLD: LANDSCHAFT ALS TOP
- Seite 33 und 34: [Inhaltsverzeichnis]Stephan Günzel
- Seite 35 und 36: STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE A
- Seite 37 und 38: STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE A
- Seite 39 und 40: STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE A
- Seite 41 und 42: STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE A
- Seite 43 und 44: STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE A
- Seite 45 und 46: STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE A
- Seite 47 und 48: [Inhaltsverzeichnis]Mario Borillo/J
- Seite 49 und 50: MARIO BORILLO/JEAN-PIERRE GOULETTE:
- Seite 51 und 52: MARIO BORILLO/JEAN-PIERRE GOULETTE:
- Seite 53 und 54: MARIO BORILLO/JEAN-PIERRE GOULETTE:
- Seite 55 und 56: MARIO BORILLO/JEAN-PIERRE GOULETTE:
- Seite 57 und 58: MARIO BORILLO/JEAN-PIERRE GOULETTE:
- Seite 59 und 60: ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELT
- Seite 61 und 62: ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELT
- Seite 63 und 64: ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELT
- Seite 65: ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELT
- Seite 69 und 70: ALEXANDER GRAU: DATEN, BILDER: WELT
- Seite 71 und 72: [Inhaltsverzeichnis]Elize BisanzZum
- Seite 73 und 74: ELIZE BISANZ: ZUM ERKENNTNISPOTENZI
- Seite 75 und 76: ELIZE BISANZ: ZUM ERKENNTNISPOTENZI
- Seite 77 und 78: ELIZE BISANZ: ZUM ERKENNTNISPOTENZI
- Seite 79 und 80: IMAGE - Zeitschrift für interdiszi
- Seite 81 und 82: FRANZ REITINGER: KARIKATURENSTREITm
- Seite 83 und 84: FRANZ REITINGER: KARIKATURENSTREITv
- Seite 85 und 86: FRANZ REITINGER: KARIKATURENSTREITM
- Seite 87 und 88: FRANZ REITINGER, REZENSION: GESCHIC
- Seite 89 und 90: [Inhaltsverzeichnis]Franz Reitinger
- Seite 91 und 92: FRANZ REITINGER, REZENSION: SUSANNE
- Seite 93 und 94: FRANZ REITINGER, REZENSION: SUSANNE
- Seite 95 und 96: [Inhaltsverzeichnis]Franz Reitinger
- Seite 97 und 98: FRANZ REITINGER, REZENSION: SIGRUN
- Seite 99 und 100: [Inhaltsverzeichnis]Klaus Sachs-Hom
- Seite 101 und 102: KLAUS SACHS-HOMBACH, REZENSION: BEN
- Seite 103 und 104: SASCHA DEMARMELS, REZENSION: WOLFGA
- Seite 105 und 106: [Inhaltsverzeichnis]Sascha Demarmel
- Seite 107 und 108: SASCHA DEMARMELS, REZENSION: KLAUS
- Seite 109 und 110: THOMAS MEDER, REZENSION: UWE STOKLO
- Seite 111 und 112: THOMAS MEDER, REZENSION: KLAUS SACH
- Seite 113 und 114: [Inhaltsverzeichnis]Eva Schürmann
- Seite 115 und 116: EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN M
- Seite 117 und 118:
EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN M
- Seite 119 und 120:
EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN M
- Seite 121 und 122:
EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN M
- Seite 123 und 124:
EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN M
- Seite 125 und 126:
EVA SCHÜRMANN, REZENSION: STEFAN M
- Seite 127 und 128:
[Inhaltsverzeichnis]ImpressumIMAGE