STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE ANALYSE VON COMPUTERSPIELEN IN DER PERSPEKTIVE ERSTE PERSON1. EinleitungWenn im Folgenden ein besonderes Genre von Computerspielen im Fokus steht, so wird damit dasAnliegen verfolgt, exemplarisch die Möglichkeit einer bildwissenschaftlichen Analyse von Computerspielenaufzuzeigen. Computerspiele in der Perspektive der Ersten Person (›First-Person-Shooter‹), welche im Deutschen mit dem Scheinanglizismus ›Ego-Shooter‹ bezeichnet werden,sind dazu im besonderen Maße geeignet, da die besondere Form ihrer Bildlichkeit eine essentielleVoraussetzung zum Spielen darstellt. Im Gegensatz zu genealogischen (vgl. Pias 2002), pädagogischen(vgl. Gehlen 2002), psychologischen (vgl. Frindte & Obwexer 2003) oder narratologischen(vgl. Neitzel 2000) Ansätzen ist die vorliegende Analyse daher primär ästhetischer und bildformalerArt. 1 Der Ansatz rückt darüber in die Nähe ›ludologischer‹ Analysen, bei denen vor allem dasSpielerleben von Interesse ist (vgl. etwa Aarseth 1999), rekurriert jedoch nicht auf den Spielverlaufoder die -regeln, sondern unmittelbar auf das Spielbild und seine Strukturen, die aufgrund dererscheinenden Räumlichkeit beschrieben werden können (Vgl. dazu auch bereits Aarseth 2001).In einem ersten Schritt (2.) werden hierbei Gründe angeführt, warum das Bild im Genre der Ego-Shooter eine Besonderheit unter allen Computerspielen hinsichtlich der dort gezeigten Räumlichkeitdarstellt und inwiefern das Genre damit <strong>für</strong> eine Theorie des Bildes Relevanz besitzt. Zumeinen ist das die Dreidimensionalität als Bedingung des Spiels (2.1), zum anderen die Kopplungvon Flucht- und Zielpunkt im Bild (2.2) sowie zuletzt die Unterscheidung von physiologischemSehvorgang und Bildbetrachtung (2.3), die sich am Computerspielbild selbst festmachen lässt.Im Übergang (3.) zwischen den beiden Hauptteilen wird im Ausgang von klassischen Positionender Philosophie des Raumes verdeutlicht, welchen Beitrag die Analyse von Computerspielen zurFrage nach der Konstruktionsleistung von Bildern leistet. Von hier aus wird abschließend (4.) derVorschlag unterbreitet, die Spielerfahrung als Synthese verschiedener Bildansichten im Spiel zubegreifen und die sich aus dem Bild des Containerraums (4.1) und der topographischen Bildansichtvon Karten (4.2) als ein hodologischer Spielraum (4.3) beschreiben lässt.2. Die primäre Bildansicht2.1 Tiefenräumlichkeit des Bildes und Verortung des BildbenutzersAnders als in Computerspielen, bei denen die Figur oder das Vehikel, welches man zu steuern hat,im Bild selbst sichtbar ist, bleibt der Körper des Schützen unsichtbar, insofern dieser außerhalbder Bildschirmansicht angesiedelt ist: Was auf dem Bildschirm zu sehen ist, ist das, was man sehenkönnte, wenn man sich innerhalb der simulierten Welt an eben derjenigen Stelle befände, anwelcher die selbst nicht sichtbare Spielfigur lokalisiert ist. – Nur zwei Elemente im Bild lassen aufdie (virtuelle) Existenz des Schützen schließen: Zum einen sein Arm, der stets am unteren Bildrand(zumeist als rechter Unterarm) zu sehen ist und der eine Waffe oder ein anderes Werkzeug (etwa1 Für einen historischen Rückblick siehe Lischka 2002; <strong>für</strong> eine systematische Einordnung Korn 2005.IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 34
STEPHAN GÜNZEL: BILDTHEORETISCHE ANALYSE VON COMPUTERSPIELEN IN DER PERSPEKTIVE ERSTE PERSONAbb. 1: Doom 3 (2004) Abb. 2: Vietkong (2003)Abb. 3: Tom Clancey’s Ghost Recon (2001) Abb. 4: Doom 3 (2004)eine Taschenlampe) hält. (In manchen Fällen kommt auch der linke Arm – beispielsweise beimNachladen der Waffe – zum Einsatz und darüber ins Bild.)Das andere Element, welches auf die virtuelle Realität des Schützen schließen lässt, ist der Zielpunktder zuhandenen Waffe im Zentrum des Bildes, der sich wahlweise über den gesamtenBildschirm erstrecken kann oder nur ein Kreis von geringer Ausdehnung ist.Abb. 5: Doom 3 (2004) Abb. 6: Doom 3 (2004)IMAGE I Ausgabe 4 I 7/2006 35
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